Der Plenarsaal als steinerner Kompromiss zwischen Offenheit und Tradition
Wer den alten Plenarsaal noch kennt und zur morgigen Eröffnungsfeier in das neue, völlig neugestaltete Tagungszentrum des Landtags tritt, der spürt plötzlich den Unterschied zur eigentümlichen Enge und Eingegrenztheit, die früher an diesem Ort geherrscht hat. Der Bau war damals, nach seiner Eröffnung 1962, tatsächlich als „Verknüpfung zwischen Tradition und Moderne“ konzipiert, wie es noch in einer Landtags-Veröffentlichung aus dem Jahr 1980 heißt.
Der Architekt Dieter Oesterlen habe den Plenarsaal „bewusst modern gehalten“, also in Abgrenzung zu den wiederaufgebauten Teilen des alten Welfenschlosses. Ja, man wollte damals an alte Zeiten anknüpfen, schließlich war das Leineschloss einst der Sitz der hannoverschen Könige gewesen. Aber man wollte sich gleichzeitig auch davon distanzieren, Demokratie und Royalismus passen nicht gut zueinander. Und das hieß in den fünfziger und sechziger Jahren eben noch: Glatte und breite Betonfassaden, durchaus klobig wirkend, im Kontrast zu den feingliedrigen und kunstvoll verzierten Außenansichten des alten Schlosses. Hier das Schloss als Symbol des alten, dort der Plenarsaal als Zeichen für das Aktuelle.
Ist viel Beton, klotzig zumal, heute noch ein Ausweis von Modernität? Beim Anbau des Sprengel-Museums in Hannover, der vor ein paar Jahren eine heftige Debatte auslöste, ist das versucht worden. Ein riesiger Koloss, anthrazitfarbend, macht sich neben dem Maschsee breit. Das ist nach Jahren noch gewöhnungsbedürftig und sollte ein Statement gegen die immer noch in der Architektur dominierenden Glasfronten sein. Der neue Plenarsaal hätte auch Teil des Vorherrschenden werden können. Als es 2009 in einem Wettbewerb um seine Gestaltung ging, gewann ein südkoreanischer Planer den ersten Preis, der den alten Oesterlen-Saal abreißen und daneben einen gläsernen Pavillon errichten wollte – etwas durch und durch transparentes, Erhabenes, völlig Neuartiges. Ein Tempel. Durchgesetzt hat sich dieses Konzept damals nicht, und das hat mehrere Gründe. Die damaligen Befürworter, Landtagspräsident Hermann Dinkla an der Spitze, versäumten es, in der Stadt Hannover eine Stimmung zugunsten des neuen Entwurfs zu erzeugen.
Auch die Stadt, damals noch geführt vom seinerzeitigen Oberbürgermeister Stephan Weil, verhielt sich in der Debatte eher passiv. So fanden die Kritiker einen Weg, mobil zu machen. Es meldeten sich Oesterlen-Anhänger und Verfechter des Denkmalschutzes, die zum Schutz des alten Plenarsaals aufriefen und den Volksvertretern Ignoranz vorwarfen. Aufkleber wurden verteilt, man sieht sie heute noch an manchen Autos. Die Zweifler im Landtag selbst wurden stärker, auch ein Ausdruck dafür, wie wenig selbstbewusst die Volksvertreter sich heute noch trauen, solche baupolitischen Entscheidungen zu treffen – in Zeiten von zunehmendem Aufbegehren von Bürgern gegen Pläne der Politik, Baupläne vor allem. Der Streit um „Stuttgart 21“, den viele für den Ursprung der „Wutbürger“ halten, hat viele auch in Niedersachsen eingeschüchtert.
Der neue Plenarsaal ist auch ein Symbol für das Zurückweichen der Politik
So ist der Plenarsaal, der morgen eröffnet wird, auch ein Symbol für das Zurückweichen der Politik, für ein Umlenken in einer wichtigen stadtplanerischen Frage. Die Mehrheit des Landtags wollte den Bruch mit der Tradition, einen Neubau als völligen Neustart. Das erzeugte Widerstand, die Abgeordneten reagierten eingeschüchtert und verunsichert, der Landtag lenkte schließlich ein – und entschied sich für einen Kompromiss. Die Außenansicht des Oesterlen-Gebäudes bleibt erhalten mitsamt des klobigen, mitunter erdrückend wirkenden Mauerwerks. Nur ein paar breite Schlitze für die Fenster sind erkennbar – sonst dominiert das helle Grau der Fassadenplatten.
Im Innern aber ist manches verändert, durchaus radikal. Ein Blick zurück: Es gab im alten Anbau eine Wandelhalle, nämlich die Fläche zwischen der hölzernen Wand des eigentlichen Plenarsaals und der Außenmauer. Wie der Name verrät, sollten sich die Politiker hier treffen, am Rande beraten, diskutieren und sich austauschen. Ursprünglich, so wird aus einer Publikation von 1980 noch deutlich, war dieser Bereich nur für die Abgeordneten selbst vorgesehen, nicht etwa für Lobbyisten und Journalisten, die dort nicht flanieren sollten – es später dann aber wie selbstverständlich taten. Wenn die Sonne günstig stand, war die Halle tatsächlich lichtdurchflutet, eine Spur von Anbindung an die Außenwelt.
Der Raum der Parlamentsdebatten selbst aber war von dieser Wandelhalle strikt getrennt – mit einer hölzernen Verschalung, völlig abgetrennt von Tageslicht und Öffentlichkeit – quasi wie in der Atmosphäre einer Klausurtagung, abgeschottet gegen Einflüsse von außen. Wie Fremdkörper waren die Besuchertribünen gestaltet – so, als sollten die Außenstehenden den Parlamentariern bloß nicht zu nah kommen. Ob man dachte, so einen völlig freien und ganz auf die Sache ausgerichteten Diskurs führen zu können? Wenn es so gemeint war, dann muss sich das rasch als Illusion entpuppt haben. Denn umgekehrt gilt: Je stärker sich die Politiker in einen engen Raum wie eingesperrt fühlen müssen, desto angespannter und künstlich aufgeregter wirken die Debatten – weil Licht, Luft und Anbindung an die Lebenswelt fehlen. Diese undurchlässige hölzerne Wand innerhalb des Gebäudes ist nun weg, für alle Zeiten. Im neuen Plenarsaal sind die Übergänge fließend, und an der Kopfseite des Parlaments, dort, wo alle hinschauen, sind die – wenn auch durch mächtige Mauern unterbrochenen – Fenster zum Vorplatz. Licht kommt herein, Menschen können vorbeigehen und hineinschauen, die Anbindung an die Wirklichkeit wird gewährleistet.
Das ist doch schon mal ein Fortschritt: mehr Helligkeit, mehr Raum, mehr Gefühl, frei atmen zu können. Und außen ist alles wie bisher, den Denkmalschützern zur Ehre. Wahrlich ein Kompromiss. Ob er gelungen ist, wird man erst sehen, wenn das Parlament richtig in Betrieb gerät. Also von Mitte November an, zur konstituierenden Sitzung des 18. Landtags. (kw)