9. März 2017 · 
Soziales

Der freundliche Stephan Weil und die Sorgen der Städte

Irgendwie merkt man Stephan Weil an, dass er lange in der Kommunalpolitik der Großstadt Hannover mitgemischt hat – erst als Kämmerer und dann als Oberbürgermeister. Der Niedersächsische Städtetag (NST), die Vereinigung der mittleren und größeren Städte im Lande, war für ihn jahrzehntelang so etwas wie ein politisches Zuhause. Gestern trat Weil in neuer Rolle, der des Landespolitikers, vor der nur alle zwei Jahre stattfindenden „Städteversammlung“ in Hameln auf, und zwischen den jeweiligen Ministerpräsidenten und den Kommunalverbänden herrscht eigentlich stets ein Spannungsverhältnis, man stichelt gern gegenseitig. Diesmal aber erscheint alles irgendwie ganz anders. Von NST-Vizepräsident Ulrich Mädge (SPD) wird Weil freundschaftlich begrüßt, beide kennen sich lange und gut, und als der Regierungschef dann selbst am Rednerpult steht, wirkt er locker, gelöst, gutgelaunt und schlagfertig. „Eine so angenehme Städteversammlung habe ich noch nie erlebt“, wird später das SPD-Urgestein Herbert Schmalstieg sagen. Und Schmalstieg ist einer, der wahrlich schon sehr, sehr viele solcher Veranstaltungen erlebt hat. Vielleicht war bei diesem großen Bürgermeister-Treffen in Hamelns Weserberglandhalle aber auch nur die Regie sehr gut. Zu aktuellen Konfliktthemen hatte man vorher über Interviews die Meinungen ausgetauscht, so sind viele Kommunalpolitiker gegen zwei aktuelle Planungen von Rot-Grün im Landtag, das Gleichberechtigungs- und das Transparenzgesetz. Mädge sah sich gestern deshalb nun nicht genötigt, die Kritik nun noch einmal vor großem Publikum zu wiederholen. Dass die Lage der Städte nun sehr gut wäre und dass es kaum Probleme gäbe, lässt sich allerdings auch nicht sagen. Aber bei den Themen, die angesprochen wurden, erschienen Weil und Mädge wie zwei Partner, die gemeinsam an einer langfristigen Sache arbeiten – nicht wie Kontrahenten. Thema Geld: An einem neuen Entschuldungsprogramm für die Kommunen, die bisher noch keine Hilfe erhalten haben, wird gearbeitet. Mädge lobt die Gespräche, hofft aber auch auf Hilfen vom Land für die Kommunen, die mit der 10.000-Euro-Pauschale je Flüchtling und Jahr nicht auskommen. Im Keller von Finanzminister Peter-Jürgen Schneider, so sagt Mädge, liege ja noch viel Geld. Weil lächelt, sagt „wir sind gesprächsbereit“, erwähnt aber, dass man dann auch über jene Kommunen reden müsse, die weniger als 10.000 Euro je Flüchtling benötigen. Außerdem will der NST bei der Wohnungsbauförderung höhere Tilgungshilfen des Landes, und eine generelle Kritik fügt Helmut Dedy vom Deutschen Städtetag hinzu: Bund und Länder leisteten stets Sonderprogramme für Investitionen in den Kommunen – oft auf drei oder fünf Jahre befristet. Wichtiger sei aber, mit dauerhaften Zuweisungen langfristige Investitionsplanungen zu ermöglichen. Thema Bildung: Weil künftig mehr Erzieher in den Kindergärten benötigt werden, will Mädge die „duale Ausbildung“. Das heißt, Real- und Hauptschüler sollten neben einer Lehre, für die sie ein Lehrgeld erhalten, in der Berufsschule ausgebildet werden. Sozialministerin Cornelia Rundt sei dafür, sagt der NST-Vizepräsident, die zuständigen Mitarbeiter von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt wollten aber an der dreijährigen Fachhochschulausbildung festhalten. „Wir haben dafür aber zu wenig Bewerber“, klagt Mädge. Weil meint, er höre den Wunsch des Städtetages „mit großer Sympathie“, es gebe aber in der Landesregierung „noch Diskussionen“. Thema Integration: Mädge berichtet, dass die Kosten der Integration von Flüchtlingen viel höher sind als bisher angenommen, zumal etwa bei ihm in Lüneburg binnen eines Jahres 300 zusätzliche Kinder Plätze an Kindergärten und Grundschulen finden mussten. Da die Wohnsitzauflage für Zuwanderer aufgehoben sei, betreffe das Problem vor allem die mittleren und größeren Städte, die eine große Anziehungskraft hätten. Das Land müsse hier bei der langfristigen Eingliederung dieser Menschen helfen, und von Vorteil sei „ein zentraler Ansprechpartner für die Integration in der Landesregierung“. Weil lässt Verständnis durchblicken: „Der syrische Arzt ist unter denen, die zu uns kommen, ja eher die Minderheit – und wenn er kommt, muss auch er zunächst eine Zusatzausbildung in Deutschland absolvieren.“
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Wie schwer gerade die Aufgabe der Integration muslimischer Einwanderer in den Städten wird, berichtet der arabisch-stämmige Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour, der vor dem Städtetag als Gastredner auftritt. Er redet den deutschen Politikern ins Gewissen: Lehrer und Sozialarbeiter müssten sich viel stärker vor allem um junge Zuwanderer bemühen, in sozialen Medien aktiv sein, den Flüchtlingen auf Augenhöhe begegnen, viel mit ihnen reden und ihnen vor allem das hiesige Wertesystem mit dem Respekt vor der Gleichberechtigung der Frau vermitteln. Derzeit seien „Salafisten die besseren Sozialarbeiter“, und manche falsch verstandene Toleranz führe in die Irre, so werde in Moscheen keine Integrationsarbeit geleistet, vielmehr würden dort Parallelgesellschaften vertieft. Die Ausbildung von Lehrern und Sozialarbeiter müsse gründlich umgekrempelt werden, fordert Mansour – mit kritischem Blick in die Reihen der Versammlung. Seine Thesen werden in der Städteversammlung nicht mehr diskutiert, obwohl viele Anregungen darin an die Landespolitik enthalten sind. Stephan Weil hatte sein Schlusswort schon kurz vor Beginn des Festvortrags gesprochen. „Ich gehe in friedvoller Stimmung“, hatte Weil zum Ende seiner Ansprache gesagt. Und die Worte: „Ruhm und Ehre dem Niedersächsischen Städtetag!“ Daraufhin erntete er kräftigen Applaus. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #47.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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