
Überhangmandate vermeiden
Das Problem lässt sich so umreißen: Überhangmandate entstehen immer dann, wenn eine Partei bei den Erststimmen in den Wahlkreisen mehr Abgeordnetensitze erobert, als ihr nach dem Zweitstimmenresultat zustehen. Die überschüssigen Wahlkreismandate bezeichnen dann den „Überhang“. Seit 2013 ist festgeschrieben, dass jedes Überhangmandat auch ausgeglichen werden muss, damit die Relation nach dem Zweitstimmenresultat wieder hergestellt wird. Das heißt, all jene Parteien, die in den Wahlkreisen erfolgloser waren, bekommen dann „Ausgleichsmandate“. Gegenwärtig ist es so, dass die meisten Wahlkreise nach wie vor von Union und SPD gewonnen werden, weil beide bei den vergangenen Wahlen immer noch die meisten Stimmen erzielten. Da aber der Abstand zu den kleineren Parteien geringer wird, sind die Unterschiede zwischen Wahlkreismandaten und dem Sitzverhältnis nach Zweitstimmen noch gravierender. So hat der Bundestag gegenwärtig statt der gesetzlichen Zahl von 598 Mandaten tatsächlich 709 Mitglieder. Der Trend könnte sich in Zukunft noch verschärfen. Schäuble hatte nun angeregt, für die Bundestagswahl 2025 die Wahlkreise leicht zu vergrößern – ihre Zahl von 299 auf 270 zu verringern, ihre Fläche entsprechend zu vergrößern. 15 der Überhangmandate sollten im Übrigen nicht durch Ausgleichsmandate abgegolten werden. Von Grünen und FDP wurde vorgetragen, die Zahl der Wahlkreise solle noch weiter schrumpfen. Aus der Union, bisher Gewinner der meisten Direktmandate, heißt es dagegen, die Wahlkreise garantierten eine Verankerung zwischen Abgeordneten und lokaler Wählerschaft, das dürfe nicht geopfert werden. Eine zu große Fläche bedeute den Verlust an Bürgernähe.SPD-Vorschlag: noch weniger Wahlkreise?
Wenn die SPD im Bezirk Hannover jetzt Gespräche mit den kleinen Fraktionen über eine Wahlkreisreform fordert, kann dabei eigentlich nur ein Vorschlag herauskommen, der noch weniger Wahlkreise vorsieht – und damit die Gefahr von Überhang- und Ausgleichsmandaten automatisch vermindert. Dieser Weg ist aber auch in der SPD nicht unumstritten, da auch sie in manchen Gegenden (etwa Raum Braunschweig oder Nordrhein-Westfalen) ihre Stärke auf ihrer lokalen Verankerung aufbaut und in ihren Wahlkreisabgeordneten eine besondere politische Stütze erkennt. Ein radikaler Vorschlag, die Wahlkreise ganz abzuschaffen und ein Ein-Stimmen-Wahlrecht einzuführen, das nur noch die Landeslisten vorsieht, würde zwar die Macht der Parteitage und Listengremien stärken – würde aber verhindern, dass sich in manchen Regionen Kandidaten der Basis gegen die Favoriten der Parteiführung durchsetzen können, so wie es bisher ist – manchmal eben auch in der SPD.Wahlkreisreform könnte auch Teil eines Paritätsgesetzes sein
Diese Debatte steht noch in einer Beziehung zu einem anderen Thema, dem sogenannten „Paritätsgesetz“. Dabei geht es um die Frage, wie durch gesetzliche Vorgaben der Frauenanteil in den Parlamenten erhöht werden kann. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (Göttingen) und der Schatzmeister des SPD-Bezirks Hannover, Stephan Klecha, hatten dazu vor geraumer Zeit einen Vorschlag unterbreitet: Die Zahl der Wahlkreise könne drastisch verringert werden (etwa auf 120), je Wahlkreis würden dann aber ein Mann und eine Frau gewählt werden – die nicht zwingend einer Partei angehören müssen. Damit wäre sichergestellt, dass die weibliche Repräsentanz in den Parlamenten erhöht wird. Gleichzeitig könnte so – als Nebeneffekt – das Problem der vielen Überhang- und Ausgleichsmandate erheblich gemildert werden. Gegen diesen wie gegen viele andere Vorschläge eines Paritätsgesetzes werden jedoch verfassungsrechtliche Einwände vorgetragen, da bislang jeder Abgeordnete Vertreter des gesamten Volkes ist und den Kandidaten bisher keine Vorgaben (außer dem Mindestalter) gemacht werden. Außerdem hat sich bisher kein überparteilicher Trend zu einem Paritätsgesetz entwickelt, den Befürwortern bei SPD, Grünen und Linkspartei stehen kompromisslose Kritiker bei CDU und FDP gegenüber. Dass das Oppermann/Klecha-Modell der Schlüssel sein könne, die Aufblähung des Bundestages zu verhindern, ist daher gegenwärtig wenig wahrscheinlich.Lesen Sie auch: So sortiert sich die SPD im Bezirk Hannover neu