
Der neue Generalkonsul der USA für Norddeutschland, Jason Chue (46), will das deutsch-amerikanische Verhältnis weiter verbessern – und ist dabei ziemlich optimistisch. Die Unterstützung für die Ukraine im Kampf gegen Russland ist für ihn nicht nur ein Akt der Solidarität mit einem befreundeten Land. Es ist auch eine Verteidigung des demokratischen Systems. Beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick äußert sich Chue zur aktuellen politischen Lage.
Rundblick: Herr Chue, Sie waren jetzt das erste Mal in Hannover. Wie wirkt diese Stadt auf Sie?
Chue: In den USA gelten Gebäude, die im 17. Jahrhundert erbaut wurden, als sehr alt. Hier in Europa gibt es viel, viel ältere Bauten, auch in Hannover. Das beeindruckt mich sehr. Ich bin sehr angetan von Ihrer Landeshauptstadt.
Rundblick: Sie waren zum Antrittsbesuch bei Ministerpräsident Stephan Weil. War das für Sie aufschlussreich?
Chue: Es gibt eine wirklich lange Tradition der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Norddeutschland und den USA, unser Konsulat in Hamburg wurde schon 1790 unter George Washington eingerichtet. Diese lange Zeit der gemeinsamen Arbeit spiegelt sich auch in den Wirtschaftsbeziehungen der großen Unternehmen wieder. Dow Chemical in Stade beispielsweise spielt in der Energiewende eine wichtige Rolle, da bietet sich eine Verstärkung der Kontakte zwischen beiden Ländern an. In der Landwirtschaft und im Automobilbau wird die Zukunft stärker von Digitalisierung und stärker von der Nutzung Künstlicher Intelligenz geprägt sein. Hier wird es künftig noch viele Gelegenheiten und Anknüpfungspunkte für einen stärkeren Austausch zwischen den Unternehmen in den USA und in Niedersachsen geben. Ein großes Thema ist auch die Energiesicherheit mit den Schwerpunkten LNG und grüner Wasserstoff.

Rundblick: Meinen Sie, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dazu führen wird, dass die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet noch intensiver wird?
Chue: Davon gehe ich aus. Wir müssen realisieren, dass Putins Angriff auf den souveränen Staat Ukraine nicht nur irgendein machtpolitisch intendierter Schritt war. Das war ein Angriff gegen die gemeinsamen Werte und gegen die Demokratie, für die die USA und die Bundesrepublik stehen. Umso verständlicher ist das gemeinsame und entschlossene Vorgehen gegen Putins Aggression.

Rundblick: Was wird in der Ukraine geschehen, wenn dieser Krieg irgendwann – hoffentlich – beendet sein wird?
Chue: Es wird den Wiederaufbau geben – und wir haben hier ein Vorbild dafür, den Marshall-Plan, der eine Hilfe der USA für den Aufbau des zerstörten Deutschlands beinhaltete. Wer hätte in Deutschland 1945 gedacht, dass dies klappen würde und dass wir Jahrzehnte später eine der stärksten Volkswirtschaften auf deutschen Boden haben würden? Niemand. Für die USA ist die Tür offen für gemeinsame Kraftanstrengungen zum Wiederaufbau nach dem Krieg.
Rundblick: Kann diese Perspektive womöglich sogar dazu beitragen, den Krieg schneller zu beenden – über eine Verhandlungslösung?
Chue: Es ist die Aufgabe der Ukrainer, den geeigneten Zeitpunkt zu definieren. Sie sind angegriffen worden, sie verteidigen sich. So werden sie auch festlegen, wann die Zeit für Verhandlungen gekommen ist. Bis dahin ist es unsere Aufgabe und die unserer gleichgesinnten Alliierten, der Ukraine für diese Verhandlungen eine möglichst starke Position zu verschaffen.
Rundblick: Die US-Botschafterin Amy Gutmann hat davor gewarnt, dass sich westliche Staaten in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu autokratischen Regierungen begeben. Ist das mit Blick auf Deutschland nicht schon zu spät – bei der Energie mit Blick auf Russland, bei der Wirtschaft mit Blick auf China?
Chue: Das würde ich nicht so sehen. Klar muss sein: Bei wichtigen Technologien und Industriezweigen muss die westliche Welt unabhängiger werden, auch von China. Diese Lehre hatten wir in den USA schon nach der Corona-Krise gezogen: Bei uns und in den Ländern, die uns freundlich gesonnen sind, müssen Industrien entstehen, die notwendige Produkte herstellen. Die Abhängigkeit von Lieferketten, in denen autoritär regierte Staaten mitwirken, muss verringert werden. Mit Blick auf China müssen wir feststellen, dass die Mikrochip-Produktion in Taiwan eben wichtig ist auch für Deutschland. Wir alle hoffen auf eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen China und Taiwan. So lange gilt: Taiwan ist eine Demokratie, es ist unser Verbündeter und hat Anspruch auf unsere Unterstützung. Die Gesellschaft in Taiwan ist vielfältig und tolerant, Frauen sind in leitenden Positionen. All das wird womöglich von der chinesischen Führung als Bedrohung angesehen.
Rundblick: Der neue „Inflation Reduction Act“ (IRA) lockt Unternehmen mit Subventionen und Steuergutschriften zur Produktion in die USA. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat eine „robuste Antwort“ der Europäischen Union auf das US-Inflationsbekämpfungsgesetz angekündigt. Der Vorwurf lautet, dass sich die USA einen unlauteren Standortvorteil verschaffen wollen. Ist diese Kritik berechtigt?
Chue: Wir verstehen, dass einige Handelspartner Bedenken haben, wie die Steuergutschriftbestimmungen im IRA in der Praxis in Bezug auf ihre Hersteller funktionieren werden. Deshalb haben wir im Oktober die US-EU-Task Force zum IRA ins Leben gerufen, um ein tieferes Verständnis für die bedeutenden Fortschritte des Gesetzes zur Senkung der Kosten für Familien, für unsere gemeinsamen Klimaziele und für die Möglichkeiten und Bedenken der EU-Produzenten zu fördern.

Rundblick: Ist US-Präsident Joe Biden nach den jüngsten Wahlen in den USA nicht geschwächt? Kann er angesichts einer drohenden Blockadehaltung im Kongress noch etwas bewegen?
Chue: Das Ergebnis der Midterm-Wahlen zwingt beide Lager zu einer intensiveren Zusammenarbeit. Wenn der Präsident Erfolge haben will, muss er auf das Repräsentantenhaus zugehen und Kompromisse suchen. Joe Biden hat lange Erfahrungen als Senator hinter sich. Er weiß, wie man in solchen Situationen handelt. Und was die Außenpolitik angeht, sind die Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern ohnehin nicht so fundamental. Noch etwas anderes kommt hinzu: Nach Putins Angriffskrieg auf die Ukraine gibt es keine ernst zu nehmenden Politiker in den USA, die bestreiten würden, dass Putins brutales Regime eine Bedrohung für die gesamte internationale Ordnung ist.
Rundblick: Wie wollen Sie Ihre Arbeit als Generalkonsul prägen?
Chue: Ich will raus auf das Land, es soll sich nicht alles auf Hamburg konzentrieren. Für fünf Bundesländer bin ich zuständig, neben Hamburg sind es Niedersachsen, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Ich will auch mit vielen Gruppen, die hier aktiv sind, Kontakte aufnehmen – etwa Frauengruppen oder Gruppen von Flüchtlingen aus der Ukraine. Meine Eltern waren selbst Einwanderer aus China, die vor dem Kommunismus geflohen sind. In vielen Teilen der Welt war ich schon tätig, und auch hier gilt: Ich bin gekommen, um etwas zu lernen.

„Deutschland hat mit seiner Politik die eigene Energiesicherheit untergraben“