Chance und Risiko
Nach dem Gesprächs-Ausstieg der CDU ziehen sich die Verhandlungen um den sogenannten Islamvertrag weiter hin. Am Freitag hatte Ministerpräsident Stephan Weil angekündigt, man wolle „nicht mit dem Kopf durch die Wand“. Ein Kommentar von Martin Brüning:
Unruhe und Unsicherheit in der Bevölkerung seien riesengroß, sagte SPD-Fraktionschefin Johanne Modder am vergangenen Freitag und meinte damit nicht nur die Terrorangriffe radikaler Islamisten, sondern auch die aktuelle Entwicklung in der Türkei. Die Umfragen des ZDF-Politbarometers lieferten dazu am selben Abend ein durchwachsenes Bild. So ist nur etwas mehr als ein Drittel der Befragten dafür, die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei abzubrechen. 55 Prozent sind der Meinung, man soll erst einmal abwarten. Das spricht für einen gelassenen Umgang der Deutschen mit der Situation. Auf der anderen Seite denken allerdings auch 53 Prozent, dass das Zusammenleben von Deutschen und Türken künftig belastet ist, 44 Prozent glauben das nicht.
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Die Zahlen belegen nicht, dass es die beschriebene „riesengroße“ Unruhe gibt, aber sie zeigen durchaus eine gewisse Verunsicherung in größeren Teilen der Bevölkerung. Das führt dazu, dass man nach den bisherigen Gesprächen zum Islamvertrag die Verhandlungspartner noch einmal in einem anderen Licht betrachtet und an manchen Stellen doch noch einmal etwas genauer hinsieht. Nun könnte man monieren, dass man das schon in den Verhandlungen zuvor hätte erledigen können. Ex-SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück würde an dieser Stelle lediglich sagen: „Hätte, hätte, Fahrradkette.“
Die nun fortlaufenden Verhandlungen sind eine Chance, aber zugleich auch ein Risiko. Die Chance besteht darin, Ergebnisse zu erzielen, die die allgemeine Akzeptanz für den Vertrag am Ende wirklich signifikant erhöhen und im besten Fall eine Unabhängigkeit der islamischen Religionsverbände fördern. Darüber hinaus bekommt man die CDU damit unter Umständen doch wieder zurück an den Verhandlungstisch.
Das Risiko besteht in der Haltung der Religionsverbände. So hat Recep Bilgen, Vorsitzender der Schura, im Interview mit dem Rundblick eindeutig erklärt, es gebe keinen Einfluss seitens des türkischen Staatspräsidenten. Und am Wochenende diskutierte CDU-Fraktionschef Björn Thümler im Deutschlandradio Kultur unter anderem mit dem Koordinator der Ditib-Landesverbände. Thümler sagte anschließend, ein Problembewusstsein für die Frage der Abhängigkeit sei nicht erkennbar gewesen. Wenn der eine Verhandlungspartner über ein Problem sprechen möchte, sollte der andere Verhandlungspartner zumindest erkennen, dass es das Problem gibt.
Gut, dass bei den weiteren Verhandlungen zumindest der Faktor Zeit keine große Rolle mehr spielt. Johanne Modder wollte sich am Freitag auf kein Zeitfenster einlassen – nicht einmal auf das der aktuellen Legislaturperiode.