23. Okt. 2019 · 
Finanzen

Die Schuldenbremse ist beschlossen (mit Ausnahmen)

Am 1. Januar 2020 wirkt eine Bestimmung im Grundgesetz, die dort schon seit acht Jahren niedergeschrieben ist: Die Bundesländer dürfen keine neuen Schulden mehr aufnehmen – es sei denn, in ganz besonderen Ausnahmesituationen. Mit den Stimmen von SPD und CDU hat der Landtag gestern diese Vorschrift ins Landesrecht übersetzt. Geändert wurde zunächst der Artikel 71 der Niedersächsischen Verfassung und dann noch die Landeshaushaltsordnung. Damit entfällt künftig die Vorschrift, dass die Höhe der neuen Kredite der Höhe der „eigenfinanzierten Investitionen“ entsprechen muss, wie es bisher galt. Neu ist jetzt das grundsätzliche Verbot der neuen Schulden, und es werden einige Ausnahmen definiert. Erstens gibt es die sogenannte „Konjunkturkomponente“: Ist die Konjunktur erheblich schwächer als das „Normalmaß“, so dürfen ausnahmsweise doch Kredite aufgenommen werden. Ist sie erheblich stärker, so müssen Rücklagen für spätere schlechte Zeiten angehäuft werden. Diese Rücklage wird aber gedeckelt, sie darf fünf Prozent der Steuereinnahmen (das wären 2020 rund 1,4 Milliarden Euro) nicht übersteigen. Zweitens ist eine Ausnahme für „Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notlagen“ vorgesehen. Dieser Bereich hatte lange die Aufmerksamkeit der Debatte auf sich gezogen, weil die Koalitionäre darum ringen mussten. Hatte die rot-schwarze Regierung noch beschlossen, jede solcher Ausnahmen an die Zustimmung von zwei Dritteln des Landtags zu koppeln, so wurden in der SPD-Fraktion später Bedenken laut. Die Sozialdemokraten meinten, dass eine einfache Mehrheit reichen soll. Festgelegt wird nun, dass Kredite zur Abwehr von solchen Notlagen nur dann einer Zweidrittelmehrheit bedürfen, wenn die Summe 0,5 Prozent des Etatvolumens (also 165 Millionen Euro) überschreitet. Liegt der Betrag darunter, bleibt die einfache Mehrheit ausreichend. Das gilt aber, wie Finanzminister Reinhold Hilbers gestern kurz vor dem Gesetzesbeschluss im Landtag erläuterte, für jeden einzelnen Schadensfall. Bei drei Deichbrüchen jährlich wären also dreimal 165 Millionen Euro mit einfacher Landtagsmehrheit aufzunehmen. Stefan Wenzel (Grüne) meinte, der Betrag komme schon „mit drei Starkregenfällen“ zusammen – bei einem Deichbruch brauche man eine höhere Summe.
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Im Schatten der öffentlichen Diskussionen um die Schuldenbremse blieben bis zuletzt drei andere Details des neuen Gesetzesvorhabens: Erstens ist der Erwerb von Landesbeteiligungen (etwa an Unternehmen) ausgeklammert, hierfür wären also weiter Schulden erlaubt. Zweitens entfällt mit der Verfassungsänderung die bisherige, auf einem Staatsgerichtshofurteil basierende Regel, dass Rücklagen nicht auf Folgejahre übertragen werden dürfen, sondern jeweils als Kreditaufnahme angesehen werden müssen. Da die Verschuldungsvorschriften generell neu gefasst werden, gibt es nun auch keine Schranken mehr für die Nutzung von Rücklagen. Drittens profitieren auch die Kommunen von den neuen Vorschriften. Artikel 58 der Landesverfassung bestimmt, dass das Land ihnen Geld im Finanzausgleich „im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit“ überweisen muss. Diese Einschränkung wollten die Kommunalverbände eigentlich im Gesetzgebungsprozess zur Schuldenbremse abräumen. Sie bleibt nun doch, wird aber ergänzt mit dem Satz, dass „die Gleichwertigkeit der Aufgaben“ von Land und Kommunen berücksichtigt werden müsse. In der Landtagsdebatte vor dem Beschluss der Schuldenbremse rügte Christian Grascha (FDP), die Regelung sei „zu weich“: „Die CDU ist eingeknickt, die SPD hat sich durchgesetzt“. Ähnlich sieht es Peer Lilienthal (AfD). Frauke Heiligenstadt (SPD) meinte, die Koalition habe „intensiv gerungen und einen guten Kompromiss erzielt“. Ulf Thiele (CDU) lobte die Übernahme der Schuldenbremse ins Landesrecht. Das sei eine Absicherung, denn erst damit habe der Staatsgerichtshof das Recht, über die Schulden-Vorschriften zu wachen. Stefan Wenzel (Grüne) meint, die Verfassungsvorschrift sei zu streng und erlaube zu geringe Abweichungen. Dabei drohe der Handelskrieg zwischen Amerika und China die Weltwirtschaft zu lähmen, der Klimawandel belaste die Finanzen in noch ungeahntem Ausmaß. Wenn man die Vermögenswerte des Landes ehrlich bilanziere, ergebe sich ein großer Bedarf an weiteren Ausgaben – und das Land werde irgendwann gezwungen sein, die Schuldenbremse-Regel geschickt zu umgehen.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #187.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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