2. Juni 2019 · 
Bildung

„Die Debatte über Digitalisierung ist in Deutschland viel zu angstbelastet“

Björn Thümler (CDU), Niedersächsischer Wissenschaftsminister, warnt vor einem verengten Blick auf die Digitalisierung. Es gehe nicht nur um Netzausbau, Funklöcher und Glasfaserkabel, sondern um die Veränderung unserer Lebensweise. Niedersachsen ist aus seiner Sicht führend bei dem Versuch, die wissenschaftliche Basis für diese Themen an den Hochschulen zu verbreitern. Thümler äußert sich im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Rundblick: Der Ausbau der Netze und die Beseitigung von Funklöchern ist doch vordringlich, sonst kann es mit den hochgestellten Plänen zur Digitalisierung – etwa der Verwaltung – gar nicht klappen, oder? Thümler: Sicher ist das zentral. Aber ich bitte darum, den Blick nicht zu verengen auf die rein technischen Fragen. Unsere Gesellschaft wird sich verändern, und wir sind ja bereits mitten im Prozess. Denken wir an unser Kommunikationsverhalten und die Bedeutung, die Kanäle wie  Youtube inzwischen erlangt haben – in der Endphase des Europawahlkampfes haben wir ihre mediale Durchschlagkraft deutlich gesehen. Oder denken wir an die Veränderungen in der Arbeitswelt, an Homeoffice und die Möglichkeiten auch weit entfernt vom eigentlichen Büro wichtige Dinge erledigen zu können, oder auch zu müssen. Ich bin sehr dafür, dass wir uns möglichst früh wissenschaftlich mit Chancen und Risiken  beschäftigen, die sich aus der Digitalisierung unserer Lebenswelt ergeben. Gleichzeitig kann die wissenschaftliche Auseinandersetzung sicher auch helfen, die aktuell geradezu hysterisch geführte Digitalisierungsdebatte ein wenig zu relativieren. Rundblick: Inwiefern? Thümler: Naja, letztlich bedeutet Digitalisierung, dass Kulturtechniken, die die Menschen seit jeher anwenden – Kommunikation, Informationsaustausch, Vernetzung untereinander – über neue Techniken und Medien „abgewickelt“ werden. Medialen Wandel hat es immer schon gegeben, man denke nur beispielsweise an die Entwicklung des Buchdrucks und die gesellschaftlichen Folgen. Ja, vieles wird sich durch die Digitalisierung verändern. Manches wird gut sein, anderes müssen wir kritisch hinterfragen. Ich empfinde die Digitalisierungsdebatte in Deutschland mitunter als zu angstbelastet. Bei meinem Besuch in Estland habe ich das anders erlebt – dort spürt man einen anderen Geist. Mehr Mut und eine positivere Grundeinstellung, das könnten wir von den Esten lernen. Rundblick: Sie wollen 50 Digital-Professuren ausschreiben. Wie weit ist das gediehen? Thümler: Das Interesse der Hochschulen ist riesengroß. Insgesamt liegen Anträge von 14 Universitäten und Fachhochschulen vor – einzeln und im Verbund – die wir nun von wissenschaftlichen Experten überprüfen lassen. Wir haben zwei Möglichkeiten angeboten: Wenn eine Hochschule solitär etwas aufbauen möchte, kann sie bis zu acht Professuren bekommen. Möchte sie im Verbund mit anderen Universitäten tätig werden, sind bis zu 18 Professuren möglich. Ich lege Wert auf eine große Bandbreite der Angebote – es werden Informatik-Experten gebraucht, die sich in diesen Prozessen gut auskennen, aber genauso Gesellschaftswissenschaftler, deren Schwerpunkt die Auswirkungen der Digitalisierung auf politische Prozesse oder beispielsweise die Arbeitswelt ist. Rundblick: Und die Hochschulen beißen an? Thümler: Der Bund und einige Bundesländer wie Bayern haben ähnliche Pläne, die aber noch nicht so konkret sind wie unsere. Wir bieten in der Konkurrenz mehrere Vorteile an: Bei uns kann man frei forschen, ohne den Druck, rasch Ergebnisse liefern zu müssen. Mit Mitteln aus dem VW Vorab können wir gute Rahmenbedingungen für die Professorenstellen schaffen. Darüber hinaus befindet sich gerade ein Zentrum für digitale Innovationen im Aufbau – die zugehörigen Zukunftslabore sollen voraussichtlich im Herbst ihre Arbeit aufnehmen. Hier sollen sich die Digitalisierungsprofessuren ebenfalls einbringen können. Rundblick: Sie denken auch daran, die Lehre selbst stärker digital auszurichten… Thümler: Wir stellen als Teil des Masterplans Digitalisierung 5,5 Millionen Euro bereit, damit ein Portal für digitale Lehrmaterialien geschaffen wird – und zwar hochschulübergreifend. In diesem Netzwerk sollen Studenten in Zukunft auf Lehrmaterialen  digital zugreifen können. Außerdem müssen wir die Lehrerbildung im Hinblick auf die Digitalisierung neu organisieren. Heute haben wir doch oft die Situation, dass die Lehrer mit den digitalen Prozessen fremdeln, die für die Schüler eine Selbstverständlichkeit sind, weil sie in einer ganz anderen Welt aufgewachsen sind. Deswegen ist es an den Hochschulen aus meiner Sicht auch so wichtig, dass die Studierenden in die Gestaltung der digitalen Lehre einbezogen werden. Rundblick: All diese Dinge sind ja im Haushalt schon finanziert, es dürfte darüber vermutlich kein großes Gerangel mehr geben. Im vergangenen Jahr aber hatten wir eine lange Diskussion über die Kulturförderung. Dabei ging es um die kommunalen Theater, die etwa 12 Millionen Euro brauchten. Es hieß seinerzeit, diese Aufgabe müsse endlich mal dauerhaft in den Landeshaushalt geschrieben werden, damit nicht jedes Jahr aufs Neue eine Debatte über diese Förderung beginnt. Wie weit sind Sie dabei gekommen? Thümler: Über die Haushaltsaufstellung, mit der im Wesentlichen das Finanzministerium beschäftigt ist, kann ich nicht viel sagen. Die Gespräche darüber laufen. Natürlich ist es nicht einfach einen Landesetat zu entwickeln mit ganz vielen verschiedenen Ansprüchen. Aber klar ist für mich: Die Kulturförderung ist elementar für den Zusammenhalt in unserem Land, gerade angesichts von Kräften, die eher teilen als zusammenführen. Kultur kann Identität stiften, ein Heimatbewusstsein schaffen und den Kitt liefern, der nötig ist, um die Gesellschaft nicht auseinanderdriften zu lassen. Das müssen wir in der Landesregierung beachten, wenn wir Ende Juni den Entwurf für den Etat beschließen.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #106.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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