Der Plan klingt auf den ersten Blick einleuchtend: Die Klosterkammer, eine Behörde des Landes mit langer Tradition, soll mehr demokratische Kontrolle bekommen. Rot-Grün stellt sich ein Gremium vor, das wie ein „Aufsichtsrat“ wirken soll – und über den Wirtschaftsplan, die Vermögensverwaltung und die Handlungsprinzipien befinden soll. Schließlich geht es um viel, die Klosterkammer verwaltet den „Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds“, und dahinter verbirgt sich ein riesiger Schatz: 40.000 Hektar Land, 24.000 Hektar Wald, 17 Klöster und jede Menge Grundstücke, die teilweise in Erbpacht vergeben sind. 30 Millionen Euro beträgt der Jahresetat. Bisher entscheidet darüber der Präsident der Klosterkammer und frühere CDU-Politiker Hans-Christian Biallas relativ allein, er hat zwar an Kuratorium an die Seite gestellt bekommen, doch dieses hat nur beratende, keine entscheidende Funktion.
Nun ist es nicht so, dass Rot-Grün mit der Amtsführung von Biallas unzufrieden wäre. Der Präsident gilt sogar als ausgesprochen kommunikativ und kooperativ. Aber wenn es um die Reform der Klosterkammer geht, verlaufen die Fronten nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen Traditionalisten und Modernisten. Bei einer Expertenanhörung zum Plan von Rot-Grün, gestern vor dem Wissenschaftsausschuss des Landtags, wurde das besonders deutlich. In zwei Jahren wird die Kammer 200 Jahre alt, sie wurde 1818 unter dem späteren hannoverschen König Georg IV. gegründet zur Verwaltung des ehemaligen Kirchenbesitzes. Georg IV. als Stifter bestimmte, dass nicht die Stände, Vorläufer des Parlamentes, über die Verteilung der Erträge zu entscheiden haben, sondern allein die königliche Verwaltung. Für mildtätige, kirchliche und bildungspolitische Zwecke soll das Geld fließen. Wie der derzeitige Klosterkammerpräsident Biallas gestern sagte, hat es seit 1818 „bis zu 13 Versuche“ gegeben, die Klosterkammer ihrer Eigenständigkeit zu berauben. „Das erste Mal war 1821, als die Ständeversammlung den Etat sehen wollte.“ 1972 beschäftigte sich der Staatsgerichtshof mit der Frage, wie stark sich die Klosterkammer gegen politische Einflussnahme abschotten darf – und das Ergebnis war klar: Der Klosterfonds sei als „überkommene heimatgebundene Einrichtung“ geschützt, damit darf der Staat nicht eingreifen. Und, wie der derzeitige Kammerdirektor Andreas Hesse meint, dies gelte nicht nur für den Fonds, sondern auch für die Klosterkammer als Behörde, die den Fonds verwaltet: „Beide genießen Bestandsschutz.“
Die Führung der Kammer selbst steht an der Spitze der Abwehrfront gegen die Reformpläne: „Ich möchte hier keine Goldgräberstimmung erzeugen“, sagte Biallas und unterstellte damit indirekt, Rot-Grün habe es auf einen Zugriff auf die Erträge abgesehen. Tatsächlich gibt es – inoffiziell – in den Koalitionsparteien Unverständnis darüber, dass die Kammer seit Jahren ihre Rücklagen anhäuft und bei neuen Förderprogrammen eher zurückhaltend bleibt. Kammerdirektor Hesse meinte, er sehe große verfassungsrechtliche Probleme im rot-grünen Antrag: „Landtagsabgeordnete dürften nicht in einem Begleitgremium mitwirken, weil nur die Exekutive bestimmen darf“, sagt er. Außerdem dürfe ein Aufsichtsrat nur installiert werden, wenn zuvor die Landesverfassung mit Zweidrittelmehrheit geändert wird, meint Hesse. In diesen Chor stimmen auch Vertreter des derzeitigen – nur beratenden – Kuratoriums ein. Valentin Schmidt, einst Kirchenamtspräsident, betont: „Niedersachsen hat eine Fülle von Problemen, die Klosterkammer ist aber bestimmt keines.“ Die Kammer sei „ein Juwel, mit dem man sorgfältig umgehen sollte“. Schmidt schlägt vor, Rot-Grün solle den Antrag zurückziehen und stattdessen den Umfang der Themen, über die das Kuratorium berät, ausweiten. „Das Kuratorium ist ja auch nicht strategisch blöd“, sagt er mit grimmigem Gesichtsausdruck.
Noch deutlicher wird der Rechtsanwalt Friedrich von Lenthe, der auch im Kuratorium sitzt. Viele überlieferten Einrichtungen wie die Klosterkammer oder die Landschaftliche Brandkasse VGH hätten sich seit dem Mittelalter bis in die heutige Zeit herübergerettet, „weil sie eine parteipolitisch uneinnehmbare Festung geblieben sind“. Stiftungen seien „im gewissen Sinne rechtsfreie Räume“, und sie könnten nur erfolgreich wirken, „wenn sie ihr Kleid nicht verändern“. Von Lenthe schloss mit einer unzweideutigen Warnung: „Sehen Sie es nicht als Drohung, aber alles, was der Landtag beschließt, wird natürlich juristisch überprüft – auch als Vorneverteidigung für andere Einrichtungen.“
Von der Wortwahl der Traditionalisten zeigte sich der Dresdener Rechtswissenschaftler und Stiftungsexperte Prof. Michael Schulte überrascht: „Manchmal habe ich den Eindruck, in Niedersachsen wird die Klosterkammer als Allerheiligstes, als sakrosankt angesehen. Das wird man aber nicht annehmen dürfen.“ Laut Schulte ist die fehlende Kontrolle in der Kammer auffällig, es gebe lediglich eine Rechtsaufsicht des Wissenschaftsministeriums, aber keine Möglichkeit der inhaltlichen Korrektur. Dies sei „erstaunlich“, und natürlich könne sich keine Stiftung, auch die Klosterkammer nicht, in einem rechtsfreien Raum bewegen.
Wie geht es nun weiter? Silke Lesemann (SPD) und Ottmar von Holtz (Grüne) baten die Landtagsjuristen noch einmal um Prüfung, wie die Hinweise der Experten zu bewerten seien. Jörg Hillmer (CDU) und Christian Grascha (FDP) bleiben bei ihrem strikten Nein zu den Plänen. Hillmer forderte, die Koalition solle diese zurückziehen – und er wittert Versuche der Koalition, in vielen Bereichen Stiftungsvermögen stärker in den Landeshaushalt zu übertragen. Gegen diesen Vorwurf verwahren sich SPD und Grüne. (kw)Dieser Artikel erschien in Ausgabe #222.