Die Deutschen haben 2020 so viele Lebensmittel im Internet gekauft wie noch nie zuvor. Der Umsatz beim Online-Handel hat sich im Corona-Jahr geradezu verdreifacht, wie aus dem aktuellen „Konjunkturbarometer Agribusiness“ der Unternehmensberater von „Ernst & Young“ (EY) sowie der Georg-August-Universität Göttingen hervorgeht. Wurden im Jahr 2019 noch 1,6 Milliarden Euro mit dem Verkauf von Lebensmitteln über das Internet erzielt, betrug der Umsatz 2020 schon 4,9 Milliarden Euro. Im internationalen Vergleich verharrt der deutsche Online-Lebensmittelhandel allerdings auf einem extrem niedrigen Niveau. Spitzenreiter ist China mit einem Umsatz von umgerechnet knapp 49 Milliarden Euro (2019 waren es 19,4 Milliarden). Aber auch im europäischen Ausland liegen andere Länder deutlich vor Deutschland: In Großbritannien ist das Volumen des Online-Lebensmittelhandel von 11,9 auf 39,4 Milliarden Euro angestiegen, in Frankreich von 7,4 auf 13,2 Milliarden Euro. In Deutschland habe auch das Corona-Jahr, in dem die Menschen ihre Kontakte zu verringern versucht haben, diesen „Boom“ des Internethandels nicht gebracht, sagte Ramona Weinrich, Co-Autorin des Konjunkturbarometers von der Georg-August-Universität Göttingen. Auch im Vergleich zur gesamten Ernährungsbranche bildet der Online-Handel in Deutschland noch immer eine Nische, erläuterte EY-Partner Christian Janze.
Ein Grund für die zurückhaltende Nachfrage sei das Stadt-Land-Gefälle, erläuterte die Agrarökonomin Weinrich. „Während in Großstädten wie Berlin oder Hamburg ein Großteil der Kunden schon entsprechende Angebote nutzt, ist der Anteil in ländlichen Gebieten verschwindend gering.“ Ein weiterer Grund sei, dass die deutschen Verbraucher die Qualität der verderblichen Lebensmittel vor dem Kauf gerne noch selbst prüften. Entsprechend zeichnete sich im vergangenen Jahr ein Anstieg bei jenen Waren ab, die einen gewissen Durchlauf haben und nicht gekühlt gelagert werden müssen – wie Kaffee oder Getränke. Dennoch habe das Jahr 2020 einen „wichtigen Schritt voran für den Online-Lebensmittelhandel“ markiert, meint Weinrich. „Landwirte und Kunden haben gute Erfahrungen mit einem Online-Direktvertrieb gemacht und Lebensmittelhändler konnten sich neue Vertriebswege erschließen.“
Leichter Rückgang beim Export
Insgesamt habe sich das Agribusiness, also die vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche rund um die Landwirtschaft, als besonders robust im Corona-Krisenjahr erwiesen. „Gerade in der Krise zeigt sich die fundamentale Bedeutung der Branche für die Lebensmittel- und Versorgungssicherheit in Deutschland“, sagte Janze. „Mit Blick auf das Geschäftsklima und die Geschäftserwartungen zeigt sich die Branche im Durchschnitt deutlich optimistischer als andere Branchen.“ Der Gesamtumsatz der Branche ist laut Konjunkturbarometer im Vergleich zum Vorjahr um nur 1,7 Prozent zurückgegangen. Aufgrund dieses vergleichsweise geringen Rückgangs überholte das deutsche Agribusiness den Maschinenbau-Sektor und landete 2020 auf dem zweiten Platz im Ranking des verarbeitenden Gewerbes – hinter der Automobilbranche inklusive Zulieferbetriebe.
In der Ernährungsindustrie sowie der Milchwirtschaft haben (neben der Corona-Pandemie) zwei Faktoren für einen dezenten Knick in der Bilanz gesorgt. Wie Weinrich ausführte, habe es beim Export einen leichten Rückgang gegeben, weil zum einen ein drohender No-Deal-Brexit den Handel mit Großbritannien belastet habe. Die Branche habe sich wegen dieser Unsicherheit andere Absatzmärkte gesucht. Zum anderen wurde der Export von Schweinefleisch aufgrund der ersten Fälle von „afrikanischer Schweinepest“ auf deutschem Boden erschwert. Zahlreiche asiatische und südamerikanische Länder haben daraufhin den Handel mit Deutschland eingestellt. Die Landtechnikindustrie setzte derweil stärker auf den Export, da ungeklärte Zukunftsfragen in Deutschland die Investitionsbereitschaft in der Agrarbranche hemmten. Neue Wachstumsmärkte tun sich in Osteuropa, Russland und Nordamerika auf, berichtete Janze. Sorgen bereiten dem Unternehmensberater die nicht ausdiskutierten Fragen rund um die Tierhaltung hierzulande. Die gesellschaftlichen Diskussionen in diesem Bereich behinderten die Branche sogar stärker als die Exportprobleme. „Wir müssen vorurteilsfrei die Frage klären, ob wir in diesem Land Vorreiter werden wollen für eine nachhaltige, zukunftsgerichtete Landwirtschaft inklusive Fleischproduktion.“ Janze sieht dafür mit den gut ausgebildeten Landwirten und den Universitäten zumindest eine ideale Infrastruktur gegeben.