In diesen Wochen ein Agrarfunktionär zu sein, ist nicht immer leicht. Das musste beispielsweise Franz-Josef Holzenkamp erleben, der Aufsichtsratsvorsitzender einer Futterhandelsfirma ist, nebenher als Landwirt arbeitet und hauptsächlich für die Cloppenburger CDU im Bundestag wirkt.  Als jüngst Tierschutzorganisationen Filme verbreiteten, die verletzte Schweine in Großställen prominenter Eigentümer zeigten, war auch Holzenkamps Hof betroffen. Der Politiker räumte die Probleme ein – und spürte zugleich den öffentlichen Druck. Der 56-Jährige, der schon länger erkrankt war, verzichtete vor kurzem auf eine neue Kandidatur für den Bundestag. Spekuliert wird, ob das auch mit den starken Anfeindungen zu tun hat, die er erleben muss.

„Jeder ist ein bisschen Schwein“, sagte mal Adriano Celentano

„Jeder ist ein bisschen Schwein“, sagte mal Adriano Celentano

Die Agrarbranche ist im Wandel, vor allem die Massentierhaltung im Raum Weser-Ems verändert sich. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel sich doch bewegt“, sagt Horst Schörshusen (Grüne), Staatssekretär im niedersächsischen Agrarministerium. Selbst in der konventionellen Landwirtschaft könne viel zur Verbesserung des Tierwohls erreicht werden. Aber das Beispiel der Schweinehaltung zeigt eben auch, dass nicht alles mit wenigen einfachen Schritten zu ändern ist. Die Ursachen für Missstände müssen erforscht werden – und die Experten sind sich oft nicht einig. Früher wurden im großen Stil die Ringelschwänze der Schweine kupiert, also beschnitten, damit sie nicht von Artgenossen angefressen werden können. Denn klar ist: Wenn die Schweine auf engem Raum gehalten werden, greifen sie sich oft gegenseitig an und verletzen sich. Ohne die Ringelschwänze fehlt bei den Tieren eine sehr verletzliche Stelle am Körper – aber die Aggressivität in Ställen, in denen das Vieh zusammengepfercht lebt, ist damit nicht beseitigt.

Was soll man nun tun? Agrarminister Christian Meyer (Grüne) zahlt Schweinezüchtern seit Mitte 2015 eine Prämie von 16,50 Euro pro Tier, wenn sie auf das Kürzen der Schwänze verzichten. Als das eingeführt wurde, gab es einen Aufschrei. Kritiker meinten, man dürfe doch nicht das Kupieren untersagen, wenn man nicht wisse, wie die Schweinehaltung stattdessen organisiert werden soll. Doch die Regierung blieb bei ihrer Linie, und womöglich liegt es auch an dieser harten Haltung von Landes- und auch Bundesregierung, dass die Wissenschaft zu immer weitergehenden Forschungen kommt. Meyer und  Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) ziehen an einem Strang, die parlamentarische Staatssekretärin Maria Flachsbarth (CDU) aus Hannover sagt: „Es kann sein, dass wir unsere Tiere mit den sehr hohen Anforderungen an Effizienz schlicht überfordern.“

So viel scheint mittlerweile klar: Mehr Platz in den Ställen allein ist keine Lösung. Es hat sich gezeigt, dass jede Form von Stress, den die Schweine erleben, in Kannibalismus gegenüber den Artgenossen umschlagen kann. Wenn Stroh im Stall liegt oder Spielzeug, sind die Tiere abgelenkt und beschäftigt, das mindert den Stress. Vorteilhaft sind auch abgetrennte Räume im Stall, in denen aggressive Tiere vorübergehend untergebracht werden können.  Schörshusen berichtet von einer interessanten Studie aus Mecklenburg-Vorpommern, die wegweisend sein kann. Dort hat man den lernfähigen Schweinen beigebracht, dass sie nur dann zum Futtertrog gelassen werden, sobald ein akustisches Signal ertönt. Sie kamen dann zur Fressen-Ausgabe, und für alle war genug vorhanden. Dies hat nun zwei Effekte: Zum einen bleibt ein Konkurrenzkampf aus, da ausreichend Futter vorhanden ist. Zum anderen konzentrieren sich die Schweine den ganzen Tag auf das Signal für die Futterausgabe – und auch das lenkt sie davon ab, auf die anderen Schweine loszugehen und diese zu verletzen. Man komme dort ohne Kupieren der Schwänze aus. „Das Beispiel zeigt, wie viele Fortschritte die Wissenschaft schon erreicht hat“, meint Schörshusen. Ob sich diese Signalfütterung auch in der Praxis bewähre und wirtschaftlich sein könne, müsse allerdings noch in konventionellen Betrieben getestet werden.

Allerdings ist auch wahr, dass die Verhandlungen der Politik mit den Schweinehaltern wohl am schwierigsten sind. Es gibt bereits freiwillige Vereinbarungen mit den Landwirten, was den Verzicht auf das Schnäbelkürzen bei Hühnern und Puten angeht. Auch für die Rinderhaltung werden Abmachungen getroffen. Ob ähnliches mit den Schweinehaltern zu schaffen ist? Agrarminister Schmidt steht unter Druck von Tierschutzinitiativen, aber er warnt vor zu strengen Vorgaben – denn dann könnten die Landwirte ins Ausland abwandern. Nach gegenwärtiger Rechtslage ist das Kupieren der Schwänze verboten, es sei denn, eine Haltung ist sonst nicht möglich. So argumentieren die Befürworter auch: Es sei nicht möglich, ohne diesen Schritt auszukommen.

Doch es mehren sich die Hinweise, dass dies nur eine Ausrede ist. Eines nämlich scheint klar: Wer Schweine artgerecht hält, hat sehr viel höhere Kosten zu stemmen. (kw)

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