
Auf den 61-jährigen Sozialdemokraten Detlef Ahting, einen Gewerkschafter alter Schule, folgt bald eine 39-jährige Diplompädagogin aus Hannover, die früher für die Grünen in der hannoverschen Kommunalpolitik aktiv war. Andrea Wemheuer, seit 2019 Vize-Landesbezirksleiterin, soll im nächsten Jahr an die Spitze der mehr als 200.000 Mitglieder zählenden Gewerkschaft Verdi im Landesbezirk Niedersachsen-Bremen treten. Die Wahl gilt als sicher, da im Vorfeld der Bezirksvorstand ein möglicher Gegenkandidat, der seine Bewerbung schon fertiggestellt hatte, die Kandidatur wieder zurückgezogen hatte. Sebastian Wertmüller, der schon 2019 gegen Ahting angetreten, aber knapp unterlegen war, schickte sich jetzt wieder an, seinen Hut in den Ring zu werfen. Doch dann zog er zurück – wohl auch in der Erkenntnis, dass er altersbedingt nicht mehr die Erneuerung der Organisation repräsentieren kann.
Mit dem Wechsel an der Spitze, der zum Landesgewerkschaftstag am 24. März perfekt werden soll, steht in einer weiteren Gewerkschaft ein Generationswechsel an. In diesem Jahr hatte Kevin Komolka (33) bei der Gewerkschaft der Polizei den langjährigen Chef Dietmar Schilff (60) abgelöst. Stefan Störmer hat die Führung der GEW als größter Lehrergewerkschaft übernommen. Bei Verdi geht es nun weiter, Ahtings Amtszeit läuft aus – zwölf Jahre lang hat er dann an der Spitze von Verdi gestanden, jener Dienstleistungsgewerkschaft, die einst aus dem Zusammenschluss von ÖTV und DAG entstanden war. Irgendwie zählte Ahting zu der Sorte Gewerkschaftsführer, wie sie früher häufiger waren: ideologisch stark gefestigt, eingebettet in eine klare Hierarchie, mit unverrückbarem politischen Kompass. Manche meinen, die heutige Generation der Gewerkschafter sei in Form und Inhalt womöglich etwas flexibler, etwas pragmatischer und weniger intellektuell vertiefend. Als Ahting im März 2019 zur Wiederwahl antrat, wurde er von dem ein Jahr älteren Wertmüller, Verdi-Geschäftsführer für Süd-Ost-Niedersachsen, herausgefordert. Wertmüller wollte Verdi politischer ausrichten, tagesaktuelle gesellschaftspolitische Fragen wie die Demonstrationen gegen den Rechtsextremismus oder die Bedrohung der Beschäftigten durch „Wutbürger“ stärker in den Mittelpunkt rücken. Ahting hingegen verstand Verdi stärker als Interessensvertretung der Beschäftigten mit Blick auf die Tarifpolitik und betonte, den Fokus auf die Arbeitsbedingungen in den Betrieben und Unternehmen zu legen. Für Ahting waren Grundsatzfragen bedeutender als taktische Winkelzüge der Öffentlichkeitsarbeit.

Übertragen auf die Konfliktlinie Ahting/Wertmüller steht nun Wemheuer stärker für die Fortsetzung der Ahting-Politik. Im Landesvorstand wird die Ära Ahting ohnehin als erfolgreich beschrieben. So rechnen es sich viele Verdi-Funktionsträger intern durchaus als Pluspunkt an, die Pflegekammer verhindert zu haben – und damit auch die Gefahr einer Alternativ-Interessenvertretung für Pflegekräfte abgewendet zu haben. Kritiker sagen, der bisherige Vorsitzende Ahting habe zuweilen bestimmte Probleme lange intensiv und tiefgründig beleuchtet, was häufig zu Lasten einer schnellen Positionsbestimmung in aktuellen Diskussionen geführt habe. Andererseits half sein SPD-Parteibuch wohl auch, seinen Einfluss auf dem kurzen und inoffiziellen Dienstweg auszuüben. Das dürfte Wemheuer, die bei den Grünen sozialisiert wurde, in manchen Fällen schwieriger fallen. Womöglich wird dafür aber ihr Zugang zu den von Grünen geführten Ministerien einfacher. Wemheuer ist in St. Andreasberg im Harz aufgewachsen, sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seit 20 Jahren lebt sie in Hannover. Von 2009 an hat sie hauptamtlich für die Gewerkschaft gearbeitet, nämlich erst als Jugendsekretärin im Bereich Weser-Ems, danach im Fachbereich Sozialversicherung und seit 2019 dann als Vize-Vorsitzende.
Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick sagte Wemheuer, die Gewerkschaft stehe vor „herausfordernden Zeiten“. Seit 2002 habe sich die Zahl der Arbeitnehmer, für die kein Tarifvertrag gilt, auf fast 50 Prozent verdoppelt. Die Transformation der Arbeitswelt, der Klimawandel und der Rechtspopulismus seien große Probleme. Es gehe um die Aufwertung systemrelevanter Berufe, um Chancengleichheit für Frauen und bessere Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor. Mängel seien überall zu sehen – in der Finanzierung des Gesundheitswesens, bei der Ausstattung der Kindergärten, der Finanzierung der Erwachsenenbildung, beim fehlenden Rettungsschirm für Kommunen und bei den Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst des Landes. Tarifpolitik bleibe „die Kernkompetenz von Verdi“, betont Wemheuer.