13. Nov. 2023 · Wirtschaft

Der Beweistermin: Die nächsten Wochen zeigen, wie gut die Arbeit von Olaf Lies ist

Man sagt Olaf Lies, dem niedersächsischen Wirtschaftsminister, ein ganz besonderes Geschick nach: Immer dann, wenn er von Kritikern angegriffen, zur Rede gestellt oder mit bohrenden Fragen genervt wird, gelingt ihm ziemlich schnell ein Befreiungsschlag. Er trägt dann viele Argumente vor, appelliert an die gemeinsame Verantwortung und schafft es in den allermeisten Fällen, die Angreifer zum Einlenken zu bewegen. „Olaf umarmt die Leute“, sagt man anerkennend über ihn. Er hat die Gabe, seine Angreifer gleichzeitig zu umwerben und ihre Vorstöße zu entkräften.

Wohnen, Bauen, und neue Wohnungen bauen: Wirtschaftsminister Olaf Lies steht vor seiner größten Bewährungsprobe. | Foto: MW, Canva, Montage: Rundblick/Link

Womöglich wird der SPD-Politiker das in den kommenden Wochen besonders benötigen. Denn es stehen gleich mehrere größere Vorhaben an, die im Detail ausgesprochen konfliktreich sind und schon die Frage aufwerfen können, ob Lies die richtigen Antworten findet auf die Herausforderungen. Da kommt vieles zusammen: Sind seine Vorschläge angemessen, sind sie überhaupt wirkungsvoll – und kollidieren sie möglicherweise mit rechtlichen Vorgaben? Es geht zum einen um ein Großprojekt der Landesregierung, die Gründung einer „Landeswohnungsgesellschaft“ (LWG). Diese soll, so hat es die Regierung vor wenigen Tagen noch einmal bestätigt, „Anfang 2024 an den Start gehen“.

Bisher jedoch gibt es außer den für 2024 bereitgestellten 100 Millionen Euro noch kein öffentlich bekanntes Konzept, noch keinen Geschäftsführer und auch noch nicht die vermutlich sehr heikle Rechtskonstruktion, die mit den Vorgaben der Schuldenbremse kollidieren könnte. Dann geht es noch um die Reform der Bauordnung und die spannende Frage, welche gewohnten rechtlichen Vorgaben Lies aus den Vorschriften streichen will. Das könnte einige Interessenverbände aufrütteln und zu heftiger Kritik anstacheln.

Hier die Konzepte und ihre Probleme im Einzelnen:

Neue Sozialwohnungen

Im Koalitionsvertrag verkündeten SPD und Grüne, sie wollten „perspektivisch 100.000 zusätzliche Sozialwohnungen schaffen“. Inzwischen erklärte das Wirtschaftsministerium, mit dem Startkapital der geplanten LWG von 100 Millionen Euro könne man „bis zu 1700 Wohnungen entwickeln“. In den Folgejahren brauche man dann neue Mittel, hieß es. Das bedeutet nun: Vom Ziel 100.000 Wohnungen ist das sehr weit entfernt, auch von einer zweiten Zahl, die im Koalitionsvertrag steht, nämlich „40.000 landeseigene Wohnungen“.

Möglich wäre eine kräftige Ausweitung dieser Zahl wohl nur, wenn eine neue Methode greift: Die LWG müsste das Recht erhalten, auf der Basis ihres Kapitalstamms neue Kredite aufzunehmen und mit diesen weitere Wohnungen zu erwerben oder aber bauen zu lassen.

Konflikt mit der Schuldenbremse

Diskutiert wird nun, dass mit der geplanten Änderung der Landeshaushaltsordnung ein Weg geschaffen wird, die LWG mit Krediten des Landes auszustatten. Normalerweise wäre das tabu, es herrscht ein Kreditaufnahmeverbot des Landes. Rot-Grün will das aber lockern zugunsten einer Erlaubnis für die Landes-Kreditaufnahme – dann nämlich, wenn diese Kredite an Dritte wieder als Kredit vergeben werden und der Empfänger sie zurückzahlt. Das heißt, dass die Basis der LWG sehr stabil sein muss, um die nach der geplanten neuen Regel in der Landeshaushaltsordnung empfangenen Kredite des Landes auch wieder zurückzahlen zu können.

Wann die Rückzahlung fällig wird, ist aber offenbar flexibel. Kritiker wie der CDU-Politiker Reinhold Hilbers sehen in dieser Methode einen Verstoß gegen die Schuldenbremse. Eine andere Variante, die Schuldenbremse zu umgehen, deutet sich so an: Wenn die LWG sich nicht hundertprozentig auf die Landeszuweisungen und eigenen Kredite stützt, sondern noch andere Einnahmen hätte (etwa über Beteiligungen von anderen Wohnungsunternehmen), wäre der Verdacht einer Umgehung der Schuldenbremse-Vorschrift möglicherweise entkräftet. Das zumindest ist die Quintessenz einer älteren Bewertung aus dem Finanzministerium von 2019.



Hoffnung auf Karlsruhe

Am morgigen Mittwoch, 15. November, fällt das Bundesverfassungsgericht ein Urteil zu der Frage, ob Corona-Kredite (die wegen der Notfall-Ausnahmeklausel in den Schuldenbremse-Vorschriften aufgenommen werden durften) vom Parlament für andere Zwecke umgewidmet werden dürfen. Beklagter ist der Bundesfinanzminister, aber ein Erfolg für ihn in Karlsruhe hätte auch Folgewirkungen für Niedersachsen.

Bisher sind mehr als 3 Milliarden Euro in verschiedenen Sonder-Töpfen im Landeshaushalt für bestimmte Zwecke reserviert. Bei einem Urteil, das eine Umwidmung erlaubt, könnte die Landesregierung aus diesen Töpfen auch Summen für die LWG abzweigen.

Wer wird der Partner der LWG?

Schon im Koalitionsvertrag steht, dass die LWG einen engen Schulterschluss mit dem Verband der Wohnungswirtschaft (vdw) pflegen will – jenem Verband, der kommunale und genossenschaftliche Wohnungsgesellschaften vertritt. Womöglich wird der vdw die Organisation der LWG übernehmen. Spannend ist dann die Frage, ob die N-Bank eingebunden wird.

Wenn man die N-Bank stärken und ihre Eigenkapitalbasis erweitern will, bräuchte sie dafür wohl den Wohnraumförderfonds im Umfang von rund 400 Millionen Euro jährlich. Das heißt, dass die LWG in jedem Fall eine enge Zusammenarbeit mit der N-Bank begründen müsste. Das könnte die Strukturen aber noch komplizierter machen. Zudem kommt hinzu, dass eine Prüfung nach dem EU-Beihilferecht nicht unproblematisch ist. Die LWG will als staatliche Institution am Wohnungsmarkt aktiv werden – und das ruft die Wettbewerbshüter der EU auf den Plan.

Beispielrechnung für 4000 Wohnungen

Der SPD-Wirtschaftsexperte Torsten Windels hat an einem Beispiel erläutert, wie die LWG jährlich 4000 Sozialwohnungen schaffen könne. Diese kosteten 680 Millionen Euro. Die N-Bank gebe aus dem Wohnungsförderfonds zinsfreie Kredite über 578 Millionen Euro, die Mieteinnahmen (6,10 Euro je Quadratmeter kalt) lägen bei 17,6 Millionen Euro.

Torsten Windels | Foto: Schrader Stiftung

Da der Aufwand für Zinsen, Abschreibungen und Verwaltung rund 19,6 Millionen Euro betrage, müssten bis zu 2 Millionen Euro jährlich von der LWG dafür finanziert werden. Dabei unterstellt Windels, dass die LWG vergünstigte Grundstücke von den Kommunen erhält, etwa über Erbbaurecht.

Ärger mit den Kommunen?

Die neue LWG könnte der Versuchung erliegen, aus Mangel an Geld und Möglichkeiten ihre Kompetenzen auszuweiten – womöglich zu Lasten der Kommunen? Bisher können Städte und Gemeinden festlegen, wer von den Bedürftigen in der Gemeinde eine Sozialwohnung zugewiesen bekommen soll. Viele kommunale Wohnungsgesellschaften wollen aber lieber selbst entscheiden, wer in ihre Sozialwohnungen einziehen soll. Da der vdw als Vertreter der Wohnungsgesellschaften eine starke Rolle in der LWG einnimmt, könnte diese Forderung dort dann vorgetragen werden.

Das Wirtschaftsministerium hat schon mal abgefragt, wie sich die 113 „Wohnraumförderstellen“ in den Kreisen, Städten und Gemeinden bewährt haben. Das sind kommunale Stellen, die Wohnraumförderanträge bearbeiten – offenbar in höchst unterschiedlicher Qualität. Hier könnte der erste Konflikt mit den Kommunen entstehen, sollte die LWG erwägen, die Kompetenzen den Kommunen zu entziehen. Ein anderes Ärgernis droht bei der Überlegung, ob es Kommunen in Niedersachsen künftig erlaubt werden soll, kommunale Grundstücke unter ihrem Verkehrswert an Bauwillige zu veräußern und so den Wohnungsbau anzukurbeln. Dieser Weg ist beim Land wie bei den Kommunen selbst bisher umstritten.

Die neue „Umbau-Ordnung“

Nicht nur die Details der LWG beinhalten Konfliktstoff, sondern auch ein anderer Plan, den Lies ziemlich bald vorstellen dürfte – die sogenannte „Umbau-Ordnung“, verknüpft mit einer Novelle der Bauordnung. Geplant ist, die Genehmigungspflichten und Auflagen bei Bauvorhaben zurückzufahren. Wenn etwa in Altbauten ein Dachgeschoss ausgebaut oder eine Etage auf ein Gebäude aufgesetzt werden soll, wird nach Lies‘ neuem Plan eine Fülle an bisherigen Auflagen wegfallen. Das betrifft den Denkmalschutz, die Barrierefreiheit (Fahrstuhlpflicht), womöglich auch baupolizeiliche Auflagen (Reservierung von Feuerwehr-Rettungswegen).

Die Grenzabstände bei der Bebauung von Grundstücken sollen verringert werden. Vorgesehen ist auch, die Pflicht zum Nachweis für Parkplätze wegfallen zu lassen – ein für Rot-Grün auch deshalb vertretbarer Ansatz, da starke Kräfte in der Regierung sowieso von einem Rückgang des Autoverkehrs ausgehen. Gerade bei den Parkplätzen stellen sich aber die Kommunen quer, sie pochen auf die Pflicht oder wenigstens auf finanzielle Ausgleichszahlungen für jene, die diese Pflicht nicht erfüllen wollen. Hintergrund ist, dass die Kommunen auch ausreichend Autostellplätze in ihren Wohngebieten sicherstellen wollen. Die Runde der Oberbürgermeister hat bereits gegen diese Absichten Widerspruch vorgetragen.

Dieser Artikel erschien am 14.11.2023 in Ausgabe #197.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail