Was lernen wir aus der grassierenden Vogelgrippe? Sind die Tötungen der betroffenen Tiere in den Ställen der richtige Weg? Was ist mit den Tiertransporten – und wie ist das neue Jagdgesetz zu bewerten? Im Gespräch mit Niklas Kleinwächter äußert sich die neue Tierschutzbeauftragte Julia Pfeiffer-Schlichting.
Rundblick: Frau Pfeiffer-Schlichting, im Moment grassiert wieder die Vogelgrippe in Niedersachsen. Ist die Massentierhaltung ein Treiber der Seuche?
Pfeiffer-Schlichting: Ich sehe die Massentierhaltung hier schon kritisch. Ein Experte des Friedrich-Loeffler-Instituts, Prof. Timm Harder, hat bereits 2023 eingeräumt, dass sich der Wechsel von schwach-pathogenen zu hoch-pathogenen Erregern in Geflügelhaltungen vollzieht – und nicht in der Natur. Denn je mehr Geflügeltiere auf kleinem Raum gehalten werden, desto schneller verändern sich die Viren. Hinzu kommen dann die geringen Abstände zwischen den Betrieben und die hohe Geflügeldichte in manchen Regionen Niedersachsens. Die Ställe stehen da teilweise in Sichtweite voneinander, was insbesondere bei den teil-offenen Putenställen zum Übertragungsrisiko werden kann.

Rundblick: Tausende Tiere müssen nun zum Zwecke des Seuchenschutzes gekeult werden – Bilder, die in der Bevölkerung nicht gut ankommen.
Pfeiffer-Schlichting: Ich halte die gesamte Tierseuchenpolitik aus Sicht des Tierschutzes für fragwürdig. Das massenhafte Keulen von Tieren wird von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert. Ich bin deshalb der Meinung: Wo präventive Maßnahmen möglich sind, müssen die auch Pflicht sein. Die EU-Gesetzgebung muss dahingehend angepasst werden. Der Deutsche Tierärztetag fordert das ebenfalls. So gibt es beispielsweise Marker-Impfstoffe gegen die Maul- und Klauenseuche, mit denen verhindert werden kann, dass viele Tiere getötet werden müssen. Weil das aber zu Export-Problemen führt, will die Wirtschaft das nicht. Nach dem Ausbruch einer Tierseuche kommt es, so haben wir es im Schweinebereich erlebt, oft zu einem Vermarktungsstau, der Tierschutzrelevanz hat. Auch dafür müssen Lösungen gefunden werden.
Rundblick: Als wir im vergangenen Jahr miteinander gesprochen haben, haben Sie gerade dafür gestritten, den Transport von lebenden Tieren in weit entfernte Drittländer zu verbieten. Mit der Ampel-Regierung war das schon schwierig, jetzt haben wir einen Bundesagrarminister von der CSU, der Metzgermeister ist. Was hat sich seitdem getan?
Pfeiffer-Schlichting: Wir sind jetzt viele Tragödien und Stellungnahmen weiter, aber getan hat sich leider nichts. Im vergangenen Jahr konnten wir beobachten, wie 69 Zuchtfärsen an der bulgarisch-türkischen Grenze verreckt sind oder durch das betäubungslose Durchschneiden der Kehle getötet wurden. Die damalige Bundestierschutzbeauftragte Ariane Kari hat dazu eine Stellungnahme abgegeben und 150 Juristen haben in einem offenen Brief gemeinsam eine nationale Regelung gefordert. Das letzte, was die vorige Bundesregierung dazu noch auf den Weg gebracht hat, war ein Eckpunktepapier, welches eine nationale Regelung vorsah und zur Stellungnahme an die EU-Kommission übergeben wurde. Obwohl die Antwort aus Brüssel seit Mai vorliegt, äußert sich das Bundesagrarministerium aber nicht dazu.

Rundblick: Was hat die EU denn geantwortet?
Pfeiffer-Schlichting: Die EU-Kommission stellt klar, dass Regelungen zu Lebendtiertransporten in Drittländer grundsätzlich in die Zuständigkeit der gemeinsamen Handelspolitik der EU fallen. Dort wird die EU-Tierschutztransport-Verordnung derzeit überarbeitet. Zum einen dauert dies, zum anderen gehen die anvisierten Regelungen aus meiner Sicht nicht weit genug. Eine nationale Regelung könnte gut die Lücke füllen. Die EU-Kommission hat in ihrem Antwortschreiben nämlich auch Ausnahmen aufgezeigt – zum Beispiel, wenn die nationale Maßnahme „spezifisch, in ihrem Umfang begrenzt und befristet“ ist. Dies wäre der Fall, wenn man das Exportverbot zum Beispiel auf eine bestimmte Tierart begrenzen und einen klaren zeitlichen Rahmen setzen würde. Dies ist ein vielversprechender Aufschlag. Nun ist das Bundesagrarministerium in der Bringschuld und sollte eigentlich Daten zu den Tierarten, Mengen und Zielländern nachliefern. Dazu habe ich bislang nichts gesehen.
Rundblick: Sie erwarten also zeitnah keine nationale Regelung zum Verbot von Lebendtiertransporten in Drittländer?
Pfeiffer-Schlichting: Die Beharrungskräfte sind groß. Mit Zuchtfärsen lässt sich einfach gutes Geld verdienen und bei den politischen Aushandlungen sitzen viele Verbandsfunktionäre mit im Boot. Ich finde, eigentlich sollte man alle Entscheidungsträger zwingen, sich die ZDF-Reportage über die Ereignisse an der türkisch-bulgarischen Grenze im letzten Herbst anzusehen, weil darin das Leid so deutlich wird. Wer ein Gewissen und ein Herz hat, den lassen diese Bilder nicht mehr los.
Rundblick: Die frühere Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung war, wie Sie, Tierärztin. Jetzt hat die CDU-Politikerin Silvia Breher aus Niedersachsen die Position übernommen. Erfahren Sie da ähnliche Rückendeckung?
Pfeiffer-Schlichting: Ich gehe nicht davon aus, dass Frau Breher das Thema in ähnlicher Weise vorantreiben wird. Sie hat angekündigt, sich unter anderem um Videoüberwachung in Schlachthöfen sowie um den Online-Handel von Heimtieren kümmern zu wollen. Von einer nationalen Regelung für die Tiertransporte in Drittstaaten war bislang nicht die Rede. Ein Treffen hat noch nicht stattgefunden. Die anderen Landes-Tierschutzbeauftragten und ich gehen davon aus, dass dies bald passieren wird.
Rundblick: Die rot-grüne Regierungskoalition in Niedersachsen hat kürzlich den Gesetzentwurf zur Novelle des Landes-Jagdgesetzes vorgelegt. Wie zufrieden sind Sie damit, insbesondere mit den Bestimmungen zum Abschuss von Streunerkatzen?

Pfeiffer-Schlichting: Ich bin gar nicht zufrieden damit. Ich hätte mir gewünscht, dass der Abschuss von Hauskatzen komplett gestrichen wird, denn wir haben mildere Mittel. Das Land fördert seit Jahren die Kastration von Streunerkatzen, womit das unkontrollierte Anwachsen der Population eingedämmt werden soll. Ich könnte mir vorstellen, die Jäger an dieser Stelle sogar einzubinden. So könnten sie daran mitwirken, die Tiere einzufangen, damit sie anschließend kastriert und dann je nach Verwilderungsgrad vermittelt oder wieder freigelassen werden. Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt, dass der Besitz an Katzen nicht aufgegeben werden kann. Jede Katze gehört also immer jemandem – auch deren Nachwuchs. Wird nun eine Katze aufgefunden, muss die Gemeinde diese Tiere wie andere Fundsachen auch, mindestens ein halbes Jahr aufbewahren. Das ist natürlich ein fortwährender Streitpunkt, weil das aufwendig ist und Geld kostet. Um eine wirksame, tierschutzgerechte Bestandsreduktion der Streunerkatzenpopulation zu erreichen, reichen Kastrationsaktionen alleine nicht aus. Die Population wird gespeist von unkastrierten Freigängerkatzen, denen eine Halterin bzw. ein Halter zuzuordnen ist. Diese müssen in die Pflicht genommen werden. Das soll durch eine landesweite Katzen-Verordnung erfolgen, die sich immer noch in der Ressortabstimmung befindet.
Rundblick: Worum geht es dabei?
Pfeiffer-Schlichting: Die landesweite Katzen-Verordnung soll Halterinnen und Halter von Freigängerkatzen dazu verpflichten, diese kastrieren, kennzeichnen und registrieren zu lassen. Der Verordnungsentwurf sieht vor, dass die Veterinärämter für den Vollzug der Verordnung zuständig sein sollen. Mit Unterstützung aus Nordrhein-Westfalen und Thüringen habe ich gerade versucht, unseren Veterinärämtern die Angst vor dem Erfüllungsaufwand zu nehmen. Das Beispiel aus den Nachbarländern zeigt: Das ist machbar.
Rundblick: Der Bund hat das Aus für das Förderprogramm zum Umbau der Nutztierhaltung bekanntgegeben. Wie kann nun mehr Tierwohl in den Stall kommen?
Pfeiffer-Schlichting: Es braucht dringend eine neue Förderung vom Bund, denn das Land kann auf das Förderaus nicht entsprechend reagieren. Niedersachsen hätte aufgrund der intensiven Tierhaltung gut 40 Prozent der Fördergelder heben können. Die GAK-Mittel können das nicht kompensieren. Es führt kein Weg daran vorbei, den Umbau über eine Art von Verbrauchersteuer oder Tierwohl-Cent gegen zu finanzieren. Ja, Tierschutz kostet Geld. Dafür muss es eine Anerkennung geben, das ist essenziell.
Rundblick: Der Verbraucher trifft an der Ladenkasse eine andere Entscheidung. Den mit Abstand größten Absatz finden immer noch Produkte der Haltungsformen 1 und 2.
Pfeiffer-Schlichting: Ich kann da nur immer wieder an die Verbraucher appellieren, dass jeder Einzelne etwas für den Tierschutz tun kann. Allerdings halte ich die Standards der Haltungsform 1 auch nicht für Tierschutz-konform. Der gesetzliche Mindeststandard ist über das Tierschutzgesetz definiert, mit der untergeordneten Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung weichen wir davon aber nach unten ab. Hier muss dringend nachgebessert werden.
Rundblick: Handel und Landwirtschaft warnen davor, dass die Produktion der Lebensmittel ins EU-Ausland abwandern könnte, wenn die Standards in Deutschland immer höhergeschraubt werden. Sie haben kürzlich einen Schutzschirm für heimische Erzeuger ins Spiel gebracht. Wie soll das gelingen?
Pfeiffer-Schlichting: Auf meine Initiative hin ist ein Gutachten anvisiert, das rechtlich prüfen soll, wie das gelingen kann, ohne gegen die Regeln des EU-Binnenmarkts zu verstoßen. Es gibt die Möglichkeit, zum Schutz höherwertiger Güter wie zum Beispiel des Umweltschutzes oder des Tierschutzes Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit im Binnenmarkt zu definieren. Mir geht es darum, die nationalen Standards auch auf Importe anzuwenden und so durch einen qualifizierten Marktzugang auch unsere heimische Landwirtschaft bei ihren Bemühungen für mehr Tierschutz zu unterstützen. Ich stelle mir national eine Untergrenze für die Haltungsform vor, die unserem Tierschutzgesetz entspricht. Der US-Binnenmarkt ist zwar nicht mit dem EU-Binnenmarkt eins-zu-eins vergleichbar, aber Kalifornien zum Beispiel hat auch höhere Tierschutz-Standards definiert als der Rest der Vereinigten Staaten und diese Standards rechtmäßig auch auf Importe angewendet. Wir dürfen uns unsere Werte nicht kaputtmachen lassen.


