Lieber Benny Goodman als eine staatstragende Hymne, denn Frank Walter Steinmeier, der Bundespräsident, übertreibt es ja auch nicht mit staatstragendem Pomp. So probt das Niedersächsische Polizeiorchester, das am Mittwochmorgen vor der Staatskanzlei Aufstellung genommen hat, noch einmal kurz die Jazzklänge, bevor sich der Wagen des hohen Gastes aus Berlin Hannover nähert. Das Staatsoberhaupt hat sich zum offiziellen Antrittsbesuch in Niedersachsen angekündigt, und in der Regierungszentrale sind alle aus dem Häuschen. Berittene Polizei kontrolliert schon Stunden vor dem Termin das Areal rund um die Staatskanzlei. Als dann die Ankunft unmittelbar bevorsteht, haben sich die Pferde direkt zwischen dem Eingang und der Wotan-Statue neben dem Landesmuseum platziert – alle geordnet und ruhig für eine perfekte Kulisse. Dass sich eines der Tiere erleichtert hat, sieht man auf dem Straßenpflaster, ein kleiner Schönheitsfehler.

Eintrag ins goldene Buch: Der Bundespräsident war da – Foto: KW

Das Protokoll beherrscht an diesem Tag die Abläufe – und zwingt manchmal sogar zu kleinen Gesetzesverstößen. Aber das merkt ja keiner. Da vor dem Sprengel-Museum die Straßen aufgerissen sind, ist die Zufahrt zur Staatskanzlei nur von Osten her möglich. Der Wagen des Bundespräsidenten muss aber von der anderen Seite kommen, denn wenn Steinmeier, der hinten rechts sitzt, aussteigt, soll er nicht um das Auto herumlaufen müssen, sondern direkt dem auf den Treppenstufen wartenden Ministerpräsidenten Stephan Weil gegenüberstehen. Also muss die Kolonne des Bundespräsidenten, angeführt und begleitet von 20 Polizeimotorrädern, den „weißen Mäusen“, in verbotener Richtung durch eine Einbahnstraße fahren, am Büro des Landesbischofs vorbei, um an der richtigen Stelle vor der Staatskanzlei halt machen zu können. So geschieht es dann auch. Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender steigen aus, das Polizeiorchester spielt Goodmans Song „Sing, Sing, Sing“ – und die Ehrengäste schreiten, neben Stephan Weil und Rosemarie Kerkow-Weil,  in die Staatskanzlei. Drinnen warten die Mitglieder der Landesregierung und viele Mitarbeiter der Regierungszentrale auf dem Flur und an den Treppengeländern, auch viele Langgediente, die Steinmeier hier einst noch als einfachen Referenten und später als Staatssekretär erlebt hatten.

Steinmeier mit seiner Ehefrau Elke Büdenbender, Landtagspräsident Bernd Busemann und Ministerpräsident Stephan Weil – Foto: KW

Aber einiges ist anders als Anfang Januar, als Steinmeier das letzte Mal hier war, damals noch als – allerdings sehr aussichtsreicher – Kandidat für das Bundespräsidentenamt. Seinerzeit hatte das Protokoll schon eine wichtige Rolle, aber noch keine entscheidende. Der Empfang in der Staatskanzlei, der Besuch in der Dachkammer, wo einst Steinmeiers erstes Büro war, die Begegnung mit den Kollegen von früher – das alles wirkte im Januar entspannt, herzlich, fast familiär. Auch gestern war die Stimmung gut, die Freude sehr groß bei vielen, die „den Frank“ wiedersehen konnten. Aber das Förmliche, was solche Empfänge nun einmal begleitet, war dann doch überwältigend, manchmal auch erdrückend. Das fängt an bei der langen Wagen- und Motorradkolonne, die die gesamte Planckstraße vor der Staatskanzlei in Beschlag nimmt. Es geht weiter mit den Reden, die zwar locker und freundschaftlich waren, als Weil den „lieben Frank und die liebe Elke Büdenbender“ begrüßt und der Gast mit „lieber Stephan und liebe Rosi“ antwortet. Aber der Austausch von Anekdoten und die Häufung von witzigen Schmonzetten, die noch im Januar die Visite prägten, hält sich diesmal in Grenzen. Steinmeier sagt: „Der Täter kehrt immer an den Ort der Tat zurück“ und fügt hinzu, dass auch Innenminister Boris Pistorius das kenne. Beide, Steinmeier und Pistorius, waren Anfang der neunziger Jahre Referenten in der niedersächsischen Landesregierung. Aus Steinmeier wurde das Staatsoberhaupt. Was wird wohl aus Pistorius, der jetzt auch verstärkt bundespolitische Luft schnuppert? Eine weitere Bemerkung Steinmeiers dazu, die er sich im Januar noch erlaubt hätte, wäre jetzt despektierlich. Ein Staatsoberhaupt hat eben nicht mehr so viele Freiheiten.

Nein, das ist kein mögliches Wunschkennzeichen für das nächste Auto: 0-1, das Kennzeichen des Bundespräsidenten – Foto: KW

Steinmeier scherzt über seine langen Haare im Jahr 1991, als er sich bei Gerhard Schröder in der Staatskanzlei vorstellte, über seinen auberginefarbenden Anzug und seine grasgrüne Brille. „Ob die mich woanders überhaupt genommen hätten?“ Heiterkeit erfüllt das Foyer der Regierungszentrale. Die Landespolitik in Niedersachsen, fügt er hinzu, interessiere ihn heute noch sehr – auch wenn er nicht immer alles mitbekomme. Aber dafür rede er ja jetzt gleich mit dem Landeskabinett. Diese knappen Worten müssen dann reichen, der engmaschige Terminplan will eingehalten werden, schnell geht es weiter. Nach einer Dreiviertelstunde fährt die schwere Limousine des Bundespräsidenten auf dem Landtagsparkplatz vor, wieder angeführt von etlichen Polizei-Motorrädern. Ins Gästebuch des Landtags sollen sich Präsident und Gattin eintragen, was sie denn auch – wiederum prächtig gelaunt – tun. Mit Landtagspräsident Bernd Busemann hat das Staatsoberhaupt noch eine geheime Abmachung: Wenn der neue Plenarsaal fertig ist, soll Steinmeier der Ehrengast der Einweihung sein. Ganz so, wie es im September 1962 bei der ersten Eröffnung des Oesterlen-Plenarsaals geschah, damals war Bundespräsident Heinrich Lübke zugegen. Im Januar, heißt es, habe Steinmeier noch gescherzt: „Na mal sehen, was eher fertig wird, der Flughafen in Berlin oder der Landtag in Hannover.“ Hannover scheint Gewinner zu werden.

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Zwei Gastgeschenke aus Hannover nimmt der Bundespräsident mit ins Schloss Bellevue: Ein Porzellan-Service aus der Manufaktur Fürstenberg, das Busemann überreicht – und das Steinmeier mit „Oohh…“ kommentiert, sowie ein besonderes Exponat aus Fürstenberg, das Ministerpräsident Stephan Weil übergibt, ein Schachspiel mit Porzellanfiguren, die den früheren Braunschweiger Herzog Karl I. und seine Frau Philippine Charlotte darstellen. Die Steinmeiers, heißt es, spielen in ruhigen Minuten gern miteinander Schach. Nur müssen sie aufpassen: Die Figuren sind zerbrechlich. Am besten, man packt sie gar nicht erst aus. (kw)