Es sind schwere Zeiten für viele Handwerksbranchen: Die niedersächsischen Bäcker etwa stehen wegen stark gestiegener Energie- und Rohstoffpreise unter Druck. Foto: GettyImages/ljubaphoto

Jedem fünften Handwerker ist nach der Corona-Krise die Lust an der Selbstständigkeit vergangen. Wie eine Blitzumfrage des Niedersächsischen Handwerkstags (NHT) zeigt, haben 23 Prozent der Befragten aufgrund der Pandemie ihre Freude am Unternehmertum verloren. Die rund 860 befragten Handwerksbetriebe aus Niedersachsen klagen insbesondere über zu viele Verordnungen, zu große Unsicherheiten in den Betriebsabläufen und die Schwierigkeiten, Personal zu finden. „Man ist nur noch am Reagieren und versucht, Schaden vom Unternehmen fernzuhalten“, bringt NHT-Präsident Mike Schneider die Stimmung vieler Chefs auf den Punkt.

In seinem Familienbetrieb, der vor allem Gebäudereinigung anbietet, hat er die Auswüchse der Bürokratie selbst miterlebt. „Wir sind in 13 Bundesländern tätig, überall hat eine andere Verordnung gegolten. Meine Personalabteilung ist fast durchgedreht. Die haben bis in die Nacht gegoogelt, welche Bestimmungen wo gelten.“ Konkret fordert Schneider deswegen eine Stärkung der Clearingstelle für Bürokratievermeidung und mehr Augenmaß bei der Gesetzgebung.

Stellen die NHT-Umfrage vor (von links): Ute Schwiegershausen, Hildegard Sander und Mike Schneider. Foto: Link

„Das Handwerk ist der größte Arbeitgeber im Land“

40 Prozent der befragten Handwerker halten ihren Schritt in die Selbstständigkeit rückblickend für einen Fehler. 60 Prozent sagen: Ich würde es wieder tun. Da es bislang keine Vergleichszahlen gibt, will Schneider die Zahlen nicht überbewerten. Klar ist für ihn dennoch: „Es ist unsere Herausforderung, dass wir die jungen Menschen dahin bringen, dass sie den Sprung in die Selbstständigkeit wagen. Das Handwerk ist der größte Arbeitgeber im Land – nicht die Industrie.“ Vor Corona habe die Zahl der Beschäftigten im Handwerk in Niedersachsen bei etwa 554.000 gelegen.

Jeder zweite Jungmeister will selbstständig werden

NHT-Hauptgeschäftsführerin Hildegard Sander drängt auf eine bessere Förderung bei Betriebsgründungen im Handwerk. „Wir haben immer Spin-offs und Startups im Kopf. Dass aber die Masse der Unternehmensgründungen aus dem handwerklichen Bereich kommt, wird gar nicht gesehen“, sagt Sander. Eine Befragung von 1000 Jungmeistern hatte ergeben, dass jeder Zweite seine Zukunft in der Selbstständigkeit sieht. Bei den Hochschulabsolventen liege die Quote bei 20 Prozent. Die 2018 eingeführte Gründungsprämie im Handwerk sei schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Jetzt müssten aber auch Soloselbstständige in die Förderung aufgenommen werden, um sie für den Beschäftigungsaufbau und Betriebsübernahmen zu motivieren.

Beschaffungspreise für Bauholz fast verdoppelt

Die Handwerkstag-Umfrage zeigt außerdem eine Trendverschiebung. Als größte Herausforderung betrachten die Betriebe nicht mehr die Fachkräftegewinnung und die überbordende Bürokratie. Die Energiekosten und die Beschaffungspreise bereiteten den Handwerkern noch mehr Sorgen. „Die Preise für Bauholz haben sich nahezu verdoppelt“, berichtet Schneider. Im Vergleich zu 2019 seien die Beschaffungskosten um 89 Prozent gestiegen. Auch die Preise für Stahl (plus 70 Prozent) sowie Kunst- und Dämmstoffe (plus 40 Prozent) haben stark angezogen. „Das sind unglaubliche Zahlen, sowas kannten wir sonst gar nicht“, kommentiert der NHT-Präsident.

Durch den russischen Angriff auf die Ukraine rechnet er mit zusätzlichen Engpässen bei Betonringen und Pflastersteinen. „Das wird sich weiter verschärfen“, sagt Schneider und fügt hinzu: „Die Ukraine ist nicht nur die Kornkammer Russlands, sondern auch Europas. Was das für Backwaren bedeutet, können wir noch gar nicht abschätzen.“ NHT-Geschäftsführerin Ute Schwiegershausen rechnet außerdem mit Preissteigerungen bei den Transportkosten: „Ein Benzinpreis von derzeit bis zu 1,94 Euro ist wahrscheinlich nur der Anfang.“

Bei der Abschaffung der EEG-Umlage drängt Schneider auf mehr Tempo. „Die kleinen Betriebe werden durch die EEG-Umlage überproportional belastet“, kritisiert er und rechnet vor: Eine Fleischerei mit 18 Beschäftigten und einem Stromverbrauch von 220.000 Kilowattstunden pro Jahr zahlt bislang über 8000 Euro nur für die EEG-Umlage. Bei einer Abschaffung zum 1. Juli könnte die Hälfte dieser Kosten eingespart werden. In seinem Positionspapier zur Landtagswahl fordert der Handwerkstag außerdem die Stärkung der Berufsorientierung, eine bessere Ausstattung der Berufsschulen und überbetrieblichen Bildungsstätten, eine bessere Förderung regional tätiger Betriebe und die Ausweitung des Azubi-Tickets, das nicht mehr nur im Tarifgebiet der jeweiligen Region sondern in ganz Niedersachsen gelten soll.

Handwerktag-Präsident ärgert sich über Einmischung

Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro sieht das Handwerk äußerst kritisch. „Lohnsteigerungen sind immer gut, aber die Art und Weise geht nicht“, sagt Schneider und ärgert sich über die staatliche Einmischung in die Tarifautonomie. „Dadurch, dass man politisch eingegriffen hat, hat man 180 Tarifverträge unterwandert.“ Warum der plötzlich verordnete Anstieg problematisch ist, macht Schneider am Beispiel seiner eigenen Branche deutlich. Bei den Gebäudereinigern sei in diesem Jahr ohnehin eine Lohnanhebung auf 12 Euro geplant gewesen. „Jetzt müssen wir aber erhöhen, weil wir einen Vorsprung haben müssen. Wir konkurrieren unter anderem mit den Discountern um Arbeitskräfte“, sagt Schneider. Als Folge der Lohnerhöhungen würden die Kosten für die Kunden steigen. „Dabei brauchen die auch Planungssicherheit“, sagt Schneider und fügt hinzu: „Die Kommunen stöhnen am meisten.“