22. Juni 2022 · Inneres

„Deutschland hat mit seiner Politik die eigene Energiesicherheit untergraben“

US-Generalkonsul Darion Akins spricht mit der Rundblick-Redaktion über die US-Außenpolitik. | Foto: Steven Montero

Im Juli 2019 ist US-Generalkonsul Darion Akins in das „Kleine Weiße Haus an der Alster“ in Hamburg eingezogen. Drei Jahre lang hat er dort den amerikanischen Botschafter in Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern vertreten. Wie die Linie der US-Regierung vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges, der weltweiten Lieferengpässe und verstärkten antidemokratischen Strömungen aussieht, erklärt Akins im Interview mit dem Politikjournal Rundblick und er zieht ein Fazit seiner Amtszeit, die nun turnusgemäß zu Ende geht.

Rundblick: Der russische Angriff auf die Ukraine hat Europa kalt erwischt – auch Deutschland wurde von der Invasion völlig überrascht. Haben wir die russische Bedrohung durch Wladimir Putin in den vergangenen Jahren falsch eingeschätzt?

Akins: Ich möchte einen Schritt zurückgehen, um zu erklären, wie wir da gelandet sind, wo wir heute stehen. Wir, die USA, beobachten Russland schon seit der Invasion von Georgien, Südossetien und Abchasien im Jahr 2008 mit großer Sorge. Diese Bedenken wurden durch die Annexion der Krim bestärkt. Und wir haben auch mit großer Sorge die politische Situation in Russland beobachtet – wie die Giftanschläge auf Alexei Nawalny und auf zwei Bürger im Vereinigten Königreich sowie eine von Russland angeordnete außergerichtliche Tötung im Berliner Tiergarten. Alle unsere Bedenken basierten rein auf dem russischen Verhalten und wir haben unser Möglichstes getan, um diese Bedenken mit unseren Partnern und Alliierten zu teilen. Was ich heute besonders erfreulich finde, ist, dass wir vereint mit der Nato, der EU und Deutschland die weitere Invasion der Ukraine verdammen. Und dass wir gemeinsam klarmachen, dass wir diese Invasion nicht hinnehmen.

Foto: Steven Montero

Rundblick: Bundeskanzler Olaf Scholz wird in Deutschland wegen seiner Ukraine-Politik als zögerlich und führungsschwach kritisiert. Wie nimmt man in den USA den Kurs der Bundesregierung wahr?

Akins: Wir sind in der sechsten Runde der Sanktionen gegen Russland und Deutschland hat alle Schritte mitgetragen. Präsident Biden selbst hat gesagt, dass keine wichtigen, globalen Entscheidungen getroffen werden, ohne dass die USA und Deutschland darüber diskutieren. Für uns steht vor allem die Einigkeit mit Deutschland im Fokus.

Rundblick: War diese Einigkeit jemals so groß wie heute?

Akins (lacht): Ich bin sicher, dass sie es einmal war. Mit Blick auf die vergangenen Jahre würden sicherlich viele sagen, dass es ein paar Herausforderungen in der Beziehung gab. Aber seit der russischen Invasion in der Ukraine sind wir wieder im Klaren darüber, wo unsere gemeinsamen Aufgaben liegen und was unsere gemeinsamen Interessen sind, die wir zusammen verteidigen müssen.

Rundblick: Frühere Bundesregierungen haben teilweise sehr enge Beziehungen zu Russland gepflegt. Ist das für die USA ein Problem?

Akins: Deutschland hat die Politik des „Wandel durch Handel“ verfolgt. Das haben wir akzeptiert, aber wir haben auch stets klar gemacht, wenn wir Bedenken hatten. Und was wir immer bedenklich fanden, war die Energiepolitik. Dadurch, dass Deutschland und Europa von russischer Energie abhängig wurden, hat man die eigene Energiesicherheit untergraben, weshalb wir klar gegen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 waren. Die gute Nachricht ist jetzt, dass Deutschland diese Abhängigkeit verringern will und seinen Import von Kohle, Gas und Öl aus Russland reduziert. Das ist aus unserer Sicht eine sehr positive Entwicklung, weil wir immer befürchtet haben, dass Russland die deutsche Energieabhängigkeit politisch instrumentalisieren wird. Schließlich gab es allein in den zehn Jahren vor der Invasion gleich vier Fälle, in denen Russland seine Energie gegen Staaten als politische Waffe eingesetzt hat.

US-Generalkonsul Darion Akins besucht die Rundblick-Redaktion. | Foto: Sina Gartz

Rundblick: Sichere Lieferketten und eine sichere Energieversorgung sind so wichtig wie nie. Die USA und Deutschland sind zwar wirtschaftliche Partner, aber auch Konkurrenten um knappe Rohstoffe. Bleibt da irgendwann die Freundschaft auf der Strecke?

Akins: Nachdem die Biden-Regierung die Amtsgeschäfte übernommen hat, hat sie einen Handels- und Technologierat eingesetzt, um die Lieferkettenengpässe gemeinsam mit unseren europäischen Partnern zu untersuchen und zu lösen. Auch hier besteht die Einsicht, dass wir diese Herausforderungen gemeinsam bewältigen müssen. In den vergangenen 80 Jahren haben die USA und Deutschland deswegen floriert, weil man sich gemeinsam innerhalb eines auf Regeln basierten Systems bewegt, das freien Handel ermöglicht und der gesamten Welt Wohlstand bringt. Dieses System müssen wir erhalten und stärken.

Rundblick: Ist China eine Gefahr für dieses System?

Akins: In China gibt es die Vorstellung, dass die USA den Aufstieg Chinas zu einer Großmacht verhindern möchte. Das ist aber weit von der Wahrheit entfernt. Seitdem Präsident Nixon in den siebziger Jahren die diplomatischen Beziehungen zu China eröffnet hat, haben wir Chinas Aufnahme in alle internationalen Organisationen unterstützt. Das haben wir allerdings unter der Annahme getan, dass China durch mehr Handel und Wohlstand auch demokratischer wird. Als wir aber festgestellt haben, dass keine Demokratisierung in China stattfindet, haben wir unseren Ansatz geändert. Jetzt wollen wir vor allem sicherstellen, dass das bestehende System auch weiterhin funktioniert. Das System, von dem auch China jahrzehntelang profitiert hat. Wir möchten sicherstellen, dass wir, unsere Partner, unsere Verbündeten und auch alle anderen Staaten auch zukünftig in Wohlstand leben können.

Rundblick: China ist nur einer von vielen autoritären Staaten. Überall auf der Welt sind autokratische und extremistische Strömungen immer weiter auf dem Vormarsch. Ist die Demokratie ein Auslaufmodell?

Akins: Die Demokratie muss erhalten bleiben, dazu gibt es gar keine Alternative. Ich kann gar nicht genug betonen, dass wir es nicht zulassen dürfen, dass demokratische Staaten ins Straucheln geraten. Demokratie ist dazu da, damit jeder Bürger eine Stimme hat und am politischen Prozess teilnehmen kann. Das ist unser Ziel. Und deswegen dürfen wir auch nicht zulassen, dass Autokratie als eine gangbare Alternative wahrgenommen wird. Sie mag zwar ein schimmerndes Objekt sein, das viele Leute begehren, aber letztlich will niemand in Deutschland oder den USA ohne Freiheit leben. Niemand will auf Meinungsfreiheit, auf Pressefreiheit sowie das Recht und die Freiheit auf politische Beteiligung verzichten. Aber am Ende des Tages muss jede Demokratie auch liefern. Es dauert natürlich länger, in einem demokratischen Prozess zu einem Ergebnis zu kommen. Dafür sind die Lösungen aber auch dauerhafter und stoßen auf allgemeine Akzeptanz, weil jeder Bürger sich daran beteiligen konnte.

Rundblick: Das klingt sehr leidenschaftlich.

Akins: Demokratie ist unsere politische Software. Wir können kein wirtschaftliches Wachstum, keinen Wohlstand haben und nicht kulturell aufblühen, wenn wir nicht unsere Demokratie verteidigen, die wirklich in Gefahr geraten ist. Die Zeit des langen Abwägens ist vorbei. Jetzt ist die Zeit des Handelns.

Rundblick: EU, Japan und die USA wollen bis 2050 klimaneutral werden. Und alle streben eine weltweite Führungsrolle bei kohlenstofffreien Technologien an. Auch Niedersachsen will ganz vorne mitmischen. Glauben Sie, dass das gelingen könnte?

Akins: Ja, Niedersachsen kann einen großen Beitrag leisten. Die LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel sowie möglicherweise auch in Hamburg und Rostock sind zwar nur eine Zwischenlösung auf dem Weg zur Wasserstoffenergie. Aber 42 Prozent aller deutschen Wasserstoffprojekte sind in Norddeutschland und auch in Niedersachsen angesiedelt. Außerdem hat das US-Energieministerium die „Earthshot“-Initiative gestartet, um den Preis für Wasserstoff innerhalb von zehn Jahren auf unter 1 Dollar pro Kilogramm zu senken. Zu diesem Preis wird Wasserstoff eine kosteneffiziente Energie für die Industrie darstellen. Und wir machen das nicht alleine, sondern zusammen mit unseren Partnern, auch in Niedersachsen.

Rundblick: Ihr Konsulat befindet sich in Hamburg. Niedersachsen ist neben den anderen norddeutschen Bundesländern nur ein Teil Ihres Zuständigkeitsgebiets. Hatten Sie in Ihrer Amtszeit oft in Hannover zu tun?

Akins: Meistens habe ich hier die American Chamber of Commerce oder Wirtschaftsverbände besucht. Ich hatte aber auch ein paar sehr gute Gespräche mit Oberbürgermeister Onay und mehrere Treffen mit Ministerpräsident Weil. In der Regel ging es um Wirtschaftsfragen, aber auch um den Umgang mit der nächsten Generation. Denn wenn ich junge Leute treffe, sagen die mir häufig: Wir haben nicht das Gefühl, dass unsere Meinung zählt. In einer Demokratie ist aber entscheidend, dass man sich beteiligen und in die Gesellschaft einbringen kann. Deswegen ist mir die Zusammenarbeit mit der deutschen Gruppe von „Youth Lead the Change“ besonders wichtig. Ich denke, dass junge Leute eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der transatlantischen Beziehungen im 21. Jahrhundert spielen werden.

Darion Akins im Gespräch mit Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay. | Foto: Steven Montero

Rundblick: Welchen Eindruck haben die Niedersachsen bei Ihnen als Texaner hinterlassen?

Akins: Meine Deutschlehrer haben mich gewarnt, dass Norddeutsche sehr zurückhaltend sind. Das stimmt auch. Amerikaner sind sehr offen, Norddeutsche sind das Gegenteil davon. Sie sind erst einmal sehr vorsichtig und überlegt. Die Unterhaltungen sind kurz, die Antworten auch. Aber wenn man die Leute häufiger trifft, dann bekommt man allmählich Zugang.

Rundblick: Hat es immer so lange gedauert, bis die Niedersachsen aufgetaut sind?

Akins: Nein, ich erinnere mich an eine Reise zum 20. Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September. In dem Monat nach 9/11 hatte eine Gruppe von Damen eine Steppdecke gehäkelt, die seit 20 Jahren im Konsulat in Hamburg hängt. Zum Jahrestag bin ich damit nach Aurich gefahren und habe diese Gruppe besucht. Beim Lunch und bei einer traditionellen friesischen Teezeremonie haben wir über diese Decke gesprochen und die 600 Stunden, die es gedauert hat, diese zu häkeln. Dabei habe ich die tiefe und enge Verbundenheit zwischen den Niedersachsen und den Amerikanern gespürt. Das war sehr persönlich und es war schön, diese Schleife nach 20 Jahren zu schließen. Und jetzt hängt die Steppdecke natürlich wieder im Konsulat.

Foto: Steven Montero

Rundblick: Als Diplomat waren Sie vor Ihrer Entsendung nach Deutschland in Malaysia, Indien, Afghanistan, Australien und Indonesien tätig. Wo hat es Ihnen am besten gefallen und wohin führt Sie Ihr Job als nächstes?

Akins: Meine nächste Verwendung wird in Washington DC sein. Was genau ich da machen werde, ist aber noch offen. Mit Sicherheit kann ich aber sagen, dass ich jetzt mit meiner Familie in sechs verschiedenen Staaten gelebt habe. Meine Familie war nirgendwo so zufrieden, wie hier in Norddeutschland. Hier waren wir wirklich alle zufrieden. Sogar so zufrieden, dass mein Sohn hier in Europa bleiben und studieren will. Das ist für uns auch eine gute Gelegenheit, um wieder nach Deutschland zu reisen. Wegen der Pandemie konnten wir nicht so viele Orte besuchen, wie wir uns eigentlich vorgenommen haben. Da gibt es noch ein paar Städte auf unserer Liste, die wir sehen möchten.

Dieser Artikel erschien am 23.6.2022 in Ausgabe #117.

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