26. Aug. 2019 · Bildung

Der Hochschulstandort Niedersachsen muss unbedingt attraktiver werden

Von Lothar Eichhorn Niedersachsen exportiert nicht nur Autos, Schweine, Hühner und Kartoffeln in allen ihren Erscheinungsformen und Teilen. Das Land liefert etwas viel Wichtigeres: intelligente junge Menschen. Denn Jahr für Jahr verlassen mehr Menschen das Land fürs Studium, als umgekehrt Menschen zwecks Studium nach Niedersachsen kommen. [caption id="attachment_31741" align="alignnone" width="780"] Lieber Hamburg, Bremen und Berlin - und nicht Göttingen. - Foto: BildPix.de[/caption] Bezogen auf alle Studenten wies Niedersachsen im Wintersemester 2017/2018 einen negativen Wanderungssaldo mit den anderen Bundesländern von 48.781 Menschen aus. Diese Zahl ergibt sich, wenn man das Land, in dem man das Abitur oder einen ähnlichen Abschluss gemacht hat, in Bezug setzt zum Land, in dem studiert wird. An Niedersachsens Hochschulen studierten 67.453 Menschen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung in anderen Bundesländern erwarben; zugleich studierten in den anderen 15 Ländern 116.234 Menschen, die in Niedersachsen ihr Abitur ablegten. Der Verlust von 48.781 Menschen im Saldo entspricht gut 10 Prozent aller 20- bis 25jährigen in Niedersachsen.

Zahlreiche Studenten wandern in andere Bundesländer ab

Zum Teil erklärt sich dieser Wanderungsverlust mit der zentralörtlichen Funktion von Bremen, Hamburg und Berlin. Diese Großstädte beherbergen zahlreiche Hochschulen und ziehen aus den benachbarten Flächenländern Studenten an. Das ist es aber nicht allein: Die drei Stadtstaaten gewannen aus Niedersachsen 22.826 Menschen, und damit ist noch nicht einmal die Hälfte des Negativsaldos erklärt. Einen kleinen positiven Saldo hat Niedersachsen nur gegenüber Schleswig-Holstein.
https://www.youtube.com/watch?v=FiMAzsTM3vo&t=2s
Gegenüber allen anderen Ländern verliert Niedersachsen. Es drängt sich die Frage auf, warum beispielsweise relativ weit entfernte Länder wie das Saarland und Rheinland-Pfalz im Saldo zusammen 1484 Studenten aus Niedersachsen gewinnen – beides Länder, die nicht unbedingt für eine ausufernde Hochschullandschaft bekannt sind. Die ostdeutschen Flächenländer gewinnen gegenüber Niedersachsen 10.213 Studenten und die großen Flächenländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen gewinnen gegenüber Niedersachsen in der Summe sogar 14.948 Personen. [caption id="attachment_33880" align="alignnone" width="780"] Sind Niedersachsens Unis nicht attraktiv genug? - Foto: mije shots[/caption] Das Phänomen ist nicht neu und es verstärkt sich: Im Jahr 2000 lag Niedersachsens Verlust bei 28.745, 2010 waren es 38.553 und nach den aktuellsten Zahlen eben 48.781. Betrachtet man übrigens nicht alle Studenten, sondern nur die Studienanfänger, ergibt sich fast das gleiche Bild. Bei diesen lag im Wintersemester 2017/2018 Niedersachsens Negativsaldo insgesamt bei 6021. Nur mit Schleswig-Holstein und Brandenburg gab es positive Zahlen.

Qualifikationsniveau in Niedersachsen ist unterdurchschnittlich

Das zunächst rein statistische Ergebnis des fortlaufenden Abzugs von Studenten ist, dass das Qualifikationsniveau in Niedersachsen unterdurchschnittlich ist. 28,3 Prozent der Niedersachsen hatten 2017 das Abitur – bundesweit waren es 31,9 Prozent. Einen akademischen Abschluss hatten 14,7 Prozent der Niedersachsen – bundesweit waren es 17,7 Prozent. Dieser Rückstand hat langfristig negative Folgen: Die Digitalisierung, vor allem der verstärkte Einsatz Künstlicher Intelligenz, bedroht vor allem Arbeitsplätze mit geringem Qualifikationsniveau, und zugleich werden in allen Branchen hochqualifizierte Fachkräfte dringend gesucht – auch weil viele Hochqualifizierte aus Altersgründen demnächst ausscheiden. Man muss also zusehen, dass man nicht Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit gleichzeitig bekommt. [caption id="attachment_30342" align="alignnone" width="780"] Schlechtes Image oder schlechte Qualität? Immer mehr Studenten wollen nicht nach Niedersachsen. - Foto: MB[/caption] Fraglos ist es sinnvoll und sehr erwünscht, dass junge Menschen zur Ausbildung ihren Heimatort verlassen und woanders ihr Studium absolvieren. Nur wäre es für ihre Herkunftsregionen gut, wenn sie im Anschluss daran wieder zurückkehrten. Das passiert aber zu selten. Typischerweise gibt es einen Brain-Drain vom Land in die Metropolen, den vor allem die Flächenländer zu spüren bekommen. Niedersachsen verliert aber auch im Verkehr mit den anderen Flächenländern mehr Studenten als es dazu gewinnt. Das wirft zahlreiche Fragen auf, besonders weil einige Flächenländer, wie vor allem Sachsen, aber auch etwa Hessen und Nordrhein-Westfalen im Saldo Studenten dazugewinnen. Machen diese Länder etwas besser?
https://www.youtube.com/watch?v=JvUpafI9Hes&t=2s

Haben Niedersachsens Unis ein Image- oder ein Qualitätsproblem?

Anscheinend sind Niedersachsens Hochschulen in der bundesweiten Konkurrenz mit den Studienorten anderer Länder für die Studenten nicht hinreichend attraktiv. Ein Hinweis auf die zu geringe Attraktivität der Hochschulen des Landes ist auch, dass der Anteil der sogenannten „Bildungsausländer“ an allen Studenten – Bildungsausländer sind solche Studenten, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben haben – in Niedersachsen mit 8,5 Prozent (2017) deutlich niedriger war als im Durchschnitt aller Flächenländer (9,4 Prozent) und im Bundesdurchschnitt von 9,9 Prozent. Es ist dabei durchaus nicht so, dass alle Studenten unbedingt in die großen, hoch „gerankten“ Hochschulen wie die Berliner Humboldt-Universität oder die LMU München wollen. Nicht-amtliche Befragungen haben immer wieder ergeben, dass für die Wahl des Studienortes vor allem das Studienfachangebot und die Einschätzung der Qualität der Hochschule ausschlaggebend sind. Diese Qualitäten können an kleineren, weniger bekannten Hochschulen und Hochschulstandorten stärker ausgeprägt sein als an den „Exzellenz“-Universitäten. Zu fragen ist also, ob Niedersachsen hier ein Image-Problem („Wir sind gut, es merken nur zu wenige“) oder ein Qualitätsproblem („Wir sind gut, aber die anderen sind besser“) hat. Prof. Lothar Eichhorn war viele Jahre lang im Landesamt für Statistik in Niedersachsen tätig. In unregelmäßigen Abständen berichtet er im Politikjournal Rundblick über besondere Entwicklungen.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #146.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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