8. Juli 2021 · 
Wirtschaft

Die Stau-Wut der Autofahrer in Hannover erreicht den niedersächsischen Landtag

    Ein sogenanntes „Stadtexperiment“ bringt Hannover in diesen Tagen in Wallung. Dafür hat Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) in der Innenstadt eine Straße und einen Parkplatz und in der Nähe des Bahnhofs eine Hochstraße sperren lassen. Statt für Autos sind die Straßen nun für ein paar Wochen für Spiel, Spaß und Kunst freigegeben. Der Start lief allerdings alles andere als reibungslos, in der Innenstadt stauten sich die Autos, es gab zeitweise kein Vor und kein Zurück mehr, viele Autofahrer sind wütend. Am Mittwoch erreichte die Stau-Wut in der Landeshauptstadt nun auch den Landtag, etwas versteckt in einer aktuellen Stunde der CDU-Fraktion mit dem Thema „Smart Mobility“. Denn „smart“ ist der Oberbürgermeister nach Meinung der CDU nicht vorgegangen. Man solle in einen „klugen Dialog“ eintreten, betonte Verkehrsminister Bernd Althusmann und ließ an dieser Stelle unausgesprochen, dass er das Vorgehen in Hannover eben für nicht besonders klug hält. FDP-Fraktionsvize Jörg Bode sprach sogar von einer „Amok-Aktion des grünen Oberbürgermeisters“ und konterte den Einwurf der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Julia Hamburg, dass es ja lediglich um die Sperrung von 80 Metern Straße gehe, mit dem Verweis auf eine kluge Verkehrslenkung, die man vor den Sperrungen eben hätte anpassen müssen. „Es ist völlig egal, wie viele Meter Straße gesperrt werden müssen. Es geht um die Funktion, die die Straße erfüllt und die Frage, wohin sich der Verkehr nach einer Sperrung verlagert“, erklärte Bode. 

Foto: nkw

    Natürlich steht auch die Kommunalwahl vor der Tür, und so geriet der Schlagabtausch an mancher Stelle härter als sonst üblich. Gerade die SPD, die in Hannover nach der verlorenen OB-Wahl immer noch ihre Wunden leckt und den grünen Oberbürgermeister vermutlich selbst als so eine Art politisches Experiment sieht, teilte kräftig gegen Onay aus. Der Osnabrücker SPD-Abgeordnete Frank Henning zitierte einen hannöverschen Taxifahrer, der ihm am Morgen gesagt habe, man müsse „die grüne Geisterfahrt endlich einmal beenden“. Die Aktion habe in der Landeshauptstadt nur zu weiteren Staus, mehr CO2-Ausstoß und genervten Berufspendlern geführt. „Es sollte kein Kampf gegen Autos geführt werden, wie es der Oberbürgermeister und seine grünen Mitstreiter gerade versuchen“, sagte Henning, der die Aktion in Hannover „phantasielos“ nannte. Detlev Schulz-Hendel (Grüne) hatte die Aufgabe, Onay und das hannöversche Experiment zu verteidigen. Der Verkehrspolitiker machte deutlich, worum es der Partei geht: um weniger Autos. Denn allein mit dem Steuern des bisherigen Verkehrsaufkommens sei es eben nicht getan. Es brauche Platz in den Innenstädten für mehr attraktive Angebote, und dafür müsse man sich vom Denken einer „seit 70 Jahren Auto-zentrierten Gesellschaft“ verabschieden.  Bereits am Sonntag hatte Belit Onay in der Sendung „Klartext“ von Radio Hannover und dem Politikjournal Rundblick gesagt, er könne den Unmut verstehen, wenn man im Stau steht. Dennoch müsse man „nun endlich an die Verkehrswende ran“. Onay sprach von einem langen Marathon. „Da wird es immer wieder mal ruckelig werden.“ Schulz-Hendel drehte im Landtag sogar das ganz große Rad – für ihn reiht sich Hannover mit dem Stadtexperiment „in den Kreis von Metropolen wie Wien, Barcelona oder Paris ein“, die zeigten, wie die Mobilitätswende gelingen könne. Wien, Barcelona oder Paris – da ging ein Raunen durch die Parlamentsreihen. Und auch die Pendler aus Springe, Burgdorf oder Wennigsen dürften noch gar nicht gemerkt haben, in welche Metropole sie da inzwischen hineinfahren, oder besser: hineinstehen, denn den Stau gibt es natürlich weiterhin.

  Innenstadtpolitik ist nicht nur Politik für Stadtbewohner.  

    Aber es sollte ja eigentlich darum gehen, den Stau intelligent zu vermeiden, „Smart mobility“ eben, und CDU-Fraktionsvize Mareike Wulf legte zu Beginn der Debatte den Finger in die Wunde. „Innenstadtpolitik ist nicht nur Politik für Stadtbewohner“, sagte sie und machte damit deutlich, dass der Kampf um eine Verkehrswende vor allem ein Konflikt zwischen Stadt und Land ist. Während sich nämlich der Üstra-versorgte Bewohner und Onay-Wähler in der Stadt Hannover mit einer autofreieren Innenstadt häufig relativ gut arrangieren kann, wird das im Umland kritischer gesehen. Denn dort ist die Mobilität nicht smart, sondern in der Regel eine Entscheidung zwischen dem eigenen Auto oder dem Zuckel-Bus, der alle 30 Minuten an der nicht überdachten Haltestelle vorfährt – wenn es gut läuft. Und so wurde die Debatte auch ein Zeichen für die große Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Denn während Wulf vom „Auto als Smartphone auf Rädern“ und Frank Henning von einem „ganzheitlichen Mobilitätskonzept“ redeten, rüttelt in Hannover immer noch der TW 6000 über die Gleise, eine Straßenbahn aus der 70ern, mit schmalen Türen und Plastik-Sitzen, deren Farbe vermutlich nicht einmal vor 40 Jahren irgendeinem Fahrgast gefallen haben dürfte. Und im Umland stehen für 160.000 tägliche Pendler nur ein paar tausend Pendler-Parkplätze zur Verfügung. Die schöne Welt von Pendler-Parkmöglichkeiten mit Solardächern und Ladestationen für E-Autos ist in der Region Hannover noch weiter entfernt als Wien, Peris und Barcelona von der Landeshauptstadt.

Foto: nkw

    Und so steigt der Pendler weiter in den Diesel-VW, während Bernd Althusmann im Landtag von „App-basierten Verkehrslösungen“, Wulf von „digitalen Mitfahrbänken“ und Henning von „Mobilitätsketten“ spricht. Jörg Bode, dem die Sport- und Kunstaktionen des Stadtexperiments  gefallen, wäre derweil schon froh, wenn man im Vorfeld neue Verkehrsverläufe sauber planen und zum Beispiel Ampelschaltungen entsprechend umprogrammieren würde – Dauer-Rot auf Hannovers Straßen, auch so ein Thema, das die Autofahrer in der Landeshauptstadt fast schon so lange umtreibt wie der TW 6000 über die Schiene rattert.

Von Martin Brüning

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #127.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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