16. Jan. 2024 · Wirtschaft

DGB fordert: Öffentliche Aufträge in Niedersachsen nur noch mit Tarif

Vieles kann, wenig muss: Das Niedersächsische Tariftreue- und Vergabegesetz (NTVergG) macht der öffentlichen Hand bislang relativ wenig Vorgaben bei der Auftragsvergabe. Insbesondere die Tarifbindung wird – anders als der Gesetzestitel vermuten lässt – in der Regel nicht zur Bedingung gemacht. Laut der Vergabestatistik des Bundeswirtschaftsministeriums werden fast 60 Prozent der öffentlichen Aufträge in Deutschland an Privatunternehmen allein nach Kostengründen vergeben. Das muss sich schnellstmöglich ändern, findet der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Niedersachsen und drängt die Landesregierung zu einer Gesetzesnovelle noch in diesem Jahr. „Öffentliche Aufträge dürfen nur an die Unternehmen vergeben werden, die noch Tarif bezahlen“, fordert DGB-Landeschef Mehrdad Payandeh.

Wollen 2024 zum Jahr der Tarifwende machen (von links): Ruben Eick, Mehrdad Payandeh und Nicole Martens vom DGB Niedersachsen. | Foto: DGB

„Das Lohndumping führt zu einem unfairen Wettbewerb zulasten der Unternehmen, die ihre Beschäftigten fair bezahlen. Auch sie geraten dadurch unter Druck, sich wie die schwarzen Schafe zu verhalten“, kritisiert der Gewerkschafter und sagt: „Niedersachsen muss attraktiv werden für Geschäftsmodelle, die auf Innovationen beruhen und nicht auf billigen Löhnen.“ Payandeh fordert zudem, dass auch ausländische Unternehmen ihre Beschäftigten bei öffentlichen Aufträgen in Niedersachsen nach hiesigen Standards bezahlen müssen. Es müsse der Grundsatz gelten: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.“

In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich SPD und Grüne zwar darauf verständigt, einen „Masterplan für gute Arbeit“ aufzustellen und Niedersachsen zum „Land der guten Arbeit“ zu machen. Viel passiert sei in dieser Hinsicht bisher aber nicht. „Ich glaube, dass die Landesregierung das angehen will. Aber gerade auf kommunaler Ebene gibt es einige, die nicht so denken. Diejenigen, die Aufträge vergeben, wollen diese sogenannten Fesseln nicht“, sagt Payandeh. Der Widerstand gegen eine Vergabegesetz-Reform komme aber nicht nur von den Kämmerern, sondern aus der Wirtschaft. Die Arbeitgeberseite mache ordnungspolitische Vorbehalte geltend, die der DGB-Chef jedoch zurückweist. „Egal was kommt, es wird immer über den Bürokratieaufwand geklagt“, meint er.

Andere Bundesländer hätten bereits vorgemacht, wie es geht. „Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Wer ein vernünftiges Tariftreue- und Vergabegesetz sehen will, muss sich nur mal das im Saarland angucken“, sagt Payandeh. Auch rechtliche Unsicherheiten will der Gewerkschafter nicht mehr als Ausrede gelten lassen. „Die europäische Rechtslage hat sich massiv verschoben.“ Spätestens seit der EU-Mindestlohnrichtlinie 2022 habe sich der Wind gedreht. Die EU-Vorgabe sieht vor, dass die Mitgliedstaaten zur Tat schreiten und einen Aktionsplan erstellen, wenn die nationale Tarifbindung unter 80 Prozent liegt. In Niedersachsen sind laut DGB gerade einmal 52 Prozent der Beschäftigten durch einen Tarifvertrag geschützt. Deutschland liegt laut OECD mit einer Tarifbindungsquote von 51 Prozent im EU-Vergleich auf Platz 14. Mit Italien, Frankreich, Österreich, Belgien, Finnland, Schweden, Dänemark und Spanien erfüllen acht Mitgliedstaaten bereits die Vorgaben des Europäischen Parlaments.

Um die Tarifbindung zu erhöhen, sieht der DGB-Chef auch die Arbeitgeber in der Pflicht. „Die Entwicklung geht seit Jahren in die falsche Richtung. Immer mehr Unternehmen versuchen, Tarifflucht zu begehen“, sagt Payandeh. Insbesondere im Einzelhandel, Handwerk und Gastgewerbe gebe es in Niedersachsen dringenden Handlungsbedarf. Die Arbeitgeberverbände fordert er deswegen dazu auf, keine Mitgliedschaften ohne Tarifbindung mehr zu dulden. „Wenn man Mitglied eines Arbeitgeberverbands ist, muss man auch die Tarifbindung akzeptieren. Wer A sagt, muss auch B sagen“, meint Payandeh und versichert: „Mitbestimmung ist keine Gefahr. Betriebsräte sind Frühwarnsysteme, was die Stimmung im Unternehmen betrifft.“ Die Tarifbindung sei zudem das Fundament der Tarifautonomie. „Tarifautonomie darf keine Floskel sein. Die Tarifpartner müssen die Lohnhöhe bestimmen können“, betont der DGB-Landesvorsitzende. Dass der Staat wie zuletzt immer häufiger eingreife und korrigiere, sei keine wünschenswerte Entwicklung. Allerdings sagt Payandeh auch: „Die Kluft zwischen Arm und Reich steigt, der gesellschaftliche Zusammenhalt ist gefährdet. Wir müssen bei der Einkommensverteilung wieder mehr Gerechtigkeit herstellen.“ Das wird auch das Leitmotiv bei den 30 großen Tarifrunden sein, die in diesem Jahr bei den DGB-Mitgliedsgewerkschaften in Niedersachsen anstehen.

Dieser Artikel erschien am 17.1.2024 in Ausgabe #008.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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