Darum geht es: CDU und FDP haben gestern Zwischenbilanz zum Islamismus-Untersuchungsausschuss gezogen. Dabei attestierten sie der Polizei gravierende Fehler beim Umgang mit der damals 15-jährigen Safia S., die Ende Februar dieses Jahres auf einen Polizeibeamten eingestochen hatte. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Die Opposition im Landtag steckt in einem Dilemma. Sie hat einerseits ganz viele Aussagen von Zeugen gesammelt, die auf gravierende Fehleinschätzungen von Polizei, Landeskriminalamt und Verfassungsschutz hindeuten. Offenbar ist die Gefahr von islamistisch motivierten Anschlägen, die von einer Jugendlichen und ihrem Umfeld ausging, nicht richtig eingeschätzt, also auf die leichte Schulter genommen worden. Andererseits gilt aber: Die Situation hat sich seither verändert, inzwischen sind die Sicherheitskräfte auf der Hut. Aus den Fehlern scheint gelernt worden zu sein. Betreibt die Opposition mit dem Untersuchungsausschuss also nur Vergangenheitsbewältigung – auch wenn es sich um eine erst wenige Monate zurückliegende Vergangenheit handelt?
Es sind Indizien, die Jens Nacke (CDU) und Stefan Birkner (FDP) gestern vorgetragen haben. Aber sie sind zahlreich und erdrückend: Als Safia in die Türkei gereist war und aus ihrer Familie und von der Schule kritische Hinweise kamen, hatte die Polizei sie tatsächlich ins Visier genommen. Aber die Handys, die bei ihr nach Rückkehr von der Reise sichergestellt wurden, hat man nur unvollständig ausgewertet, die Anschlagsdrohung – verfasst auf arabisch – blieb unentdeckt. Wenige Wochen später dann kam es zu dem Messerattentat des Mädchens. Der Verfassungsschutz hatte Safia S. offenbar nicht richtig im Blick gehabt, und der von Nacke und Birkner gehegte Verdacht, dies könnte mit politischen Vorgaben zu tun haben, drängt sich geradezu auf. Tatsächlich wurde im Verfassungsschutz darüber gesprochen, dass man Minderjährige doch nicht mehr speichern sollte. Es wurde stattdessen eine „Syrienliste“ in der Behörde angelegt – eine schwarze Liste, die wohl auch von den Mitarbeitern unterschiedlich ernst genommen wurde. Dann sandte das Landeskriminalamt, offenbar auf der Basis falscher Informationen, kurz vor dem Attentat eine entwarnende Botschaft an das nachforschende Bundeskriminalamt. Und die Querverbindungen zwischen Safia und anderen Jugendlichen, die eine Nähe zu Salafisten hatten, wurden den Behörden auch erst viel zu spät offenbar. Geschah das alles, weil von Rot-Grün zuvor ein Signal ausgegangen war, den Dialog mit dem Islam zu suchen und es weder mit Kontrollen vor Moscheen, noch mit Kontrollen von Jugendlichen Anhängern des Islamismus zu übertreiben? Hinweise in diese Richtung häufen sich.
Gleichzeitig bleibt Schwarz-Gelb mit dem Ruf nach politischen Konsequenzen zurückhaltend, und das aus gutem Grund. Kritik am aktuellen Verhalten der Verantwortlichen in Polizei und Verfassungsschutz gibt es nicht – die Behörden haben spät den falschen Weg erkannt und dann – offenbar entschlossen und konsequent - umgesteuert. Vielleicht treten demnächst noch mehr frühere Fehler und Schwachstellen zutage, wenn es um die Ausreisewellen von Islamisten in Wolfsburg und Hildesheim geht. Auch das sind aber Fälle der Vergangenheit. Das eigentliche Ziel der Opposition, die politische Verantwortung für die Versäumnisse klar zu definieren, dürfte Nacke und Birkner schwer fallen. Beide Politiker sprechen berechtigt von einer „Verunsicherung“ der Sicherheitsbehörden im Umgang mit Islamisten, vor allem im Umgang mit jugendlichen Islamisten. Dass dafür eine klare, eindeutig formulierte Anweisung des Innenministers oder der Leitung von Landeskriminalamt, Polizei oder Verfassungsschutz die Ursache gewesen sein könnte, ist wohl kaum anzunehmen. Daher ist die Kritik, Minister Boris Pistorius trage für die Versäumnisse die Verantwortung, am Ende schwer festzumachen. Wenn es anders wäre, hätten Nacke und Birkner sicher auch schon seinen Rücktritt gefordert.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #225.