Darum geht es: In ihrem Regierungsprogramm hat sich die Bundes-SPD für eine Bürgerversicherung ausgesprochen. „Eine Zwei-Klassen-Medizin soll es nicht länger geben“, heißt es. Jetzt soll die  Bürgerversicherung zur „roten Linie“ in den Koalitionsverhandlungen werden. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Mit einer Bürgerversicherung werde der Turbolader in die Zwei-Klassen-Medizin gestartet, warnt der Präsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery. Damit gibt er schon einmal zu, dass es bereits eine Zwei-Klassen-Medizin gibt. Denn der Turbolader steigert ja nur die Leistung des Motors. Der Motor selbst ist bereits vorher da. Man muss nicht das Hohelied der Gerechtigkeit singen, wie es die SPD in diesem Fall wieder macht, um die Unwucht in unserem Gesundheitssystem zu erkennen. Das System ist gar nicht in erster Linie ungerecht, es ist einfach ein inkonsequentes und schlechtes System.

Die Unwucht im System spüren Patienten zum Beispiel bei Arztterminen. Kassenpatienten warten im Vergleich zu Privatpatienten in Nordrhein-Westfalen im Durchschnitt 27 Tage länger auf einen Termin beim Arzt. Das hat eine Umfrage der Grünen dort ergeben. Dass es diese Unterschiede gibt, wird jedem Patienten klar, der bei seinem Arzt am Telefon zunächst einmal die 1 für Kassenpatient oder die 2 für Privatpatient drücken muss. Hinzu kommt, dass Ärzte an Privatpatienten deutlich mehr verdienen als an Kassenpatienten. Die Rechnungen sollen im Durchschnitt um das 2,3-fache höher sein, heißt es beim Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement. Für Privatpatienten ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht. Sie werden häufig übertherapiert.

Es ist nicht ungerecht, wenn jemand, der mehr bezahlt, mehr Leistung bekommt. Es gibt allerdings zwei Probleme. Erstens zahlen Privatpatienten gar nicht mehr, sondern auf ein Leben gerechnet vermutlich etwa dasselbe wie ein Kassenpatient. Zum anderen steht vielen Menschen die Entscheidung nicht frei, ob sie sich privat oder gesetzlich versichern wollen. Die Trennlinie wird unter anderem durch die politisch festgelegte Jahresarbeitsengeltgrenze gezogen, aktuell liegt sie bei Angestellten bei einem Bruttoeinkommen von 57.600 Euro.

Es ist gut, dass die SPD weiter für die Idee einer Bürgerversicherung eintritt und der willkürlichen, politischen Patienten-Trennlinie im Gesundheitssystem ein Ende bereiten will.

Sie verdienen nur 57.595 Euro? Dann haben Sie Pech gehabt. Oder auch Glück. Denn die privaten Versicherer stöhnen nicht nur unter den hohen Kosten durch teure und vielleicht teilweise auch unnötige Behandlungen. Ihnen fehlt es aufgrund steigender Beitragskosten auch an Nachwuchs. Die gesetzliche Krankenkasse erscheint vielen jungen Menschen inzwischen als die attraktivere und sicherere Variante. Denn zum einen ist die Beitragsentwicklung bei den privaten Kassen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eher skeptisch zu beurteilen. Zum anderen ist es für Privatversicherte schwer, später in eine gesetzliche Kasse wechseln. Das kann zum ernsten Problem werden, wenn es einen in mehr als 40 Jahren Arbeitsleben dann doch einmal zeitweilig aus der Kurve trägt.

Deshalb ist es gut, dass die SPD weiter für die Idee einer Bürgerversicherung eintritt und der willkürlichen, politischen Patienten-Trennlinie im Gesundheitssystem ein Ende bereiten will. Es ist nur fair, wenn alle Menschen in Deutschland in ein System einzahlen und sich nicht eine kleine Gruppe aus dem System herausziehen kann. Man muss sich auch keine Sorgen machen, wenn Interessengruppen nun mit dem Begriff der Einheitsversorgung den medizinischen Teufel an die Wand malen. Die Versorgung wird durch eine Bürgerversicherung voraussichtlich nicht besser, aber auch nicht schlechter werden. Das ist eine gute Nachricht, denn in Deutschland gibt es eine gute Gesundheitsversorgung.

So gerecht, wie die SPD es sich vorstellt, werden die Behandlungschancen auch in Zeiten einer Bürgerversicherung natürlich nicht sein. Denn es wird voraussichtlich weiterhin private Zusatzversicherungen geben, wie man es heute schon kennt. Warum auch nicht? Für eine Zusatzversicherung kann sich schließlich jeder frei entscheiden.

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