Der Termin war ganz bewusst gewählt: Just am 14. Januar, nach Ablauf der ersten beiden Wochen des neuen Jahres, wagt die bisher wenig bekannte Partei „Liberal-konservative Reformer“ (LKR) einen publizistischen Aufschlag: Künftig haben auch Dana Guth, einstige Landes- und Fraktionschefin der AfD in Niedersachsen, und der parteilose schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete Frank Brodehl, ebenfalls früher AfD, ein LKR-Parteibuch. So schickt sich die kleine Partei mit ihren bundesweit gerade mal 800 Mitgliedern an, als „neue Alternative“ aufzutreten. Oder, wie es der

LKR-Bundesvorsitzende Jürgen Joost aus Neumünster formuliert: „Wir sehen uns als bürgerliches Gegenangebot zu CDU, CSU und FDP.“

    Das Kalkül der LKR-Strategen geht auf: Am heutigen Freitag, 15. Januar, berichten mehrere Medien über die beiden Neuzugänge für die LKR – und damit bringt sich die Partei just jetzt als solche ins öffentliche Bewusstsein. Die Zielrichtung liegt gerade in diesen Tagen aber weniger bei der AfD und beim Versuch, weitere Politiker von dort zum „linken Ableger“ herüberzuziehen. Sie hat vielmehr vor allem mit der CDU zu tun und mit ihrer morgigen Personalentscheidung. Der Berliner LKR-Vorsitzende Christian Schmidt, einst Freie Wähler, danach AfD und nun LKR, bringt es denn auch auf den Punkt: „In dem Moment, in dem nicht Friedrich Merz, sondern Armin Laschet zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt worden ist, werden wir einen erheblichen Zulauf bekommen.“ Schon jetzt, ergänzt Schmidt, stehe man „in intensiven vertraulichen Gesprächen“ mit Vertretern der sogenannten „Werte-Union“, einer – nicht offiziellen – Gruppierung innerhalb der Union, die sich für eine Abkehr von der Politik Angela Merkels einsetzt. Entsteht jetzt also tatsächlich so etwas wie ein Auffangbecken für unzufriedene Konservative?

       Der LKR-Bundesvorsitzende Joost (60), Geschäftsführer eines Internet-Unternehmens, verknüpft diese Erwartung mit einer strategischen Vision: CDU, SPD und FDP, sagt er, hätten sich längst mit der AfD abgefunden. Die SPD tue zwar so, als bekämpfe sie die AfD, in Wirklichkeit geschehe das aber nur, weil die SPD rechtsaußen ein Feindbild brauche. Die CDU habe längst erkannt, dass sie mit der AfD rechnen müsse – und weil die AfD „politikunfähig“ sei, heiße das für die Union, immer mit SPD und Grünen zu koalieren und ständig im Wettbewerb mit diesen beiden um die relative Stärke zu stehen. „Dabei geraten konservative Positionen aus dem Blickfeld.“ Wenn nun die LKR als „weitere bürgerliche Partei“ an Gewicht gewinne und es schaffe, die AfD kurz zu halten, seien „endlich wieder bürgerliche Koalitionen in den Landtagen und auch im Bundestag möglich, also Bündnisse von CDU, FDP und LKR“. Soweit die Theorie von Joost, der seine Partei als „Plattform der Mitte, und zwar rechts von Armin Laschet“ einordnet.

    Ob diese Vorstellung so realistisch ist, wird die Zeit zeigen. Gegen einen raschen Erfolg der LKR sprechen auch einige Punkte. Die beiden LKR-Bundestagsabgeordneten, Uwe Kamann und Mario Mieruch, kommen aus der AfD. Das gilt auch für den Landtagsabgeordneten Frank Brodehl aus Schleswig-Holstein und die beiden niedersächsischen LKR-Landtagsabgeordneten Jens Ahrends (Ammerland) und Dana Guth (Göttingen). Dort, wo die LKR in Kommunalvertretungen Plätze einnimmt, so etwa seit kurzem im Harburger Kreistag, liegt der Ursprung nicht selten in Überläufern aus der AfD – nicht aber in solchen aus CDU oder FDP. Die „Alternative“, als die diese Partei erscheinen will, ist sie in der Wirkung bisher fast ausschließlich für unzufriedene AfD-Mitglieder. Neuer Vize-Generalsekretär der LKR wird im Übrigen Jens Krause, der langjährige Guth-Vertraute und frühere Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion in Niedersachsen. An vielen, die aus der AfD zur LKR gewechselt sind, gibt es auch die Kritik, die der AfD bis heute begegnet: Sie hätten sich mindestens missverständlich, wenn nicht abweisend gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen geäußert, sie hätten wenigstens zeitweise auch mit rechtsextremistischen Kräften kooperiert, sie würden bei zentralen Themen wie der europäischen Einigung oder der Westbindung extreme Haltungen vertreten. Nicht alle, die mal bei der AfD waren und heute bei der LKR sind, waren zu ihren AfD-Zeiten als jene identifiziert worden, die schon damals aufrechte Verteidiger des demokratischen Systems waren und sich vehement intern gegen rechte Tendenzen gewandt hätten.

    Nun verspricht Joost, dass man „sehr genau gucken wird“, welche Leute aus der AfD sich in der nächsten Zeit der LKR anschließen wollen. Nicht jeder sei willkommen, man werde auch die Vergangenheit einiger Bewerber recherchieren – vor allem dann, wenn die drohende Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz der neuen Gruppierung einen starken Zulauf bescheren sollte. Das ist nur ein Problem bei der Verstetigung der Parteiarbeit. Ein anderes nennt Joost mit Blick auf die Vorschrift, dass bisher nicht im Parlament vertretene Gruppierungen vor einer Landtagswahl 200 und vor einer Bundestagswahl sogar 2000 Unterschriften von Unterstützern vorlegen müssten. „Das können wir gegenwärtig in der Corona-Zeit gar nicht. Man darf gegenwärtig doch gar nicht auf Menschen zugehen und sie um eine Unterschrift bitten.“ Die Vorschrift müsse schleunigst außer Kraft gesetzt werden.             Unabhängig davon laufen die Vorbereitungen im Wahljahr bereits. Der niedersächsische AfD-Landesvorsitzende Bernd Vogel aus Loxstedt (Kreis Cuxhaven) betont, in jedem der 30 Bundestagswahlkreise wolle die LKR Direktkandidaten aufstellen – und eine Landesliste solle Ende Februar auch dazukommen. Bei der Kommunalwahl trete man an, in immer mehr Landkreisen sei man dabei, eigene LKR-Kreisverbände zu gründen. Die Mitgliederzahl in Niedersachsen hat die 100 schon überschritten. Einer davon ist ein alter Bekannter, er war einst der Gründer des Vorläufers der LKR, der Partei „Alfa“ (Allianz für Fortschritt und Aufbruch) und davor Gründer der AfD. Es ist Bernd Lucke, der erste Vorsitzende der AfD zu einer Zeit, als diese Partei noch den Ruf einer „Professorenpartei“ hatte. Lucke hält der LKR weiter die Treue, hat sich aber aus der aktiven Parteiarbeit zurückgezogen und konzentriert sich auf seine Tätigkeit als Hochschulprofessor in Hamburg. Sein Geist schwebt weiter.