Ein guter Freitagmorgen fängt mit einem Croissant und einem Cappuccino an. Vor der Tür unseres Lieblingscafés steht ein Schild: „Hier wird bar bezahlt und W-Lan habt ihr ja zu Hause.“ Hier darf jeder sein, wie er ist – und alle machen reichlich Gebrauch davon. Ein Gast ist meistens schon vor uns da, denn sie weiß, dass die Croissants frisch aus dem Ofen am leckersten sind. In letzter Zeit wirkte sie etwas geknickt. Vorige Woche strahlte sie.

„Ich habe einen Marathon hinter mir“, erzählte sie, und der begann in der offenen Beratung des Sozialverbands Deutschland (SoVD). Bei klirrender Kälte stand sie schon eine Stunde vor der Sprechzeit bereit, um auf keinen Fall zu denen zu gehören, die nicht mehr drankommen. „Wir bieten auch Video- oder Telefonberatung an“, kommentiert dazu Katharina Lorenz vom SoVD. Klar. Aber wer das Geld für die Prepaid-Karte spart, um sich freitags ein Croissant leisten zu können, der steht halt draußen Schlange. Nach der Beratung jedenfalls fühlte sich unsere Tischnachbarin stark genug, um ihren Ämter-Marathon anzutreten und herauszufinden, was zu tun ist, wenn das Geld nicht zum Altwerden reicht.
Ihre Geschichte ist noch nicht einmal mitgezählt unter die mehr als 50.000 Fälle, in denen sich der SoVD im vergangenen Jahr für seine Mitglieder mit Behörden und Sozialversicherungen angelegt hat. Jeden Herbst stellt der Sozialverband sein „Schwarzbuch“ mit den absurdesten Fällen vor. Der Termin ist ebenso ein Fixpunkt im Kalender der Rundblick-Redaktion wie die Schwarzbuch-Präsentation des Bundes der Steuerzahler, aber mit deutlich weniger Kabarett-Potential. Die Brücken und Buslinien, die im Nirgendwo enden, oder der Krankenwagen für angeschossene Wölfe bieten Comedians Stoff für mehr als einen Abend. Im „Schwarzbuch Sozial“ sind die Pointen nicht so zielsicher. Da ist die Rollstuhlfahrerin, die unter Panikattacken leidet und deswegen nicht mit dem Bus fahren kann. Der SoVD kämpft mit ihr zusammen um einen rollstuhlgerechten Bulli. Für einen autistischen Jungen, der zwar prima laufen, aber nicht einschätzen kann, was passiert, wenn er auf die Straße rennt, hat der Verband einen Spezial-Buggy erstritten.
Wahrscheinlich sind solche Fälle gemeint, wenn jetzt so oft gesagt wird, dass wir uns den Sozialstaat nicht mehr leisten können. Es geht hier nicht um große Summen. Aber um sie kämpfen zu müssen, lässt Menschen verzweifeln. Mit vergleichsweise kleinen Verbesserungen lässt sich ihr Alltag erträglicher machen. Es ist wichtig, dass der SoVD diese Geschichten erzählt. Der Diskussion um einen angeblich überbordenden Sozialstaat gibt er damit genau zum richtigen Zeitpunkt ein paar menschliche Gesichter. Zum Beispiel das des kleinen Finn mit dem großen Bewegungsdrang. Oder das von Sylvia Kerkhoff, die im Rollstuhl auf den Bus wartet und mit der aufsteigenden Panik kämpft.
Menschliche Gesichter haben wir im Rundblick auch jede Menge:
Wenn Sie sich jetzt fragen, wo es die besten Croissants Niedersachsens gibt, dann kommen Sie doch mal mit am Freitagmorgen.
Aber genießen Sie erstmal den Donnerstag!
Ihre Anne Beelte-Altwig


