Müssen Bürgermeister und Landräte, Rettungssanitäter, Ordnungsbeamte und andere Amtsträger besser geschützt werden, weil die verbalen und tätlichen Angriffe auf diese Personengruppen in jüngster Zeit immer stärker zunehmen? Dazu hat der Innenausschuss des Landtags gestern mehrere Interessensvertreter angehört. Kritisch wurde die Rolle der Justiz beurteilt, da in den Staatsanwaltschaften die Frage, ob man bei angezeigten Beleidigungen tätig werden soll, von den Anklagebehörden unterschiedlich beantwortet würden. Just zum Termin der Anhörung wurde der Brief des Bürgermeisters der Stadt Wolfenbüttel, Thomas Pink, bekannt. Darin beklagt er sich, dass ein ihm bekannter Wolfenbütteler Bürger ihn wiederholt in Briefen als „Bürgerschänder“ und „rechtsextrem“ bezeichnet habe, ihm zudem „Vetternwirtschaft“ vorgehalten habe. Mittlerweile habe die Staatsanwaltschaft Braunschweig ihm mitgeteilt, dass es sich hierbei nicht um ehrverletzende Äußerungen und auch keine Beleidigungen handele, sondern die Wortwahl vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Außerdem seien die Kosten zu hoch, falls der Urheber vor Gericht gestellt und sein Geisteszustand untersucht werden müsse. Pink reagiert auf diese ablehnende Antwort der Justiz entsetzt, er sei „fassungslos“: „Die wiederholten Reaktionen der Staatsanwaltschaft Braunschweig auf diese unerträglichen Schmähungen lassen mich hier erheblich an der Rechtsstaatlichkeit zweifeln.“ Die Opfer solcher Angriffe würden allein gelassen, die Täter würden zum Weitermachen ermuntert und das Vertrauen in staatliche Institutionen schwinde.


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Die Berichte des Wolfenbütteler Bürgermeisters decken sich mit Erfahrungen anderer Amtsträger. Marco Trips vom Städte- und Gemeindebund erklärte, viele Verwaltungschefs berichteten über Hass-Mails, zerkratzte Fahrzeuge und zerstochene Autoreifen. Die Staatsanwaltschaften reagierten sehr unterschiedlich. So sei ein Verfahren gegen den Göttinger Oberbürgermeister, der nach einer Abschiebung als „Verbrecher“ bezeichnet worden, leider eingestellt worden. Oft würden die Staatsanwaltschaften das nötige „öffentliche Interesse“ an einer Strafverfolgung verneinen. Stefan Wittkop vom Städtetag und Joachim Schwind vom Landkreistag rieten, derartige Vorfälle konsequent anzuzeigen – dann würden sie zumindest statistisch erfasst. Doris Schröder-Köpf (SPD) sprach sich für einen „Opferbeauftragten“ aus, der Ansprechpartner für derartige Fälle sein und Hilfestellungen anbieten könne. Die Ruhr-Universität Bochum hatte für eine Untersuchung 4500 Einsatzkräfte und Amtsträger um Einschätzungen gebeten, 812 davon hätten sich zurückgemeldet – und 92 Prozent von ihnen gaben an, sie seien schon einmal beleidigt, 26 Prozent sogar körperlich angegriffen worden. Nur eine Minderheit aber sei juristisch gegen die Urheber vorgegangen.

Wie konkrete Vorkommnisse einen Behördenalltag verändern können, schilderte der erste Hamelner Kreisrat Carsten Vetter. Er hatte im April 2013 miterlebt, wie sein Landrat Rüdiger Butte im Landratsbüro von einem Bürger erschossen wurde, der zuvor Ärger mit den Behörden gehabt hatte. „Die ganze Kreisverwaltung war wie große Teile der Bürgerschaft nach diesem Ereignis paralysiert“, berichtet Vetter. Viele Mitarbeiter hätten professionelle Hilfe nötig gehabt und auch bekommen. In den ersten Jahren nach dem Ereignis hätten Polizei und Justiz sämtliche Vorfälle, in denen Bürger Mitarbeiter beleidigt und bedroht haben, konsequent verfolgt. Bis zu sechs Mal im Jahr sei so etwas geschehen. Inzwischen, berichtet der Kreisrat, würden in Hameln „viele Ermittlungsverfahren wieder eingestellt“. Der DRK-Landesvorsitzende Ralf Selbach nennt die wachsende Gewaltbereitschaft „bedrückend“ und erklärt, dass Rettungsdienst-Mitarbeiter regelmäßig mit gewaltbereiten Leuten konfrontiert würden, die häufig zuvor Alkohol oder Drogen zu sich genommen haben. In ländlichen Gegenden sei das nicht anders als in Städten, denn dort seien die Rettungssanitäter oft noch vor der Polizei an bestimmten Tatorten, wenn es etwa um häusliche Gewalt gehe. Bei Verkehrsunfällen würden die Gaffer häufig die Sanitäter attackieren, weil sie sich im Recht sähen, zuerst ihre Handy-Aufnahmen machen zu können. „Schlechtes Benehmen ist leider gesellschaftsfähig geworden“, sagt Selbach, Helfer würden angerempelt, geschubst oder bespuckt. Er hält eine konsequente Strafverfolgung für den einzig richtigen Weg – wenn jemand sich so verhalte, müsse er die Folgen spüren, und zwar zeitnah.