Im Prinzip ist das Zusammenleben in einer Republik gar nicht so schwer. Jeder gibt ein paar seiner persönlichen Freiheiten auf und etwas von seinem Eigentum ab, damit am Ende alle gemeinsam in Freiheit und Würde zusammenleben können. Das läuft zugegebenermaßen nicht immer optimal und führt erfahrungsgemäß zu mehr Ungerechtigkeiten als es eigentlich sollte. Insbesondere dann, wenn es ums Geld geht, erleben wir teilweise massive Verteilungskämpfe und die Außerkraftsetzung des Solidaritätsprinzips. „Jeder ist sich selbst der nächste“ oder „Wir gegen die!“ heißt es leider viel zu häufig in unserer Bundesrepublik, die eigentlich nach Einigkeit und Recht und Freiheit strebt. Das sind übrigens auch die Werte, die in einer Krisenzeit besonders betont werden sollten. Leider haben wir während der Corona-Pandemie erlebt, dass das nur bedingt erfolgreich gewesen ist. Nicht nur zwischen Arm und Reich geht die Schere in Deutschland immer weiter auf, sondern auch zwischen mitfühlend und rücksichtslos.

Was man auf keinen Fall klein reden darf und was in der Gesamtbetrachtung auch klar überwiegt, ist zum Glück die Solidarität, die wir in der Corona-Krise erlebt haben. Pflegekräfte und medizinisches Personal haben geradezu Übermenschliches geleistet. Händler, Unternehmer und Gastronomen haben riesige Einschränkungen ihrer Berufsfreiheit hingenommen. Ja, die Mehrzahl der Bundesbürger hat sich vorbildlich auch an teilweise unsinnige Corona-Maßnahmen gehalten – einfach aus Solidarität. Aber es hat sich leider auch gezeigt, dass ein nicht zu vernachlässigender Teil der Gesellschaft ein ganz anderes Verständnis von Einigkeit hat. Sie wollen gar keine Gesellschaft, die sich einer gemeinsamen Sache verschreibt, sondern verstehen unter Einigkeit einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Und das ist dann meistens die Nationalität oder die Hautfarbe.
„Die Völker sind wie die Menschen nur in ihrer Jugend gelehrig, wenn sie altern, werden sie unverbesserlich; sind die Gebräuche einmal festgelegt und die Vorurteile verwurzelt, wird der Versuch, sie abzuändern, zu einer gefährlichen und vergeblichen Unternehmung“, schrieb der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau in seiner Schrift „Vom Gesellschaftsvertrag“. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass ein Teil des deutschen Volks bereits so einen Altersstarrsinn zeigt. Schon das Tragen einer Schutzmaske zum Infektionsschutz ist für viele eine Neuerung, auf die sie sich nicht einlassen wollen. Von der Impfung mit einem neuartigen mRNA-Impfstoff ganz zu schweigen. „Lasst uns ins Pub gehen, ein kühles Bier trinken und darauf warten, dass das alles vorüberzieht“, sagt der Protagonist in der Horror-Komödie „Shaun of the Dead“ aus dem Jahr 2004, als er feststellt, dass die Zombie-Apokalypse begonnen hat. Frei nach diesem Motto sind auch viele der Corona-Pandemie begegnet.
„Am Ende sind es genau diejenigen, die verbissen auf ihre Freiheitsrechte pochen, die dadurch erst die echten Freiheitseinschränkungen für alle nötig gemacht haben.“
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“, heißt es dazu im Grundgesetz. Leider ist das Sittengesetz ein ungeschriebenes Gesetz, das Einsicht und Vernunft voraussetzt. Dass der Verstoß gegen Verhaltensregeln – wie beispielsweise Abstand halten, Maske tragen und unnötige Kontakte vermeiden – in einer Pandemie ein Verstoß gegen die guten Sitten ist, haben viele nicht begriffen. Wie soll man da reagieren? Für Erziehung ist es dann längst zu spät. Da hilft leider nur noch der Zwang. Und am Ende sind es genau diejenigen, die verbissen auf ihre Freiheitsrechte pochen, die dadurch erst die echten Freiheitseinschränkungen für alle nötig gemacht haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir relativ einfach durch die Pandemie hätten kommen können. Dazu hätten nur alle die Einsicht haben müssen, dass Solidarität in einer Gesellschaft unverzichtbar ist. Und genauso wie jede Lüge die Institution der Wahrheit an sich und für alle schwächt, schadet auch jede individuelle Rücksichtslosigkeit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt. Deswegen ist es auch dringend im öffentlichen Interesse, all die zu bestrafen, die sich in der Corona-Pandemie auf unlautere Weise bereichert haben. Jeder „Kriegsgewinner“, der ohne Strafe bleibt, schwächt die Bereitschaft zur Solidarität in der nächsten Krise. Und das können wir uns als Gesellschaft nicht leisten.