Die Debatte der Woche…
…dreht sich um den 35-jährigen Igor K. aus Montenegro, der einige Tage in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) behandelt worden war. Der Mann soll ein hochrangiges Mitglied der Mafia sein, offensichtlich wird er auch bedroht. Denn erst ein riesiges Aufgebot an Polizei, das Igor K. bewacht und die Zufahrten zur MHH förmlich abgeriegelt hat, brachte den Fall an die Öffentlichkeit: Da wurde ein offenbar hoch gefährlicher Mann in Deutschland behandelt, und das in Niedersachsens Vorzeigeklinik.
Ist das nun ein Skandal?
Zur „Debatte der Woche“ wird das Thema von der Rundblick-Redaktion auserkoren, weil die Vorgänge plötzlich die gesamte Landespolitik zu elektrisieren scheinen. Der Leitung der MHH werden vom Wissenschaftsministerium und von mehreren Landtagsfraktionen schwere Versäumnisse vorgehalten, weil das Wissenschaftsministerium als Aufsichtsbehörde und das Innenministerium als Polizeibehörde erst einige Tage nach der Aufnahme des Patienten informiert wurden. Einige Politiker meinen, damit seien die übrigen Patienten in der MHH unnötig einer Gefahr ausgesetzt worden. Wird also mit Igor K. die Kriminalität nach Niedersachsen importiert?
Lesen Sie auch:
Igor K. in der MHH: So reagiert die Landespolitik
Wohin mit angeblichem Mafia-Boss? Ein verletzter Mann hält die Politik in Atem
Zur Erhellung dieser merkwürdigen und zumindest in Hannover sehr emotional geführten Diskussion hier ein paar Streitfragen:
Durfte oder musste Igor K. in Hannover behandelt werden? Der Verletzte war mit sieben Schussverletzungen, die er bei einem Anschlag auf ihn in Montenegro erlitten haben soll, in die MHH eingeliefert. Er war offenbar nicht mit Haftbefehl gesucht, hatte auch das Recht, ungehindert nach Deutschland zu kommen. Die Argumentation, dass ein Krankenhaus seine Behandlung ablehnt, ist deshalb schwer zu führen. Unberührt davon bleibt die Frage, warum es gerade die MHH sein musste? Weil Igor K. vermögend ist und sich die gute Behandlung als Privatpatient hier etwas kosten lassen konnte? Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage nach der Bezahlung: Kommt das Geld aus Einnahmen des Drogenhandels oder der Prostitution? Wenn der Verdacht einer solchen Quelle besteht, hätte die MHH das Geld annehmen dürfen – oder hätte man, weil der Verdacht der Geldwäsche besteht, die Polizei einschalten müssen?
Hätte der Schutz effektiver organisiert werden müssen? Ob die massive Polizeipräsenz an der MHH die Aufmerksamkeit nicht erst auf diesen Fall gelenkt hat und der Schutz nicht auf andere, unauffällige Art und Weise besser hätte organisiert werden können, muss auch erörtert werden. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die MHH vor einem riesigen Umbau steht, da die Bauten sowieso nicht mehr modernsten Anforderungen genügen. Eine Erklärung dafür, dass es vermutlich keine ausreichenden abgeschotteten Bereiche für schwierige Krankenbehandlungen gibt, liegt also in den allgemein bekannten baulichen Unzulänglichkeiten der MHH.
Hat die Kommunikation zwischen MHH und Politik geklappt? Die meisten waren überrascht, als die Behandlung von Igor K. auf einmal ein riesiges Thema in den Medien wurde – passend zu der für filmische Darstellungen hervorragend geeigneten Kulisse: Ein Krankenhaus wird von einem massiven Polizeiaufgebot bewacht. Offenbar ist die Brisanz des Falles der MHH-Leitung erst spät bewusst geworden, was auch daran liegen kann, dass der behandelnde Arzt zu spät seine Klinikleitung unterrichtet hat. Das ist nicht der erste Fall, in dem es Misshelligkeiten zwischen Teilen der MHH-Führung und der Landespolitik gibt, insofern brechen auch alte Konflikte wieder auf.
Müsste nicht Igor K. für den Polizeieinsatz zahlen? Wenn ein unbescholtener Bürger (und als solcher gilt Igor K., solange nichts gegen ihn vorliegt und er nicht mit Haftbefehl gesucht wird) bedroht wird, ist der Staat zu seinem Schutz gefordert – auch dann, wenn dieser Bürger im Ausland wohnt und sich als Patient hierzulande aufhält. Das spricht dagegen, dass man ihn für den Polizeieinsatz zur Kasse bittet. Eine solche Rechnung ist erst dann gerechtfertigt, wenn Fehlverhalten desjenigen, der den Polizeieinsatz auslöst, vorliegen sollte. Bisher ist ein solches Fehlverhalten bei Igor K. aber nicht nachgewiesen worden.
Wie wird K. von den Behörden eingeschätzt? Lange Zeit hieß es, gegen den mutmaßlichen Mafia-Boss liege nichts vor, er genieße daher Aufenthaltsfreiheit und auch das Recht auf Polizeischutz, wenn er bedroht werde. Vergangenen Mittwoch nun, nachdem der Fall über eine Woche lang öffentlich in Hannover diskutiert wurde, verhängte die Landeshauptstadt in Abstimmung mit dem Innenministerium eine Ausweisungsverfügung gegen K. Zur Begründung wurde erwähnt, vom Aufenthalt des Patienten in der MHH gehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Woher nun dieser Sinneswandel?