
Seit fast einem halben Jahr leitet Thorsten Kornblum die Verwaltung der Stadt Braunschweig. Der Oberbürgermeister sagt, dass er in dieser Zeit aus dem Krisenmodus nicht herausgekommen ist. Der repräsentative Teil seines Amtes habe schon darunter gelitten. Für die Zukunft hat Kornblum Großes vor, berichtet er beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick. Ein wichtiges Ziel seien kräftige Investitionen in das Klinikum – und dessen Ausbau zu einer medizinischen Fakultät.
Rundblick: Herr Kornblum, welcher Schritt war größer für Sie: Der von der Landesverwaltung in das Amt eines kommunalen Dezernenten oder der vom Dezernenten zum Oberbürgermeister?
Kornblum: Definitiv der Sprung vom Dezernenten zum Oberbürgermeister. Für einen Verwaltungschef ist der Tag komplett durchgetaktet, da bleiben kaum Freiräume. Was mich beeindruckt hat, ist die Tatsache, dass die Stadtverwaltung eine gut geölte Maschine ist, da funktioniert fast alles reibungslos. Aber meine Amtszeit war gleich im Herbst wieder von einer neuen Corona-Welle geprägt, obwohl wir nach der schnellen Impfstoffentwicklung gehofft hatten, dass die Pandemie uns weniger stark belasten wird. Einer der ersten größeren repräsentativen Termine im neuen Amt, den ich hatte, der Karnevalsstart am 11.11. um 11.11 Uhr, war zugleich für längere Zeit auch der letzte. Neben der Krisenbewältigung kommt konzeptionelles Arbeiten manchmal zu kurz.
Rundblick: Gegenwärtig ist es die Flüchtlingskrise, die in den Kommunen alle Kräfte bindet. Braunschweig ist einer der wichtigsten Anlaufpunkte vieler Menschen aus der Ukraine. Wie kommen Sie mit der Situation zurecht?
Kornblum: In Braunschweig leben schon viele Menschen aus der Ukraine, deshalb sind auch viele Kriegsvertriebene zuerst zu uns gekommen. Anfangs erfolgte der Zuzug naturgemäß ein Stück weit unkontrolliert, aber mehr und mehr greift die landesweite Verteilung und der Druck wird geringer. Menschen, die zu uns kommen und keine direkte Notbetreuung brauchen, schicken wir nach Einzelfallabwägung weiter zum Verteilzentrum nach Laatzen. Dort wird ihnen dann ein Ort in einer Kommune zugewiesen, in der bisher noch nicht so viele Flüchtlinge leben. Die Entlastung ist mittlerweile spürbar – auch wenn niemand weiß, wie viele Menschen aus der Ukraine noch zu uns kommen werden. Die große Hilfsbereitschaft der Braunschweigerinnen und Braunschweiger stimmt mich zuversichtlich, dass wir die Herausforderungen gemeinsam meistern werden.

Rundblick: Wie ist die Situation in Braunschweig?
Kornblum: Die Plätze in den Turnhallen sind irgendwann erschöpft, die freien Räume in den Hotels auch. Wir stehen vor der Frage, wie wir Menschen, die vorübergehend einquartiert wurden, dauerhaft eine Unterkunft anbieten können. Die Stadt hat spontan ein 15-Millionen-Paket zur Unterstützung beschlossen. Rund 2200 Kriegsvertriebene haben sich bislang bei uns gemeldet, ich schätze die Zahl der Flüchtlinge in Braunschweig insgesamt auf bis zu 3000. Wir sind seit Jahren eine wachsende Stadt und wollen 6000 neue Wohnungen errichten. Neben bezahlbaren Wohnungen brauchen wir neue Kindergärten und Schulen. Es wird viel gebaut werden müssen. Daher begrüße ich die von Bundestag und Bundesrat beschlossene Änderung des Baugesetzbuches, die es uns schneller ermöglicht, Wohnraum für Geflüchtete zu schaffen.
Rundblick: Die Krise fordert auch den Katastrophenschutz heraus…
Kornblum: So ist es. Wir haben ein eigenes Programm von gut 8 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Es geht um Notsituationen, um langfristige Stromausfälle, Cyberattacken oder auch Hochwassersituationen als Folge von Extremwetter. Das „Leuchtturm“-Modell sieht vor, in jedem Stadtteil oder Ortskern in Braunschweig die jeweiligen Feuerwehrstationen zu den Orten zu machen, in denen mit Notstromversorgung ein Anlaufpunkt geschaffen wird für den Fall einer Krise. So wissen dann alle, wo sie im Notfall hingehen müssen und wo ihnen geholfen wird.
Rundblick: Reden wir von den Perspektiven Braunschweigs als zweitgrößter Stadt des Landes. Ihr Vor-Vorgänger Gert Hoffmann hat die Bildung einer Region gefordert, den Zusammenschluss mit Nachbarkreisen und -städten…
Kornblum (lacht): Wir sind die größte kreisfreie Stadt des Landes. Im Ernst: Mein Schwerpunkt liegt in einer arbeitsteiligen Organisation. Es gibt in Deutschland keine andere Region, in der es pro Kopf mehr Ausgaben für Forschung und Entwicklung gibt als bei uns. Wir müssen die Kräfte bündeln, und dazu gehört die Entwicklung gemeinsamer moderner und nachhaltiger Gewerbegebiete –mit Salzgitter, Wolfsburg, Wolfenbüttel und Helmstedt. Wir geben Machbarkeitsstudien in Auftrag, und was Salzgitter angeht, werden wir zu gegebener Zeit einen neuen Anlauf planen, nachdem der erste vor Jahren am Patt im Rat der Stadt Salzgitter scheiterte. Ich kann mir auch vorstellen, dass der Regionalverband Braunschweig künftig mehr Aufgaben übernimmt, beispielsweise zur Digitalisierung oder auch zum Marketing. Das wäre mein Weg.

Rundblick: Gibt es schon positive Beispiele?
Kornblum: Ja, der neue Wolfsburger OB Dennis Weilmann und ich haben vereinbart, dass wir bei der Digitalisierung der Verwaltung auch in unseren neuen Funktionen eng zusammenarbeiten wollen. Bei der Kooperation der Kliniken wollen wir auch voranschreiten, gemeinsam mit Wolfenbüttel. Das neue Krankenhausgesetz des Landes, das ich sehr begrüße, eröffnet uns weitere Möglichkeiten dafür. Gleichzeitig ist aber auch klar: Das Braunschweiger Klinikum mit seinen 1500 Betten braucht als Maximalversorger dringend einen Investitionsschub. Um es deutlich zu sagen: Gegenwärtig konkurrieren 170 Kliniken in Niedersachsen um einen jährlichen Investitionszuschuss des Landes von 150 Millionen Euro. Das bringt uns nicht voran, der mittelfristige Sanierungsstau allein im Klinikum Braunschweig macht 800 Millionen Euro aus. Wir brauchen landesweit ein Investitionsprogramm von 2 bis 3 Milliarden Euro – und das geht nur über ein neues Sondervermögen des Landes.
Rundblick: Wo sehen Sie Ihr Klinikum in der Zukunft?
Kornblum: Wir wollen Braunschweig als weiteren Standort für eine medizinische Fakultät. Wir haben einen Ärztemangel in Niedersachsen, und zwei universitäre Ausbildungsstätten, Hannover und Göttingen, reichen auf Dauer nicht. Göttingen hat schon die vorklinischen Studienplätze ausgeweitet und kooperiert mit anderen Krankenhäusern für die praktische Ausbildung. Das genügt auf Dauer nicht. Um die qualitativ hochwertige medizinische Versorgung in unserer Region und darüber hinaus langfristig sichern zu können, brauchen wir in Braunschweig eine eigene universitäre Medizinerausbildung.
Rundblick: Auch die eigenständige Braunschweigische Landessparkasse war immer eine wichtige Forderung Ihres Vorgängers Ulrich Markurth…
Kornblum: Sie bleibt es auch bei mir. Eine eigene Sparkasse bleibt ein wichtiger Anker für die mittelständische Wirtschaft und die Menschen vor Ort. Das Konstrukt einer „Anstalt in der Anstalt“, also als Teil der Nord/LB, kann uns auf Dauer nicht zufrieden stellen. Im Oktober haben die Kommunen der Region ihre Position unterstrichen. Seither warten wir auf ein ausführliches Gespräch mit dem Land.
Rundblick: Und was werden Sie nun tun?
Kornblum: Wir setzen weiter auf ein Gespräch mit dem amtierenden Finanzminister.
