10. Okt. 2022 · 
Parteien

Die SPD genießt ihren Erfolg, die CDU plant erste Schritte der Erneuerung

Stephan Weil gewinnt Landtagswahl 2022 - Fotos von Link, LSN, Lada, GettyImages-Jürgen Sack und Yannic Niedenzu

Selten sind mit einer Landtagswahl so viele persönliche Schicksale der Betroffenen verbunden wie mit dieser. Das gilt zum Beispiel für die Freien Demokraten, die bisher elf Abgeordnete hatten, dazu noch einen Stab an Mitarbeitern. Sie alle müssen sich jetzt nach neuen Tätigkeiten umsehen – und die FDP muss lernen, mit dem Verlust der parlamentarischen Existenz fertigzuwerden. Das war zuletzt zwischen 1994 und 2003 so. Dann sind da noch die bisherigen Abgeordneten Alptekin Kirci (SPD), Andrea Schröder-Ehlers (SPD) und Rainer Fredermann (CDU), die bisher von sich behaupten konnten, aus jeweiligen Hochburgen ihrer Parteien zu kommen. Daher sind ihre Platzierungen auf ihren Landeslisten auch nicht so gut gewesen – denn die SPD dachte, ihre Stärke in Lüneburg und Hannover-Mitte sei quasi gesetzt. Das dachte auch die CDU mit Bezug auf Isernhagen. Doch die Wahlkreise kippten am Sonntag, die beiden SPD-Direktmandate werden jetzt von den Grünen wahrgenommen, das Mandat von Fredermann fiel an die SPD. Damit fliegen die drei Abgeordneten aus dem Landesparlament.

So groß die Freude der SPD und der Grünen nach diesem Wahlabend war, so tief sitzen Enttäuschung und Verärgerung bei den Verlierern. Es deutet sich an, dass Christ- und Freidemokraten die Niederlage für eine völlige Neuorientierung nutzen wollen. Die FDP hat im November ihren Landeshauptausschuss, einen sogenannten „kleinen Parteitag“. Generalsekretär Konstantin Kuhle rät dazu, mit personellen Konsequenzen zu warten, bis dieses Gremium tagt – vorerst soll Landeschef Stefan Birkner noch für Kontinuität sorgen, damit die Mitarbeiter der bisherigen Landtagsfraktion in neue Tätigkeiten vermittelt werden können. In der CDU geht alles viel schneller, der scheidende Landesvorsitzende Bernd Althusmann hat Sonntagabend im Grunde seinen sofortigen Verzicht angekündigt oder wenigstens angeboten. Immerhin hat die CDU schon eine Figur, die für den jetzt beginnenden Übergang der zentrale Ansprechpartner sein wird, nämlich den bisherigen Generalsekretär Sebastian Lechner, der heute als Kandidat für das Amt des Fraktionsvorsitzenden antritt und wohl mit einer klaren Mehrheit rechnen kann.

Für alle Parteien gilt, dass die oft nach Wahlen geforderte „Aufarbeitung und Analyse des Wahlergebnisses“ vermutlich zu kurz kommt. Dabei hält ein Blick in das Zahlenwerk interessante Informationen bereit:

CDU und SPD verlieren in ihren Hochburgen: Der schon seit Jahren geltende Trend, dass die einst starken Volksparteien vor allem in den Hochburgen verlieren, setzt sich fort. So hat die CDU ihre stärksten Verluste (sogar mit fast 13 Prozentpunkten) in Cloppenburg, gefolgt von Vechta, Meppen, Lingen und Papenburg. Das sind nun die Gegenden, in denen die Christdemokraten gleichwohl noch ziemlich stark und dominant sind. Die stärksten SPD-Verluste (mit 9,4 Prozentpunkten) verbucht die Partei in Hannover-Mitte und Hannover-Linden, aber auch in Aurich und Leer/Borkum, außerdem in anderen Teilen Hannovers und in Göttingen-Stadt. Interessant ist der Wahlkreis Hannover-Buchholz, den Ministerpräsident Weil als Direktkandidat gewonnen hat. Er erreichte ein stolzes Erststimmen-Ergebnis von 44,2 Prozent, aber das Zweitstimmen-Resultat liegt mit 31,4 Prozent knapp 13 Prozentpunkte niedriger. Gegenüber 2017 hat die SPD bei den Zweitstimmen in diesem Wahlkreis auch 7 Prozentpunkte eingebüßt. Interessant ist, dass die stärksten Gewinne der AfD in einigen Hochburgen von SPD und CDU liegen, so in Leer, Aurich und Cloppenburg. In Gifhorn-Nord erreicht die AfD den stärksten Zuwachs mit 9,5 Prozentpunkten auf 17,1 Prozent – das ist die Heimat des Spitzenkandidaten Stefan Marzischewski, der seit Jahren auch in der Gifhorner Kommunalpolitik sehr aktiv ist. 

Die CDU sucht nach einer Neuorientierung: In der CDU sind diese Tage eine besondere Bewährungsprobe für den bisherigen Generalsekretär Sebastian Lechner. Der 41-Jährige hat am Montag angekündigt, heute für den Vorsitz der CDU-Landtagsfraktion kandidieren zu wollen. Wie es aussieht, haben mögliche andere Bewerber, die zur Altersgruppe „50 plus“ zählen, nicht mehr die Absicht, gegen Lechner anzutreten. Aber da der Favorit zugleich als Generalsekretär der Hauptverantwortliche für die erfolglose Wahlkampagne war, bläst ihm auch Wind ins Gesicht. Gestern sagte Lechner über sich selbst, er habe sich im Wahlkampf „richtig reingehängt“ in die Wahlkampfarbeit, aber „sicher nicht alles richtig gemacht“. Bestimmte Dinge würde er, wenn er könnte, „anders oder besser machen“. Wichtig sei jetzt, dass die zu klärenden Personalfragen in der CDU „nicht zu einer Hängepartie werden“. Der Landesvorsitzende müsse in der Partei „breit getragen werden“, dafür müsse man sich auch Zeit nehmen. Somit klang Lechner am Montag ganz anders als noch Althusmann am Wahlabend, der für November einen Sonderparteitag in Aussicht gestellt hatte. In der CDU herrscht nun bei einigen älteren, vor allem in der Bundestagsfraktion, Sorge vor einer Art „Putsch“ der jüngeren Garde um Lechner, der eilig neben dem Fraktions- dann auch den Parteivorsitz einnehmen könnte. So ist eine Gegenbewegung entstanden, die unter dem Motto „Wir nehmen uns Zeit“ steht. Die Vize-Landesvorsitzenden Fritz Güntzler (Göttingen) Lena Düpont (Gifhorn) und Reinhold Hilbers (Grafschaft Bentheim) sollen den Übergang moderieren, Ziel soll offenbar die Verständigung auf einen von einer breiten Mehrheit getragenen Bewerber sein, womöglich auch eine Bewerberin. Spekuliert wird, ob man die Position einem oder einer Bundestagsabgeordneten andienen soll. Es heißt, so etwas ginge nur dann, wenn der Generalsekretär im Landtag verwurzelt ist, gedacht wird an Jens Nacke aus dem Ammerland. Im Frühjahr 2023 könne ein Landesparteitag dann den kompletten CDU-Landesvorstand neu wählen. Kritiker dieser Idee erwidern, bisher habe der CDU-Landesvorsitz in Niedersachsen immer sein Zentrum in der Landespolitik und der Landtagsarbeit gehabt und nicht im Bundestag. Für Lechner sind die aktuellen Debatten in der CDU ein Signal, sich mit eigenen Ambitionen zurückzuhalten. Immerhin erklärte er am Montag schon mal: „Die Frage, wer Spitzenkandidat für die nächste Landtagswahl wird, dürfte in einer Urwahl der CDU-Mitglieder entschieden werden.“

Dieser Artikel erschien am 11.10.2022 in Ausgabe #178.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail