Braucht das Land eine Landeswohnungsbaugesellschaft?
Der Bau neuer Wohnungen – vor allem für sozial Schwache in Ballungsräumen – ist ein wichtiges Anliegen aller Parteien im Landtag. Nun hat die SPD gefordert, dieses Ziel mit einer eigenen Landesgesellschaft zu fördern. Die CDU sieht es skeptisch. Die Rundblick-Redaktion bewertet das Thema in einem Pro und Contra.
PRO: Wer eine neue Gesellschaft gründet, hat noch keine neue Wohnung geschaffen, das stimmt. Trotzdem wäre das ein geeigneter Weg, dieser Aufgabe mehr Nachdruck und Gewicht zu verleihen, meint Klaus Wallbaum.
Manche von denen, die über eine Landeswohnungsbaugesellschaft reden, sprechen so, als gehe es um die „Neue Heimat“. Das war jener gewerkschaftseigene Konzern, der sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlte und als riesiger Grundstücks- und Immobilienbesitzer in Erscheinung trat, vor allem in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Dann wurden dubiose Finanzgeschäfte von Vorstandsmitgliedern bekannt, Bereicherungen, seltsame Transaktionen und mangelnde Kontrollen der Aufsichtsgremien. Ein riesiger Skandal war die Folge – und nicht wenige folgern daraus bis heute, dass solche Missstände nur gedeihen konnten, weil die Neue Heimat als „gemeinnützige“ Gesellschaft einen gewissen Schutzstatus besaß.
Das sollte eine Lehre sein, wenn nun wieder den Rufe nach gemeinnützigen, oder in diesem Fall sogar staatlichen Wohnungsbaugesellschaften laut werden. Erstens: Solche Unternehmen sind nur deshalb, weil sie einen vermeintlich guten Zweck erfüllen, nicht besser als die Privatwirtschaft. Zweitens: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – gerade in Gesellschaften, die öffentliche Mittel verwalten.
Die neue Landesgesellschaft sollte sich in ihrer dienenden und stützenden Funktion verstehen, ihre Vertreter sollten bescheiden auftreten und gut zuhören können.
Wozu aber kann, wenn man beides beherzigt, denn eine Landewohnungsbaugesellschaft nützlich sein? Zunächst gilt, dass niemand besser die Möglichkeiten von neuem Bauland, die Nachfrage nach günstigem Wohnraum und die Anbindung an die Verkehrswege einschätzen und beurteilen kann als die jeweilige Kommune. Wenn es denn stimmt, dass sich für die Privatwirtschaft eine Investition in sozialen Wohnungsbau nicht lohnt, dann sollten in erster Linie die kommunalen Unternehmen und die Genossenschaften zum Zuge kommen.
Sie stehen im engen Austausch mit den kommunalen Entscheidungsträgern in der Stadtverwaltung und im Rat. Die wichtige Aufgabe, sozialen Wohnungsbau einzubetten in ein neues Baugebiet und die Bildung von „Slums“ zu vermeiden, geschieht am besten über eine enge Abstimmung mit der Kommunalpolitik, über eine dauerhafte Kommunikation und Beratung. Tatsächlich gelingt das schon in vielen Gegenden Niedersachsens. Und wo es nicht klappt, könnte eine Landesgesellschaft einspringen und unterstützen.
Hohe Verantwortung für die neue Gesellschaft
Sie kann einen Überblick über die Aktivitäten der Kommunen behalten und bei Bedarf nachsteuern, wenn ein kommunales Unternehmen mit der Administration überfordert sein sollte oder nicht in die Gänge kommt. Da die finanzielle Ausstattung der Kommunen höchst unterschiedlich ist und das vermutlich auch für die kommunalen Wohnungsbauunternehmen gilt, sind auch Kooperationen und gemeinsame Projekte vorstellbar. Das heißt, die neue Landesgesellschaft sollte sich in ihrer dienenden und stützenden Funktion verstehen, ihre Vertreter sollten bescheiden auftreten und gut zuhören können. Sie müssen ein gutes Einfühlungsvermögen haben in das, was an Vielfalt vorhanden ist und weiterentwickelt werden soll.
Das sind hohen Ansprüche an die Menschen, die in einer neuen Landeswohnungsbaugesellschaft das Sagen haben sollen: Sie dürfen nicht wie Besserwisser auftreten und meinen, von Hannover aus am besten beurteilen zu können, was etwa in Visselhövede getan werden muss. Diese Zwitter-Funktion im Wohnungsbau, einerseits eine Landesgesellschaft zu sein und andererseits den kommunalen Gesellschaften Vortritt gewähren zu müssen, dürfte in der Praxis extrem schwierig zu erfüllen sein. Dafür die richtigen Leute mit dem richtigen Auftreten zu finden, ist dann noch einmal zusätzlich eine riesige Herausforderung. Anders gesagt: Wenn eines schönen Tages der Chef der neuen Landeswohnungsbaugesellschaft so auftreten sollte wie einst der Chef der Neuen Heimat im vergangenen Jahrhundert, dann hat er schon verloren.
Mit der neuen Gesellschaft wäre auch eine extrem hohe Verantwortung verbunden. Das Ziel der SPD ist ja offenbar, dass das Land selbst Wohnungen baut und unterhält, also über die Gesellschaft Eigentümer bleibt und lediglich den Kommunen die Verwaltung der Belegrechte überträgt. Dahinter steckt die Vorstellung, dass man die enorme Zahl der gewünschten 9000 zusätzlichen „bezahlbaren Wohnungen“ am einfachsten schaffen kann, wenn man selbst anpackt. Geld genug steht bereit, 1,7 Milliarden Euro für die nächsten Jahre. Aber ist es wirklich sinnvoll, dass eine Landeswohnungsbaugesellschaft nicht lediglich als schlankes Beratungsinstrument die kommunalen Unternehmen begleitet, sondern selbst machtbewusst im Wohnungsbau in die Vollen geht? Zu viel kann am Ende schaden – das sollte die Landesregierung bei all ihren Entscheidungen bedenken.
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CONTRA: Eine neue Gesellschaft ist nach jahrelanger sträflicher Vernachlässigung nichts als weiße Salbe. Statt auf den Aufbau von Strukturen sollte sich das Land lieber auf den Bau von Wohnungen fokussieren, meint Martin Brüning.
Im Gegensatz zur CDU hat die niedersächsische SPD im Land das Problem der fehlenden Wohnungen relativ frühzeitig erkannt und schon im Wahlkampf das Thema deutlich in den Vordergrund gestellt. „Bezahlbares Wohnen für alle“ lautete im August 2017 die Maxime. Das war schon damals ein ganz guter Trick, die Wählerschaft davon abzulenken, dass am fehlenden Wohnraum gerade in den Städten auch viele SPD-Bürgermeister nicht schuldlos waren. Und auch unter der SPD-geführten Landesregierung waren ab 2013 die Fortschritte beim Wohnungsbau in Niedersachsen, wie schon zuvor unter Schwarz-Gelb, eher homöopathischer Natur.
Für Immobilien-Zocker wäre die neue Landesgesellschaft möglicherweise leichte Beute.
Im Landtagswahlkampf stand noch die finanzielle Förderung des sozialen Wohnungsbaus im Fokus, von einer neuen Landeswohnungsbaugesellschaft war noch keine Rede. Mit dem Gedanken, dass neue Strukturen alte Probleme lösen können, macht die SPD den Fehler der unter Rot-Grün entstandenen Pflegekammer ein zweites Mal. Auch diesmal haben die Sozialdemokraten die Grünen inhaltlich wieder an ihrer Seite. Doch während Grünen-Fraktionsvize Christian Meyer in Niedersachsen seit Monaten nicht müde wird, eine solche Landesgesellschaft für den Wohnungsbau zu fordern, sehen das seine Parteifreunde in Thüringen ganz anders. Dort heißt es, der soziale Wohnungsbau sei bei den Kommunen „in besten Händen“. Das Geld solle nicht für „Schaffung von Parallelstrukturen“ ausgegeben werden. Im Gegensatz zur Pflegekammer ist diesmal zwar nicht erneut mit massenhaften Protesten zu rechnen, ein Erfolg wird die neue Gesellschaft aber dennoch nicht. Und dafür gibt es vor allem drei Gründe:
Der Faktor Zeit:
Selbst wenn man auf der Niedersächsischen Landgesellschaft (NLG) aufbaut, ist die Entwicklung eines solchen Unternehmens mit einem immensen Aufwand verbunden. Die Herausforderungen in den einzelnen Kommunen sind komplex und differenziert, also personalintensiv. Fachkräfte – ob Bauplaner oder Kaufleute – sind am Markt allerdings derzeit schwer zu bekommen. Selbst die Immobilienunternehmen, die am besten bezahlen, tun sich schwer damit, genügend Personal zu finden. Zugleich wird aber die Zeit knapp. Das Jahr 2030 hört sich noch weit entfernt an. Für den Bau von 40.000 Sozialwohnungen, so das Ziel der Landesregierung, ist der Zeitraum aber eher übersichtlich. Während deshalb der Bau neuer Wohnungen absolute Priorität genießen müsste, geht das Land erst einmal auf Personalsuche und tritt hierbei auch noch in Konkurrenz zu den privaten Unternehmen.
Die Gesamtlage:
Die neue Gesellschaft wird mit denselben Problemen zu kämpfen haben wie alle anderen Wohnungsbauunternehmen auch. Es fehlt nicht nur an Bauland, sondern auch an Bauunternehmen, die all die schönen Pläne auf den potentiellen Baustellen auch umsetzen. Die hohen hohe energetischen Anforderungen werden ihr ebenso zu schaffen machen. Hinzu kommt, dass ein weiterer Player die Nachfrage noch einmal erhöht. Die Folge: durch den verschärften Wettbewerb steigen die Preise weiter. Bauen wird durch die neue Landesgesellschaft also noch teurer. Keine gute Nachricht für Mieter.
Erfahrungen aus der Nileg-Vergangenheit:
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert gerne den Verkauf der Niedersächsischen Landesentwicklungsgesellschaft (Nileg) im Jahr 2005. Dabei hat der DGB in Sachen Wohnungsbau selbst keine weiße Weste, verscherbelte doch die Gewerkschaftsholding BGAG im selben Jahr ihr Wohnungsunternehmen „BauBeCon“ ausgerechnet an den Finanzinvestor Cerberus – sehr zum Unmut des Mieterbundes. Zudem war die Rolle der Nileg beim sozialen Wohnungsbau eher klein. In den Großstädten Hannover, Braunschweig, Osnabrück und Göttingen hatte das Unternehmen gerade einmal 10.000 Wohnungen, etwa die Hälfte davon war preisgebunden. „Nirgendwo hatte die Nileg eine Präsenz, die marktpreispolitisch relevant war“, stellte im vergangenen Jahr der ehemalige Nileg-Geschäftsführer Wilhelm Gehrke fest. Schon damals wurde deutlich, dass die Landesgesellschaft neben den gut aufgestellten und dominanten kommunalen Wohnungsbauunternehmen eigentlich überflüssig war.
Darüber hinaus droht mit Einführung der neuen Gesellschaft eine weitere Gefahr, ist doch bei der SPD auffällig oft von der Sanierung von Wohnungsbeständen die Rede und eher seltener von Neubaumaßnahmen. Landauf, landab warten in Niedersachsen unseriöse Geschäftemacher darauf, dass sie ihre Schrottimmobilien zu möglichst hohen Preisen verkaufen können. Für die Immobilien-Zocker wäre die neue Landesgesellschaft möglicherweise leichte Beute. Wenn eine aufgeplusterte NLG aber zu einer Bad Bank für sanierungsreife Schrottimmobilien wird, hätte die SPD-geführte Landesregierung für die Steuerzahler die mit Abstand schlechteste Lösung gewählt.
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