10. Juli 2018 · 
Inneres

Die Aufgabe ist groß, aber die Ausrüstung für die Bundeswehr bleibt mangelhaft

Von Vivien-Marie Bettex   Auf die niedersächsischen Soldaten kommt eine neue große Aufgabe zu: Sie sollen bis 2020 als Teil der schnellen Eingreiftruppe der Nato eingesetzt werden – und damit die Fähigkeiten in der Bündnis- und Landesverteidigung stärken. Unsere Autorin, freie Journalisten und Wehrexpertin, beschreibt in zwei Teilen die neuen Herausforderungen und verweist auf die Defizite in der Ausrüstung. Heute der zweite Teil. Den Auftrag, den niedersächsische Soldaten bis Ende 2020 zu stemmen haben, umschreibt der höchste Heeressoldat mit gewichtigen Worten. Es handele sich um „eine der anspruchsvollsten Aufgaben für das Deutsche Heer nach Ende des Kalten Krieges“, sagt der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Jörg Vollmer. Soldaten der Panzerlehrbrigade 9 aus Munster sowie aus weiteren Verbänden der aus Oldenburg geführten 1. Panzerdivision stehen seit Beginn des Jahres in Bereitschaft, um als Teil der „Nato Response Force“ – der schnellen Eingreiftruppe der Nato – innerhalb von Tagen abmarschbereit zu sein und das Bündnisgebiet im Krisenfall zuverlässig zu schützen. Das notwendige Gerät allerdings muss aus der gesamten Truppe mühsam zusammengeklaubt werden. Eine Konsequenz der Ausrüstungsmisere, in der die Bundeswehr aufgrund gezielter politischer Entscheidungen nach Ende des kalten Krieges heute steckt. Bisher haben die niedersächsischen Soldaten trotz einer Vorlaufzeit von fast drei Jahren nur einen Teil des für sie erforderlichen Materials erhalten. Durch einen Bericht der „Welt“ war Mitte Februar bekannt geworden, dass von den für die Speerspitze der Nato eingeplanten 44 Leopard-2-Panzern Ende Januar nur neun einsatzbereit waren, von 14 zugesagten Schützenpanzer Marder nur drei. [caption id="attachment_33145" align="alignnone" width="780"] Grafik: Rundblick/Piktochart[/caption] Das Verteidigungsministerium räumte daraufhin ein, der „Stand der Einsatzbereitschaft“ bei der Bundeswehr sei „insgesamt nicht zufriedenstellend“. In Bezug auf die Verpflichtungen der niedersächsischen Soldaten für die schnelle Eingreiftruppe der Nato hieß es, die Truppe befinde sich in der Aufstellungsphase, werde bis zum 30. Juni dieses Jahres zusammengestellt. Korrekt ist, dass der Auftrag der deutschen Soldaten als eigentliche Speerspitze und damit schnellste Eingreiftruppe der Nato (Very High Readiness Task Force, (VJTF)) am 1. Januar 2019 beginnt. Ein ganzes Jahr lang wird der Verband, bestehend aus rund 5000 deutschen sowie 3000 weiteren Soldaten aus anderen Nato-Nationen, unter der Führung von Brigadegeneral Ulrich Spannuth, Kommandeur der Panzerlehrbrigade 9 aus Munster, stehen.  Die Anforderung an die Soldaten ist dann immens: Vorgabe ist, innerhalb von nur zwei bis sieben Tagen in den Einsatz starten zu können.

Gerät darf dem Rest der Truppe nicht fehlen

In Bereitschaft stehen die Soldaten aber schon seit Beginn dieses Jahres.  Sie halten sich als sogenannte Folgekräfte bereit, müssen innerhalb von 45 Tagen abmarschbereit sein. Einem Bericht zufolge, den das Kommando Heer im Mai auf der Internetseite des Deutschen Heeres veröffentlichte, wird das benötigte Großgerät derzeit „dezentral“ vorgehalten und „ist verfügbar“. Im Falle einer Alarmierung müssten unter anderem Kampfpanzer, Schützenpanzer und gepanzerte Fahrzeuge den Soldaten, die damit in den Einsatz sollen, aus anderen Verbänden der 1. Panzerdivision sowie des gesamten Heeres zugeführt werden. Ein logistischer Mammutakt, allein aufgrund der zu transportierenden Masse – ein einziger Kampfpanzer Leopard 2 wiegt rund 60 Tonnen. Hintergrund ist, dass das Gerät dem Rest der Truppe nicht fehlen darf, um es an einem zentralen Standort für einen etwaigen Krisenfall bereithalten zu können. Dafür ist die Ausrüstungssituation bei der Bundeswehr nach Jahren der Abrüstung schlicht zu sehr auf Kante genäht. Als besonders kritisch gilt, dass inzwischen die Ausbildung von Soldaten im gesamten Heer unter der knappen Ausrüstung leidet. Um die Erfüllung der hohen Ausbildungsstandards dem Mangel an verfügbaren Waffensystemen zum Trotz im Deutschen Heer gewährleisten zu können, muss also Tag für Tag improvisiert werden.
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Das Kommando Heer spricht in Hinblick auf die Praxis, mit der das Material in der gesamten Truppe für die Erfüllungen der Aufgabe als VJTF zusammengerauft und verschoben wird, von „flexibler Materialsteuerung“. In dem vom deutschen Heer im Mai veröffentlichten Bericht wird aber eingeräumt, dass die Anforderungen der Nato die deutschen Soldaten tatsächlich vor erhebliche Herausforderungen stellen. Die „grundlegenden Voraussetzungen“ verlangten „hohe Anstrengungen und Flexibilität“ – auch von Verbänden, die nicht direkt in die Aufstellung der VJTF einbezogen seien, heißt es in dem Bericht. Die abstellenden Truppenteile seien darauf vorbereitet, im Falle einer Alarmierung und innerhalb der vorgegebenen Zeit das Großgerät der Panzerlehrbrigade 9 zuzuführen. „Wir werden alle Zeitlinien einhalten“, betont der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Vollmer. Die VJTF sei eine internationale Verpflichtung, der das Heer ohne Abstriche nachkomme.

Zweifel an Ausrüstungsversprechen

Unter den betroffenen Soldaten allerdings bestehen – allen Zusagen zum Trotz – weiterhin Zweifel. Zwar besteht Zuversicht, die 45-Tage-Frist im laufenden Jahr gerade noch einhalten zu können. Im Hinblick auf die besonders fordernde Phase im Jahr 2019 allerdings gibt es weiterhin erhebliche Bedenken, ob das dann unmittelbar benötigte Gerät tatsächlich zentral für die Soldaten der VJTF bereitstehen wird. So hat es die Führung des Heeres zugesagt. Das Versprechen des Inspekteurs Heer an seine Soldaten: „Es steht nicht zur Debatte, dass wir bei dem für den möglichen Auftrag notwendigen Großgerät auf irgendwas verzichten. Was die Soldaten der VJTF-Brigade benötigen, bekommen sie, das gesamte Heer wird sie dabei unterstützen.“

Vollausstattung ab 2030

Bis sich die Materialsituation der Bundeswehr nachhaltig ändern wird, liegt allerdings noch ein langer Weg vor der Truppe. Die „Vollausstattung“ der Bundeswehr ist für das Jahr 2030 angepeilt. Bereits für 2023 hat sich das Heer vorgenommen, eine vollständig aufgestellte einsatzfähige Brigade nach dem Muster der VJTF stellen zu können. Im Jahr 2027 soll eine vollständig modernisierte Division mit drei Brigaden so aufgestellt sein, dass sie innerhalb von 30 Tagen einsatzbereit ist – ohne dabei auf Material aus anderen Verbänden angewiesen zu sein. So schildert es der Inspekteur Heer in einem Gastbeitrag für „InfoBrief“ Heer.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #130.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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