„Nur Niedersachsen entkommt der Demografie-Falle“ – so lautete vor etwa zwei Jahren eine Zeitungsüberschrift über die Zukunft des deutschen Arbeitsmarktes. Wer zwischen Cuxhaven und Duderstadt allerdings bereits Hoffnung schöpfte, wurde enttäuscht. Mit „Niedersachsen“ waren vor allem die Landkreise Emsland, Cloppenburg und Vechta gemeint, die, obwohl sie zum ländlichen Raum gehören, auch in den kommenden Jahren ein Plus bei den Arbeitsplätzen zu erwarten haben. Für Landkreise wie Northeim oder Lüchow-Dannenberg ist dagegen nach wie vor keine Entwarnung in Sicht. Die demographische Schrumpfkur ist programmiert.

Die Unternehmen sind in einer Zangensituation, sagt Lutz Stratmann - Foto: MWK Niedersachsen

Die Unternehmen sind in einer Zangensituation, sagt Lutz Stratmann – Foto: MWK Niedersachsen

Was bedeutet die demographische Entwicklung für die Unternehmen? Damit befasst sich seit inzwischen fast fünf Jahren die Demografieagentur Niedersachsen, die von Arbeitgebern und Gewerkschaften gegründet wurde und an deren Spitze ein Geschäftsführer mit langjähriger politischer Erfahrung steht: Lutz Stratmann, rund 17 Jahre CDU-Landtagsabgeordneter und sieben Jahre lang Wissenschaftsminister in Niedersachsen. Mit seiner Demografieagentur setzt Stratmann gerade zum nächsten großen Schritt an – „the next big thing“, würde man vermutlich in einem Unternehmen sagen. Das bundesweite Unternehmens-Audit der Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ geht nach einer fünfjährigen Pilotphase unter Federführung der Bertelsmann-Stiftung nun bundesweit an den Start. Im Bundesarbeitsministerium hat man entschieden, dass der Träger in Hannover seinen Sitz haben soll: Die Demografieagentur Niedersachsen wächst über Niedersachsen hinaus.

Was genau passiert bei diesem Audit und wozu braucht man es? „In Südniedersachsen gibt es Unternehmen, die in den kommenden zehn Jahren altersbedingt bis zu 40 Prozent ihrer Belegschaft verlieren“, erklärt Stratmann im Gespräch mit dem Rundblick. „Die Herausforderung wird sogar noch größer, weil die betroffenen Unternehmen in einem Umfeld ihren Sitz haben, in dem Bevölkerung und Beschäftigungspotenziale abnehmen. Diese Unternehmen werden große Schwierigkeiten haben, Stellen zu besetzen, sie sind in einer Zangensituation.“ Jetzt gehe es darum, in den Unternehmen Ideen entwickeln, um die Situation zumindest zu entschärfen. Das Audit soll die Firmen bei diesen dringend nötigen Prozessen unterstützen. Stratmann spricht von einem systemischen Beratungsansatz.

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Am Beginn eines Beratungsprozesses steht eine laut Stratmann mit viel Aufwand entwickelte Mitarbeiterbefragung. „Wir wollen die Firmen oder auch Verwaltungen dabei unterstützen, eine zukunftsfeste Unternehmensstruktur herauszubilden Mit der Befragung können wir herausfinden, wo das Unternehmen in dem Prozess steht und an welchen Stellen es hapert.“ Und wo hapert es gewöhnlich am meisten? Beim Wissenstransfer, ist Stratmann überzeugt. Häufig würden in Unternehmen nur schlichte „Wikis“, also Online-Textsammlungen, geführt. „Es ist aber wichtig, mit den langjährigen Mitarbeitern zu sprechen und konkret nachzufragen: Was an Deinem Wissen ist für das Unternehmen besonders wertvoll?“ Darüber hinaus gebe es einen hohen Bedarf für neue Arbeitszeitmodelle. Am Ende des Beratungsprozesses entscheidet ein Kuratorium darüber, ob das Unternehmen eine Urkunde erhält.

Finanziell bekommt die Demografieagentur in den kommenden drei Jahren noch eine Anschubfinanzierung vom Bundesarbeitsministerium aus Berlin. „Unser Ziel ist aber, dass das Projekt aus eigener Kraft fliegt – und das wird es auch, davon bin ich überzeugt“, sagt Stratmann. Umsonst ist die Beratung für Unternehmen nicht. Kleine Betriebe zahlen knapp 4000 Euro, große Unternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeitern müssen rund 19.000 Euro überweisen. Mit dem Geld und den Zuschüssen finanziert die Demografieagentur bisher 13 hauptamtliche Mitarbeiter und 35 freiberufliche Berater. Die Zahl soll nun aber aufgestockt werden.

So ganz von der Politik kann der jetzige Unternehmensberater Lutz Stratmann aber dennoch nicht lassen. Auf die Frage, welche Aufgaben denn die Politik im Zeichen des demographischen Wandels in Angriff nehmen müsste, ist er schnell wieder im Modus des Landespolitikers. So mahnt Stratmann eine Verbesserung der Infrastruktur an. „Die Attraktivität des ländlichen Raums nimmt ab. Je mehr man aber wegbrechen lässt, desto schwieriger wird es für die Unternehmen“, warnt Stratmann. Er könne auch durchaus verstehen, dass in einigen Gemeinden aufgrund der zurückgehenden Schülerzahlen darüber diskutiert werde, Grundschulen gegebenenfalls zu schließen. „So eine Schließung kann kurzfristig finanziell Sinn ergeben. Langfristig wird aber genau das Gegenteil erreicht, weil es einen weiteren Attraktivitätsverlust nach sich zieht, der es jungen Familien schwer macht, in die Region zu ziehen. Dadurch wird eine negative Entwicklung nur noch beschleunigt.“ (MB.)