30. Aug. 2020 · 
Wirtschaft

Das Handwerk trotzt der Krise – aber es lauern auch Gefahren

„Wir haben in der Krise durchgearbeitet“, betont Karl-Wilhelm Steinmann, Vorsitzender der Landesvertretung der niedersächsischen Handwerkskammern (LHN), am Freitag gleich mehrmals. Das Signal des niedersächsischen Handwerks ist klar: Bei uns läuft es trotz Krise rund. Und es ist auch ein Appell an junge Menschen, dringend über einen Ausbildungsplatz im Handwerk nachzudenken. Fast 90 Prozent der Betriebe hätten trotz Corona die Zahl der Ausbildungsplätze nicht verändert, bei einem Viertel der Unternehmen stieg die Zahl der Plätze sogar. Das geht aus einer Umfrage der Kammer hervor, an der sich rund 2400 Handwerksbetriebe aus ganz Niedersachsen beteiligt haben. Es gibt immer noch mehrere tausend freie Ausbildungsplätze, der Umfrage zufolge haben 37 Prozent der Ausbildungsbetriebe mindestens noch eine Stelle frei, und das geht quer durch alle Branchen. Diese Gelegenheit sollten junge Menschen nutzen, meint Steinmann. Eine Ausbildung im Handwerk sei immer ein gutes Fundament für den Einstieg ins Berufsleben. Die Handwerksbetriebe hoffen, dass sich viele Schulabgänger noch aufraffen, eine Bewerbung abzugeben, statt in weiteren Schul- oder Studienschleifen zu hängen. Zeit genug ist in diesem Jahr noch, seine Bewerbungsunterlagen abzugeben. Das Handwerk sei „krisensicher und systemrelevant“, macht Steinmann deutlich und gibt den jungen Menschen in der Pressekonferenz gleich zweimal mit auf den Weg: „Augen auf bei der Berufswahl.“
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In der Tat heben sich die Zahlen aus dem Handwerk wohltuend von Hiobsbotschaften aus anderen Bereichen der Wirtschaft ab. Die Lage der Autoindustrie und ihrer Zulieferer? Ein Drama. Reiseanbieter, Hotels- und Gaststätten? Enorme Verluste. Die Veranstaltungsbranche? Kaum Licht am Ende des Tunnels. Im Handwerk schätzen dagegen fast 90 Prozent der befragten Betriebe die eigene Geschäftslage aktuell als gut oder befriedigend ein. Das beißt sich auf den ersten Blick allerdings mit der Angabe, dass fast 40 Prozent Kurzarbeit beantragt und 26,5 Prozent am Ende auch in Anspruch genommen haben. Aus den Zahlen geht allerdings nicht hervor, ob es sich bei den betroffenen Unternehmen möglichweise nur um einen kurzen Engpass in der Hochzeit der Corona-Krise gehandelt hat. Trotz eines kurzfristigen Einbruchs sei es durchaus möglich, dass Betriebe die Lage insgesamt als befriedigend  einschätzen, meint Steinmann. In jedem zweiten Betrieb sei die Geschäftslage stabil, bei 15 Prozent habe sie sich sogar verbessert. Der LHN-Vorsitzende spricht von einer „robusten Lage“. https://www.youtube.com/watch?v=Ab8ajtqGgQw&feature=youtu.be Zwei Probleme könnten allerdings auftreten, das eine früher, das andere später. So sorgt man sich im Handwerk durchaus vor einer zweiten Corona-Welle. „Das treibt uns um“, sagt Steinmann, und da kann die Betriebe vermutlich auch nicht Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, beruhigen, der einen möglichen zweiten Lockdown für die deutsche Wirtschaft für „verkraftbar” hält. Fratzschers Argument: Für den langfristigen Schutz der Unternehmen sei eine schnelle Bekämpfung durch einen Lockdown sinnvoller, als die Lage wie in den USA lange hinzuschleppen und dadurch auf lange Zeit noch viel größere Probleme zu bekommen. Wenig beruhigend ist in diesem Zusammenhang auch die Warnung von Kanzleramtschef Helge Braun, der mahnte, wenn es kälter werde und sich viele Menschen in Innenräumen träfen, dann könne es sein, dass eine „zweite Welle mit Wucht“ komme. Neben der Angst vor der zweiten Welle könnte das Handwerk aber auch ein nachgelagertes Problem treffen. Die gute Stimmung ist bei vielen Betrieben noch den vollen Auftragsbüchern geschuldet, die noch aus der Zeit vor der Corona-Krise kommen. Was aber passiert, wenn die Wirtschaft auch im kommenden Jahr noch lahmt? Wie lange kann sich das Handwerk einer negativen Gesamtlage entziehen? Bei den Baugenehmigungen stelle man fest, dass deren Zahl derzeit noch gleichbleibend hoch ist, erklärt Steinmann. Im Bereich Ausbau- und Baugewerbe sei hier noch keine Schwächung sichtbar. „Aber wenn die Industrie langfristig Schwierigkeiten hat, wird sich das irgendwann auch auf uns auswirken“, weiß der Kammervorsitzende. Und wichtig blieben auch die anstehenden Investitionen der öffentlichen Hand, zum Beispiel bei Klimaschutz und Elektromobilität. „Wenn die öffentliche Hand die Investitionen nicht auf die Straße bringt, wenn es durch Home-Office in den Behörden oder ausgefallene Gremiensitzungen hakt, dann wird das im kommenden Jahr auch Auswirkungen auf das Handwerk haben“, mahnt Steinmann. So ganz ohne blaues Auge ist natürlich auch das gesamte Handwerk in der Corona-Krise nicht geblieben. Der LHN-Umfrage zufolge hat es bei fast einem Drittel der Betriebe eine deutliche Abkühlung gegeben. So seien zum Beispiel der Messebau oder auch das Veranstaltungscatering hart getroffen worden, und das lässt sich laut Steinmann auch nicht mehr ausgleichen. „Die nicht erzielten Umsätze kann man nicht nachholen.“ In der Krise muss also weiter möglichst kräftig durchgearbeitet werden. Von Martin Brüning
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #150.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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