Der Bundesvergleich zeigt: Im Tourismus fällt Niedersachsen immer weiter zurück
Von Lothar Eichhorn
Niedersachsens Tourismuswirtschaft meldet fast jeden Monat neue Rekorde. In den ersten elf Monaten des Jahres 2018 konnten im Lande 42,7 Millionen Übernachtungen in Hotels, Gasthöfen, Pensionen und auf Campingplätzen gezählt werden, 3,3 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Trotz dieser Rekorde kann man damit nicht zufrieden sein, denn Niedersachsen fällt – verglichen mit den anderen Bundesländern – immer weiter zurück.
Betrachten wir zunächst die aktuellen Übernachtungszahlen des Statistischen Bundesamts und des Landesamts im Vorjahresvergleich. Bundesweit nahm die Zahl der Übernachtungen in den ersten elf Monaten 2018 um 4,0 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu. Das waren 0,7 Prozentpunkte mehr als Niedersachsens 3,3 Prozent. Überdurchschnittliche Zuwächse von 5 Prozent und mehr gab es einerseits in den drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg, vor allem aber in Schleswig-Holstein mit einem Plus von 15,5 Prozent. Die schleswig-holsteinischen Reisegebiete an der Nord- und Ostsee legten 17,8 bzw. 18,7 Prozent zu. Die niedersächsischen Reisegebiete an der Nordsee konnten vom Super-Sommer 2018 deutlich weniger profitieren: Auf den ostfriesischen Inseln stieg die Zahl der Übernachtungen um plus 2,3 und an der Küste um plus 3,8 Prozent.
Städtetourismus ist in Niedersachsen nicht so relevant
Ein weiterer Grund für das relative Zurückbleiben Niedersachsens liegt im weltweit boomenden Städtetourismus: Das Land Niedersachsen ist mit Großstädten nicht unbedingt gesegnet, sodass der Städtetourismus hierzulande nicht so relevant ist wie vor allem in den Stadtstaaten. Dazu kommt aber: Während deutschlandweit die Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern die Übernachtungszahlen im Schnitt um 4,8 Prozent steigerten, stiegen sie in Braunschweig gerade mal um 0,8 Prozent und gingen in Hannover sogar um 1,4 Prozent zurück.
Eine ganz besondere Schwäche weist das Land bei den Gästen aus dem Ausland auf. Bundesweit lag der Anteil der Auslandsgäste an den Übernachtungen bei 18,2 Prozent. In Niedersachsen waren es nur 8,7 Prozent, also nicht einmal die Hälfte. Die gut 3,7 Millionen Auslandsgäste in Niedersachsen in den ersten elf Monaten 2018 bedeuteten zwar ein Wachstum um 3,5 Prozent, aber auch diese Zahl blieb hinter dem entsprechenden nationalen Durchschnitt von plus 4,5 Prozent zurück. Erfolg hatte das Land vor allem bei seinen treuesten Auslandsgästen, den Niederländern. Deren Zahl stieg um 6,8 Prozent auf 1,02 Millionen – bundesweit lag die Zunahme nur bei 1,3 Prozent. Auch bei den Gästen aus einigen osteuropäischen Ländern gab es überdurchschnittliche Zuwächse. Die großen potenziellen Zukunftsmärkte konnte die niedersächsische Tourismuswirtschaft aber noch kaum erschließen: So stieg die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus China bundesweit um 6,0 Prozent – in Niedersachsen waren es nur 1,0 Prozent. Bei Gästen aus Russland stand ein bundesweites Plus von 5,5 Prozent einer Abnahme von -0,8 Prozent in Niedersachsen gegenüber.
Im Auslandstourismus sind andere Zuwächse möglich
Dies ist keine bloße Momentaufnahme, sondern die aktuelle Fortsetzung eines schon lang andauernden Trends. In einem langjährigen Vergleich der Jahresergebnisse 2017 mit dem 2010 zeigt sich: Die Übernachtungszahlen von Gästen aus Deutschland stiegen in Niedersachsen um 12,3 Prozent, bundesweit aber um 17,4 Prozent. Im Auslandstourismus sind aber derzeit ganz andere Zuwächse möglich. So konnte Niedersachsen im gleichen Zeitraum bei den Gästen aus dem Ausland immerhin um 21,4 Prozent zulegen, bundesweit gab es aber mit 39,1 Prozent eine fast doppelt so hohe Zunahme. Unter den Ländern hatten die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg die höchsten Zuwächse.
Das Statistische Bundesamt hat die sogenannte „Tourismusintensität“ – das ist die Zahl der Übernachtungen von Gästen bezogen auf die Zahl der Einwohner, multipliziert mit 1000 – vergleichend für alle Länder seit 1992 berechnet. Niedersachsens Kennziffer lag von 1992 bis 2012 immer über dem Deutschlandwert. Zu Beginn der Zeitreihe stand dem nationalen Wert von 3660 ein Wert Niedersachsens von 4389 gegenüber. Im Expo-Jahr 2000 war das Verhältnis 3972 zu 4489. 2017 schließlich lag der gesamtdeutsche Wert bei 5568 und der Niedersachsens bei 5474. Kurz gesagt: 1992 hatte Niedersachsen einen Vorsprung von 19,9 Prozent. Dieser hat sich bis 2017 in einen Rückstand von 1,7 Prozent verwandelt – Tendenz steigend.
Mehr Urlauber auf Inseln gar nicht erwünscht
Der Tourismus ist weltweit einer der am schnellsten expandierenden Wirtschaftszweige. Zwar gibt es auch in Niedersachsen Wachstum – die Zuwachsraten bleiben aber schon seit vielen Jahren weit hinter den Möglichkeiten zurück. Verglichen mit den anderen Ländern fällt Niedersachsen zurück. Nachdenken muss man daher über Qualität und Preis-Leistungsverhältnis des touristischen Angebots. Das Zurückbleiben hat aber auch regionale und internationale Dimensionen: Regional betrachtet sind die mittelfristigen Zuwächse auf den ostfriesischen Inseln, im Weserbergland, der Lüneburger Heide und auch im Harz besonders niedrig. Bei den Inseln mag das daran liegen, dass dort der Tourismus an Grenzen gestoßen ist und noch mehr Urlauber gar nicht unbedingt erwünscht sind. Für die anderen wachstumsschwachen Regionen gilt dies aber nicht. Wichtig ist auch die internationale Dimension, denn besonders auffällig sind Niedersachsens relativ schwache Ergebnisse im Auslandstourismus. Dass ausländische Gäste zumeist viel mehr mit Neuschwanstein als mit der Marienburg anfangen können, ist kein Naturgesetz, sondern hat sehr viel mit zielgerichtetem Marketing zu tun. Es wird künftig nicht reichen, sich auf die treuen Gäste aus den Niederlanden zu verlassen. Die großen Wachstumsmärkte liegen in Asien, und um die muss man sich, gerade weil es künftig keine Cebit mehr geben wird, verstärkt bemühen.
Prof. Lothar Eichhorn war viele Jahre lang im Landesamt für Statistik in Niedersachsen tätig. In unregelmäßigen Abständen berichtet er im Politikjournal Rundblick über besondere Entwicklungen.