Darum geht es: Kommenden Montag vor einem Jahr waren vorgezogene Landtagswahlen in Niedersachsen. Das mündete dann einen Monat später in eine Große Koalition. Der Jahrestag gibt Anlass, eine Bilanz zu ziehen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Da war der Koalitionsvertrag noch frisch: SPD-Landeschef Stephan Weil und CDU-Landeschef bernd Althusmann

Trifft man in diesen Tagen den Ministerpräsidenten Stephan Weil von der SPD oder seinen Stellvertreter Bernd Althusmann von der CDU, so ist beiden immer wieder ein gewisser Stolz anzumerken: Im Unterschied zur Großen Koalition auf Bundesebene, meinen sie übereinstimmend, arbeite man in Niedersachsen doch konzentriert und geräuschlos zusammen. Manchmal, aber durchaus selten, fügen Politiker der Regierungsfraktionen noch den Begriff „vertrauensvoll“ hinzu. Ist das übertrieben?

Ein bisschen schon. Vertrauen erkennt man durch den Verzicht auf Kontrolle. Aber in Niedersachsen bekommt man immer wieder den Eindruck, dass ein Großteil der Energie bei den sozialdemokratischen Ministerin darauf verwendet wird, genau zu schauen, was die christdemokratischen Kollegen tun. Umgekehrt ist das genauso. Und wenn ein wichtiges Zukunftsprojekt öffentlich vorgestellt wird, legt der Regierungschef Wert darauf, neben seinem Stellvertreter auf dem Podium zu sitzen. Das muss nun nicht schädlich sein, im günstigsten Fall ist die Fixierung auf den anderen Regierungspartner sogar belebend – denn sie könnte ja dazu anstacheln, mindestens so gut sein zu wollen wie die anderen am Kabinettstisch. Das wäre dann höchst produktiv und würde auch den Wettbewerb der guten Ideen, ohne den die Politik in Routine erstarren müsste, anheizen.


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Allerdings ist der Befund in der Realität eher enttäuschend: Anstelle einer vor interessanten Initiativen strotzenden, an neuen Gedanken bereicherten politischen Landschaft erleben wir eher die Schattenseite von dem, was Weil und Althusmann so lobend als „geräuschlos“ beschrieben haben. Die alltägliche Verwaltung der Staatsgeschäfte vollzieht sich still und unauffällig. Es gibt keinen offenen Streit und kein öffentliches Kräftemessen wie in der Großen Koalition in Berlin, aber eben auch viel zu selten erkennbaren Ehrgeiz, mit klugen Debatten eine Diskussion anzustoßen. Wozu auch? Alle wichtigen Fragen werden dann ja – geräuschlos – zwischen Weil und Althusmann im kleinen Kreis geregelt. Für den öffentlichen Diskurs, eines der Fundamente einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie, ist das nicht von Vorteil.

Das wäre ja noch hinnehmbar, wenn die Große Koalition wenigstens ihren eigentlichen Auftrag annehmen und sich zu notwendigen, auch zu schmerzhaften Reformen aufraffen würde. Von einem Bündnis der beiden großen politischen Kräfte im Land erwartet man doch gerade, dass dieses die langfristig erforderlichen Weichen stellt – auch um den Preis, einzelne Abgeordnete damit nicht mitzunehmen. Konkret ausgedrückt: Die Digitalisierung wird über kurz oder lang die Verwaltungsprozesse erheblich vereinfachen, das löst den Zwang aus, die Beschäftigtenzahl im öffentlichen Dienst zu senken und auch Behördenstandorte aufzugeben. Der Fachkräftemangel verstärkt diesen Prozess. Geschlossene Ämter aber erregen vor Ort stets Proteste, und womöglich kann man nicht von allen Abgeordneten einer bestimmten, von solchen Kürzungen betroffenen Region erwarten, dass sie die Reform im Landtag mittragen. Nötig sind die Einschnitte gleichwohl, wenn die öffentlichen Finanzen dauerhaft konsolidiert werden sollen. Das muss spätestens dann der Fall sein, wenn sich die Zeit der stetig sprudelnden Steuerquellen dem Ende neigt. Schon bei der bevorstehenden Steuerschätzung im November könnte sich das zeigen.

Außer dem vagen Versprechen, noch in diesem Jahr eine „Regierungskommission“ für die Verwaltungsreform einzusetzen, ist in dieser Hinsicht im vergangenen Jahr nicht viel geschehen. Immerhin hat Finanzminister Reinhold Hilbers sich an die Reform der Finanzämter gewagt, das ist ja schon mal etwas. Aber die Veränderung müsste viel umfassender, viel gründlicher geschehen – und sie müsste vor allem vom entschlossenen Willen der Regierung geprägt sein, die Landesverwaltung für die kommenden Herausforderungen zukunftsfest zu machen. Davon ist indes wenig zu spüren.

Man fragt sich manchmal, warum wir in Niedersachsen überhaupt eine Große Koalition haben. Nur, weil sich FDP und Grüne im Herbst 2017 nicht durchringen konnten, zusammen und mit der SPD oder alternativ der CDU eine Mehrheit zu bilden? Das wäre wohl deutlich zu wenig.

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