12. Juni 2022 · 
Soziales

Der Pflege fehlt nicht der Nachwuchs, die Arbeitsbedingungen belasten das Personal

Sozialministerin Daniela Behrens stellt zusammen mit Vertretern von Pflegekassen und Pflegeanbietern die Ergebnisse der „Konzertierten Aktion Pflege Niedersachsen“ (Kap.Ni) vor. | Foto: Kleinwächter

Wenn eine Situation festgefahren erscheint, lohnt es sich, die Perspektive zu wechseln. So haben es vor drei Jahren die Pflegekassen und die Pflegeanbieter in Niedersachsen getan. 2019 hatte die damalige Sozialministerin Carola Reimann (SPD) die sogenannte „Konzertierten Aktion Pflege Niedersachsen“ (Kap.Ni) ins Leben gerufen. Ziel dieses runden Tisches war es, die Bedingungen in den Pflegeberufen nachhaltig zu verbessern und den Zwist zwischen den Parteien beizulegen. „Wir hatten eine schwierige Situation zwischen denen, die die Maßnahmen anbieten, und denen, die sie bezahlen“, beschreibt Reimanns Nachfolgerin, die jetzige Sozialministerin Daniela Behrens (SPD), die Ausgangssituation, vor der man gestanden habe.

Bilanz nach drei Jahren: Kap.Ni soll weitergehen

Da die meisten Rahmenbedingungen in der Pflege auf Bundesebene geregelt würden, habe sich die Landesregierung in einer vor allem moderierenden Rolle gesehen. Nach drei Jahren haben die Beteiligten Institutionen nun eine weitgehend positive Bilanz gezogen. Doch während Jürgen Peter von der AOK Niedersachsen und Hanno Kummer vom Verband der Ersatzkassen (VdEK) eher auf die Erfolge der vergangenen Jahre blickten, erinnerten Marco Brunotte von der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege und Ricarda Hasch vom Verband privater Anbieter sozialer Dienste in Niedersachsen, dass noch längst nicht alle Probleme gelöst werden konnten. Alle Beteiligten begrüßten daher die Einladung von Ministerin Behrens, das Dialogformat der „Kap.Ni“ weiter fortzuführen.

Die Bezahlung der Pflegekräfte sehen die Beteiligten der Konzertierten Aktion Pflege unterdessen nicht mehr als das große Problem. AOK-Chef Peter erklärte, dass es durch einen neuen personalkostenzentrierten Ansatz gelungen sei, die Vergütung zu entbürokratisieren und zu vereinfachen. VdEK-Leiter Kummer ergänzte, dass rund 630 ambulante Pflegedienste durch dieses Verfahren die Vergütungen sogar um durchschnittlich 20 Prozent hätten erhöhen können. Hinzu kommt die Tarifbindung, die ab dem 1. September verpflichtend vorgeschrieben ist. Ministerin Behrens erklärte nun, dass es daher in den kommenden Monaten vorrangig darum gehe, in vier anderen Bereichen weitere Fortschritte zu erzielen. Zuerst gehe es darum, die Arbeitsbedingungen in der Pflege weiterhin zu verbessern. Denn laut Behrens habe man kein Nachwuchsproblem in der Branche. „Wir haben keine Schwierigkeiten, junge Menschen für die Pflege zu finden“, sagte sie. Die Zahl der Auszubildenden konnte auch aufgrund von Kampagnen gesteigert werden. Zudem hätten die Pflegenden häufig eine besondere intrinsische Motivation für ihren Beruf, der für viele eine Berufung sei.

Niedersachsen fehlen perspektivisch mindestens 4000 Pflegekräfte

Das Problem sei vielmehr, dass eine große Zahl von Pflegekräften vorzeitig aus dem Beruf aussteige, weil die Belastung zu hoch sei oder weil sie ihren eigenen hohen Ansprüchen aufgrund der Arbeitsbedingungen nicht gerecht werden könnten. Laut Prognosen werden in Niedersachsen perspektivisch mindestens bis zu 4000 Pflegekräfte fehlen. „Es geht nicht darum, mehr Kräfte zu finden, sondern sie zu halten“, erklärte die Ministerin. Behrens sieht eine Möglichkeit, die Attraktivität des Berufes weiter zu erhöhen, darin, Karrieremöglichkeiten zu eröffnen. Dazu sollen etwa mehr Qualifikationsstufen geschaffen und die Durchlässigkeit erhöht werden. Niemand solle beim Berufseinstieg als einzige Perspektive haben, in den nächsten 30 Jahren an ein und derselben Stelle arbeiten zu müssen. Die Landesregierung wolle zudem pflegende Angehörige und Ehrenamtliche stärken und zusätzliche Fach- und Assistenzkräfte gewinnen, so Behrens.

Der vierte Aspekt, um den sich das Land künftig bemühen will, ist die Digitalisierung. Dieser Punkt wurde auch von den Beteiligten der Konzertierten Aktion Pflege wiederholt angesprochen. Zufrieden verwiesen die Vertreter der Pflegekassen auf eine Entwicklung in der Corona-Pandemie. Damals sei es kurzfristig gelungen, mit einer kombinierten Finanzierung von Land und Kassen 900 Tablets für 350 Pflegeheime in Niedersachsen anzuschaffen. Mit diesen Geräten konnten die Bewohner dann Kontakt zu ihren Angehörigen halten oder virtuelle Arztgespräche führen.

Für Brunotte von der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege ist das aber noch nicht genug. Um die Dokumentationsaufgaben der Pflegekräfte zu vereinfachen, sollten diese flächendeckend mit mobilen Endgeräten arbeiten können, findet er. „Das schafft Luft am Bett und erhöht die Attraktivität“, sagte Brunotte. Hasch vom Verband privater Anbieter sozialer Dienste drängt allerdings auch darauf, Nachweis- und Dokumentationspflichten insgesamt zu verschlanken. Der „gute Geist“ der Konzertierten Aktion Pflege müsse auch auf diese Ebene heruntergebrochen werden, findet sie und hofft auf mehr Zutrauen bei der Abrechnung von Leistungen.

Dieser Artikel erschien am 13.6.2022 in Ausgabe #109.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail