Darum geht es: Der Islamvertrag wird, anders als noch vor Wochen geplant, in diesem Jahr vermutlich nicht mehr vom Landtag beschlossen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum:
Noch vor Beginn der Adventszeit hätte man darauf wetten können, dass die Landesregierung in der ersten Hälfte des Jahres 2017 die Aussöhnung mit dem Islam zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen würde. Es war von mehreren größeren Diskussionsveranstaltungen im Lande die Rede, von der Hoffnung auf Fortschritte bei dem durchaus schwierigen Versuch, auf Seite der islamischen Verbände repräsentative Ansprechpartner zu finden. Diese Politik der ausgestreckten Hand gegenüber dem Islam, in Großstädten wie Hannover parteiübergreifend seit langem ein Anliegen mit hoher Priorität, hätte auch parteistrategisch etwas Verlockendes für Rot-Grün gehabt: Während die CDU seit dem Spätsommer 2016 ziemlich klar auf Distanz zu einem möglichen Islamvertrag ging, bekundete die FDP Gesprächs- und Dialogbereitschaft. Das Thema wäre also geeignet gewesen, vor der Landtagswahl Anfang 2018 eine Annäherung von SPD, Grünen und FDP zu ebnen.
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Hätte, wäre, könnte – Ereignisse außerhalb Niedersachsens sind wohl maßgeblich dafür, dass die Aussichten auf einen Islamvertrag noch in diesem Jahr mittlerweile ziemlich schlecht sind. Gestern signalisierte die FDP, dass sie sich einen solchen Landtagsbeschluss nicht vorstellen kann. Ein wichtiger Grund ist dabei das Auftreten des Moscheeverbandes Ditib, der vor allem seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei zunehmend im Verdacht steht, ein verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Erdogan zu sein. Aus Nordrhein-Westfalen kommen nun Berichte, Ditib-Mitglieder hätten in Deutschland Erdogan-Gegner ausspioniert. Bestätigt sind diese Vorwürfe zwar nicht, aber der Verdacht erhärtet sich, bei Ditib handele es sich womöglich nur vordergründig um einen religiösen, in Wahrheit aber um einen politischen Verband mit einem klaren Auftrag: den Rückhalt des türkischen Präsidenten bei den Türken in Deutschland zu sichern.
Kann nun eine zweifelhafte Organisation wie Ditib tatsächlich Vertragspartner der Landesregierung sein? Gestern, als die aktuellen Zweifel der FDP öffentlich wurden, hatte Regierungssprecherin Anke Pörksen eine Erklärung der Staatskanzlei parat. Der Ministerpräsident, sagte sie, habe wiederholt erklärt, großen Wert auf eine „breite parlamentarische Mehrheit“ bei möglichen Verträgen mit muslimischen Verbänden zu legen. Wenn aber CDU und FDP nicht mitstimmen, wäre die maximal erreichbare Mehrheit von Rot-Grün im Landtag bei 69 zu 68 Stimmen, also nur eine Stimme Mehrheit. „Die Einstimmenmehrheit ist jedenfalls keine breite parlamentarische Mehrheit“, erklärte Pörksen. Damit dürfte die Sichtweise des Ministerpräsidenten klar sein – er ist dagegen, dass Rot-Grün im Alleingang den Islamvertrag beschließt. Daran kann auch die Grünen-Fraktionschefin Anja Piel nichts ändern, die weiter Sympathie für das Vorhaben bekundet.
Weils Haltung hat sicher auch mit der politischen Großwetterlage zu tun. Bei vielen Politikern, auch bei SPD und Grünen, ist ein vorsichtigeres Agieren im Umgang mit muslimischen Verbänden festzustellen. In einer Zeit von islamistisch motivierten Anschlägen einerseits und schwierigeren Beziehungen zur Türkei andererseits sind viele, die früher bei solchen Verträgen mutig vorangeschritten wären, in eine abwartende und beobachtende Position übergegangen. Die Stimmen derer, die in dem Islamvertrag eine Chance sehen, weil man damit Muslime in Niedersachsen stärker an unsere christlich geprägte Werteordnung heranführen könnte, sind leiser geworden. Aus gutem Grund spricht der Regierungschef immer noch von der „breiten parlamentarischen Mehrheit“. Denn er könnte sich vermutlich bei einem rot-grünen Alleingang auch nicht sicher sein, ob ihm alle Sozialdemokraten im Landtag folgen würden. Die Zeiten für einen unbefangenen, vorbehaltlosen Dialog der Religionsgemeinschaften waren auch schon mal besser.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #11.