Der mutige Herr Schäfer
Darum geht es: Der Landesvorsitzende des Beamtenbundes, Friedhelm Schäfer, bringt das „Modell Estland“ ins Gespräch – eine Verwaltung, die zentral alle Daten speichert und fast alle Dienste online abwickelt. Ist das der Ausweg aus einer Misere oder eine Horrorvision? Ein Kommentar von Klaus Wallbaum:
Nein, Friedhelm Schäfer ist nicht der Manager einer Beratungsgesellschaft, sondern der Landesvorsitzende des Beamtenbundes in Niedersachsen. Er möchte trotzdem die Politik aufrütteln – und fordert deshalb eine „breite Diskussion“ über das Modell Estland. Im Weser-Kurier hat er das jetzt näher ausgeführt. Wie Schäfer berichtet, bekam er daraufhin jede Menge Reaktionen, auch viel Zustimmung sei dabei gewesen.
Im kleinen Estland nutzen die Menschen das Internet viel intensiver als in Deutschland. Ob Bankdienste, Kraftfahrzeuganmeldung, Hauskauf, Passangelegenheiten oder Wohngeld: Fast alles wird per Klick im Netz abgewickelt. Schäfer fragt sich, ob so etwas auch in Deutschland geht. Seine Antwort ist: Man sollte das nicht gleich verwerfen, sondern zumindest mal darüber nachdenken. Die Hürden in Deutschland sind tatsächlich hoch – das fängt mit den im Behördenalltag derzeit noch so wichtigen „Zuständigkeiten“ an. Regelt eine Frage die Kommune, das Land oder der Bund direkt? Ist, wenn es eine kommunale Angelegenheit ist, die Stadt zuständig oder der Landkreis? Was ist, wenn man erst auf dem zweiten Blick feststellt, dass sich der Bürger doch an ein anderes Amt wenden muss – könnte man ihn dann unproblematisch weiterleiten?
Schäfer spricht von „einer Verwaltung, die sich auf das Ergebnis und nicht auf den Weg dorthin konzentriert“. Das klingt gut. Aber die Wirklichkeit ist noch eine andere. Die Finanzbehörden haben ihre eigenen Datensammlungen, die Polizei auch, und eine Vernetzung scheitert sehr oft daran, dass Datenschützer Einwände erheben. Schäfer fragt: „Ist es nicht ein wesentlich besserer Datenschutz, wenn die Bürger gesichert nachvollziehen können, welche Beschäftigten der Verwaltungen zu welchem Zeitpunkt und Zweck auf ihre persönlichen Akten zugegriffen haben?“ Im estländischen Online-Portal würden die Datensätze nur einmal an einem Ort für sämtliche Verwaltungen abrufbar gespeichert. Auch die älteren Menschen, denen man immer Probleme mit Online-Diensten nachsage, nutzten diese Dienste problemlos. Warum er das als Gewerkschafter als Beispiel erwähne? „Weil ich mir Sorgen mache, wie die staatliche Daseinsvorsorge in Zeiten des demographischen Wandels auf Dauer gesichert werden kann, ohne auch die Gesundheit der Kollegen zu gefährden, wenn wir bereits jetzt unter chronischem Personalmangel leiden und absehbar nicht ernsthaft mit einer Besserung gerechnet werden kann“, schreibt Schäfer. Dieser Vorsitzende des Beamtenbundes ist fürwahr ein mutiger Mann.
Es ist erschreckend, wie wenig seine Mahnung bisher Gehör gefunden hat. Wie rückständig die Verwaltung in Niedersachsen teilweise noch ist, hat man am vergangenen Sonntag gesehen, als die Auszählung der Stichwahlen auf den Internet-Seiten vieler betroffener Kommunen gar nicht vorgesehen war. Moderne Kommunikation sieht anders aus. Manchmal scheint es auch, als versteckten sich die Akteure hinter dem Datenschutz-Argument, weil sie in Wahrheit Veränderung an sich scheuen und Arbeitsplätze in den Behörden bedroht sehen.
Das wäre ein schönes Thema für den Ministerpräsidenten, der sich in wenigen Tagen auf eine Reise in die USA aufmacht und dort auch über „Industrial Internet“ redet und über „Industrie 4.0.“ Vielleicht bringt Weil von dort ja Anregungen für Reformen auch in Niedersachsen mit. Dann könnte er sich mit Friedhelm Schäfer darüber unterhalten. Die richtigen Fragen hat der Vorsitzende des Beamtenbundes jedenfalls schon gestellt.