Der Justizskandal hinter dem vermeintlichen Justizskandal
Darum geht es: Der Celler Generalstaatsanwalt hat die Staatsanwaltschaft Hannover angewiesen, Ermittlungen in der Affäre um eine Auftragsvergabe des Sozialministeriums aufzunehmen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Mit dem Zusatz „EILT!“ hat die SPD-Landtagsfraktion vorgestern eine Pressemitteilung verschickt, in der sie eine dringende Aufklärung fordert: Ob es denn richtig sei, dass der Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig, Mitglied der CDU, die Staatsanwaltschaft in Hannover angewiesen habe, Ermittlungen wegen einer Auftragsvergabe im Sozialministerium zu beginnen. Diese „schlimme Vermutung“ habe sich nämlich bestätigt, schreibt die SPD.
Haben wir es hier also mit einem Skandal zu tun? Womöglich ja, aber in einem ganz anderen Zusammenhang, als die Mitteilung der SPD-Landtagsfraktion vermuten lässt. Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) hält sich mit einer Erklärung zu diesem Fall sehr zurück, und das wohl aus gutem Grund. Die Darstellung der SPD legt zunächst die Einschätzung nah, dass Lüttig die Haltung des ermittelnden Staatsanwalts, der keine Ermittlungen starten wollte, korrigiert habe – indem er ihn anwies, dies doch zu tun. Dies ist für die SPD „eine schlimme Vermutung“, also wohl so etwas wie ein Skandal.
Viel spricht dafür, dass die von der SPD unterstellten Abläufe tatsächlich so geschehen sind. Aber wäre das so außergewöhnlich? Der Generalstaatsanwalt ist fachliche Aufsichtsbehörde für die Staatsanwaltschaften, und es kommt immer wieder mal vor, dass unterschiedliche Bewertungen zu relevanten Sachverhalten bestehen. Bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet am Ende die höhere Instanz, also der Generalstaatsanwalt. So steht es in den Gesetzen. Rein rechtlich ist daran also nichts auszusetzen – und die SPD meint diesen Vorgang sicher auch nicht, wenn sie von der „schlimmen Vermutung“ spricht. Ein Skandal könnte ein solches Vorgehen eigentlich wohl nur dann sein, wenn die Vorwürfe, die dann angewiesene staatsanwaltschaftliche Ermittlungen nach sich ziehen, an den Haaren herbeigezogen wären, wenn sie absolut unbegründet wären.
Aber das ist in diesem Fall ja gerade nicht der Fall. Grundlage für das, was zwischen Staatsanwaltschaft Hannover und Generalstaatsanwalt beraten wurde, waren Presseberichte, unter anderem aus dem Politikjournal Rundblick. Es geht um den Verdacht, die Sozialministerin oder enge Mitarbeiter von ihr hätten im Mai 2014 angewiesen, dem Institut CIMA des früheren SPD-Kommunalpolitikers Arno Brandt einen lukrativen Auftrag im Zusammenhang mit einem „Masterplan zur sozialen Gesundheitswirtschaft“ zuzuschanzen. Ein Jahr später erhielt CIMA tatsächlich einen solchen Auftrag für 40.000 Euro. Grundlage für die Vermutung auf eine gezielte Manipulation des Vergabeverfahrens war eine E-Mail einer Referatsleiterin des Sozialministeriums aus dem Mai 2014, in der es mit Verweis auf ein Spitzengespräch zwischen Brandt und der Ministerin heißt: „Jetzt soll CIMA offiziell beauftragt werden“. Außerdem geht aus einem späteren Vermerk des Ministeriums von 2015 hervor, dass sich Rundt erkundigt habe, ob CIMA bei der kurz darauf folgenden Auftragsvergabe denn zum Zuge komme.
Sind das nun Hinweise, dass Rundt möglicherweise in das Vergabeverfahren zugunsten von CIMA eingegriffen hat? Das lässt sich wohl nicht bestreiten, und insofern ist an den vor einer Woche beginnenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eigentlich nur ein Umstand merkwürdig – dass die Nachforschungen sich zunächst auf Brandt beziehen und nicht auf die Ministerin oder ihre engen Mitarbeiter. Aber dass überhaupt ermittelt wird, ist bei dieser Vorgeschichte geradezu folgerichtig – denn der Verdacht gegen die Spitze des Ministeriums drängt sich nach diesen Hinweisen, die in vielen Akten zusammengetragen sind, auf.
Aber es geht noch weiter: Vor wenigen Tagen erst, also nach Beginn der Justiz-Ermittlungen in diesem Fall, sagten Rundt und die Verfasserin der damaligen E-Mail vor dem Vergabe-Untersuchungsausschuss des Landtags aus. Im Vorfeld hatte die Landesregierung erklärt, die E-Mail basiere wohl auf einem „Missverständnis“. Doch die Aussage der Referatsleiterin, einer gut organisierten und kenntnisreichen Frau, widersprach dieser Version. Sie untermauerte den Verdacht gegen das Umfeld von Rundt noch – und sogar eigene persönliche Aufzeichnungen hatte sie parat, die den Schluss zulassen, dass die von ihr erwähnte Anweisung zur Auftragsvergabe in der Landesregierung noch Kreise zog. Mittelsmann zwischen Ministeriumsspitze und Referatsleiterin war damals wohl der damalige Büroleiter der Sozialministerin. Der Mann ist krank, er hat sich bisher nicht geäußert. Auf ihn konzentriert sich jetzt das Interesse.
Wenn die Staatsanwaltschaft nun tatsächlich an der Aufklärung des Falles interessiert ist, müsste sie doch schleunigst die Zeugen vernehmen, die Aufzeichnungen der Referatsleiterin anfordern und die Ermittlungen vorantreiben. Es geht ja nicht um Kleinigkeiten, sondern um den Verdacht, aus dem engsten Umfeld einer Spitzenpolitikerin sei in eine Auftragsvergabe eingegriffen worden. Anzeichen dafür, dass die Justizbehörden den Fall mit Nachdruck verfolgen, gibt es gegenwärtig allerdings keine. Das kann man, wenn man es zuspitzt, als den eigentlichen Justizskandal bezeichnen – jenseits der doch vergleichsweise nebensächlichen Frage, wer nun wen bei der Staatsanwaltschaft zum Tätigwerden in dieser Angelegenheit veranlasst hat.