Die Friesenbrücke – Symbol für politische Selbstblockade
Das war ein Unfall mit Langzeitfolgen – und das bis hinauf in die deutsche und die internationale Politik. Als am Abend des 3. Dezember 2015 auf der Ems ein Frachtschiff gegen die 90 Jahre alte Friesenbrücke prallte, direkt an der Verbindung zwischen den ostfriesischen Gemeinden Westoverledingen und Weener, hatte wohl niemand vor Augen, welch massive politische Folgen der Unfall noch haben würde. Seither, also bald anderthalb Jahre lang, ist die Brücke, über die eine Bahnlinie führte, nicht mehr nutzbar. Auch die Fußgänger zwischen beiden Orten kommen nur noch über große Umwege ins Nachbardorf. Denn die Frage, wie das alte Bauwerk saniert werden soll oder ob man es nicht gleich ganz neu bauen sollte, teilt die Geister. Mehrere Spitzengespräche zwischen den Beteiligten – Bund, Land, Bahn und Landkreise – führten zu keinem Ergebnis. An der zerstörten Brücke herrscht ganz offensichtlich politische Selbstblockade. Und niemand weiß so recht, wer daran eigentlich die Schuld trägt.
Liegt es an der aufgeladenen Bedeutung, die mittlerweile dazugekommen ist? Die Brücke führt über die Ems, und die Ems wird mehrmals jährlich zur Überführung der schweren Kreuzfahrtschiffe genutzt, die in Papenburg bei der Meyer-Werft gebaut werden und in die Nordsee gesteuert werden. Dazu musste bisher die Friesenbrücke nicht nur aufgeklappt, sondern auch noch aufwendig ausgekoppelt werden, denn für die Durchfahrt der großen Meyer-Riesen ist dort alles zu knapp bemessen. Nun gibt es die Idee, von der Meyer-Werft befördert, die alte Brücke durch einen Neubau zu ersetzen. Das hätte auch für die Bahn große Vorteile einer wesentlich schnelleren Öffnung, denn bisher muss der Bahnverkehr für rund 50 Tage im Jahr, wegen der großen Kreuzfahrtschiffe, gesperrt werden. Eine neue Brücke, dreh- und klappbar, könnte viel rascher auf die neuen Bedingungen ausgerichtet werden – das würde der Werft helfen und der Bahn.
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Aber der Teufel steckt im Detail. Die Bahn erklärte, die Brücke im alten Zustand wieder herstellen zu wollen. Zu mehr sei man nicht verpflichtet, mehr dürfe man auch gar nicht finanzieren. Erste Berechnungen kamen auf den Tisch, die von einem erheblichen Zeit- und Kostenunterschied ausgingen. Angeblich wäre ein Neubau 15 Millionen Euro teurer als die auf 30 Millionen Euro geschätzte Reparatur. Angeblich würde die Sanierung fünf Jahre dauern, der Neubau mindestens drei Jahre länger – da dann auch ein neues Planfeststellungsverfahren erforderlich wäre. Nur: Es mehren sich Zweifel an dieser Gegenüberstellung. Reicht die Sanierung eines fast 100 Jahre alten Bauwerks aus – oder sind dann nicht auch höhere Sicherheitsanforderungen notwendig? Halten die alten Brückenpfeiler ein solches Vorhaben überhaupt aus – oder müssten diese nicht erneuert werden, was dann womöglich auch ein neues Planverfahren zur Folge hätte? Und überhaupt: Würden die Umweltverbände stillhalten und auf eine Klage, die die ganze Aktion noch einmal um Jahre in die Länge ziehen würde, verzichten? Bisher sieht es nicht so aus.
Im Landtag sind alle Kräfte gebündelt, die sich für einen Neubau einsetzen: Die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder wirbt dafür, CDU-Generalsekretär Ulf Thiele – und Landtagspräsident Bernd Busemann, der in Meyers Wahlkreis sitzt, knüpfte direkt Kontakt zum damaligen Bahn-Chef Rüdiger Grube. Bei Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD), der massiv für den Neubau wirbt, kam man zum Spitzengespräch zusammen – aber ohne Erfolg. Das Land zeigt sich sogar bereit, fünf Millionen Euro vorzufinanzieren. Außerdem wird auf die internationalen Beziehungen verwiesen. Die Brücke liegt auf der Bahnverbindung vom holländischen Groningen nach Bremen – und seit mehr als einem Jahr kann diese Linie nicht benutzt werden, es wird ein Bus-Ersatzverkehr eingerichtet. Ein rascher Fortschritt wäre also durchaus auch im Interesse der niederländischen Regierung – und böte die Chance zu einer Kooperation mit dem Nachbarland.
Aber in verschiedenen Gesprächen gab es keinen Durchbruch. Warum? Vom Bund heißt es, man dürfe selbst kein Geld zuschießen, dies könne nur das Land über die Wirtschaftsförderung tun – und auf dem Weg, von dritten (etwa den Niederländern) einen Zuschuss zu organisieren. Aber angeblich hat das Land bisher maximal ein Drittel der möglichen geschätzten Mehrkosten von 15 Millionen Euro zusammen. Also endeten einige Spitzengespräche, an denen auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann, teilnahm, ergebnislos. „Das ist alles eine Posse“, sagt Landtagspräsident Busemann. Kopfschütteln herrscht auch bei den Landtagsabgeordneten, fraktionsübergreifend. Da wird viel über Vorfinanzierungen, Zuschüsse und Unterstützung geredet – doch monatelang tut sich nichts. Die Verantwortlichen agieren abwartend, ausweichend und zögerlich.
Woran liegt es? Auf den Landtagsfluren erzählt man sich unterschiedliche Geschichten. Die einen meinen, der Bund spiele auf Zeit und werde irgendwann in einer großzügigen Geste für den Neubau plädieren – allerdings lieber morgen als heute, lieber dichter vor dem Termin der Bundestagswahl. Die anderen sprechen von irrationalen Argumenten von Kräften, die auf die Bahn einwirken. So gibt es eine jahrhundertealte Rivalität zwischen Ostfriesland und Emsland – und dass die Meyer-Werft über Jahrzehnte von der Landespolitik in Hannover Unterstützung erfahren hat, sehen nicht alle politischen Akteure mit Begeisterung.
Ob das Zögern also den Grund hat, die Meyer-Werft jetzt „ein wenig brutzeln zu lassen“? Das Unternehmen aus Papenburg tut in dieser Phase das einzig richtige – es zeigt sich kooperativ und hilft bei der Finanzierung der Fährverbindung über die Ems. So haben wenigstens die Menschen aus Weener und Westoverledingen endlich wieder die Chance zum schnellen direkten Kontakt. Außerdem prüft die Werft, ob ein Neubau nicht noch kostengünstiger und einfacher möglich wäre, um noch eine politische Brücke für den Neubau der Brücke zu bauen. Das ist ja schon mal etwas, wenn auch ein schwacher Trost. (kw)