Pro & Contra: Brauchen wir Steuersenkungen?
Heute diskutiert der Haushaltsausschuss des Landtags über die Finanzlage – und die ist in Niedersachsen, wie in Deutschland überhaupt, rosig. Die Kassen des Staates sind so voll wie lange nicht mehr. Deshalb stellt sich die Frage, ob wir Steuersenkungen brauchen. Martin Brüning und Klaus Wallbaum beleuchten das Thema in einem Pro und Contra.
PRO: Zahlen wie im Volksheim-Schweden, leben wie in Deutschland mit überforderten staatlichen Institutionen: Bei einer Steuersenkung geht es inzwischen nicht einmal mehr ums Geld. Vielmehr könnte die Politik damit verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen, meint Martin Brüning.
Wir diskutieren heute über Steuersenkungen. Echt jetzt? Hört noch jemand zu, liest noch jemand mit? Seit so vielen Jahren wird die Abzocke des ehrbaren Steuerzahlers durch die Politik folgenlos kritisiert, dass inzwischen auch das letzte Fünkchen Hoffnung, dass sich etwas ändern könnte, verglimmt ist. Auch Zahlen können nicht mehr schockieren, sie übersteigen ohnehin jegliche Vorstellungskraft. Im kommenden Jahr kann der Bund mit einem Rekordetat von 357 Milliarden Euro rechnen, das sind 13 Milliarden mehr als im laufenden Jahr. Und nicht einmal Paul Kirchhof, Vertreter der sogenannten Flat Tax, wagt sich mehr mit allzu großen Forderungen nach draußen. In einem Text für die „FAZ“ kritisiert er zwar die Mehrfachbelastung durch Steuern sowie eine intransparente, überbordende Gesamtabgabenlast, um direkt im Anschluss ein „handhabbaren Maßes“ zu propagieren. Der Traum von der Flat-Tax ist ausgeträumt, in Deutschland kann man sich nur noch auf ein „handhabbares Maß“ verständigen.
Wären die „Baustellen“ nicht längst finanzierbar?
Immer wieder lesen wir, warum Steuersenkungen gerade nicht möglich sind. Straßen sind marode, zahlreiche Brücken müssen saniert werden, in den Schulgebäuden fällt der Putz von der Decke, für die Digitalisierung muss investiert werden, wir brauchen mehr Lehrer, mehr Polizisten, mehr Erzieher, mehr Pfleger. Am Ende brauchen wir für all das vielleicht sogar eher noch mehr Steuereinnahmen statt weniger. Andererseits: ob das vielleicht nicht alles mit den bisherigen Steuereinahmen schon lange finanzierbar wäre, wenn der Staat seine Ausgaben einmal kritisch prüfen würde und in der Lage wäre, sich auf seine wichtigen Aufgaben zu konzentrieren?
Der Staat hat es sich in den vergangenen Jahren selbst schwer gemacht. Er hat viel Geld benötigt, um sich zusätzlichen Aufgaben zu widmen – hier noch ein wenig Fördergeld, da noch ein Sondertopf. Zugleich hat er seine Kernaufgaben vernachlässigt. Polizisten: zu wenige und nicht angemessen bezahlt. Justiz: überfordert und personell unterbesetzt. Verwaltung: wie lange warten Sie auf Ihren Termin im Bürgerbüro? Schule: Gebäude marode, Lehrer überfordert. Die Kernaufgaben sind allerdings die Selbstverständlichkeiten, die der Bürger von seinem Staat erwartet. Wir erleben derzeit keine Demokratie-, sondern eine Staatskrise. Die Bürger sind unzufrieden, weil sich der Staat nicht um das kümmert, was des Staates ist. Das hat mit Flüchtlingen überhaupt nichts zu tun, wohl aber mit Steuerpolitik.
Das aktuelle Steuersystem ist zutiefst ungerecht. Es schröpft die kleineren Einkommen ebenso wie die gesamte Mittelschicht. Leistung lohnt sich nicht. Eine Steuerreform wäre ein erster, wesentlicher Schritt zu mehr Gerechtigkeit.
Denn auch wenn darüber in der Öffentlichkeit nicht mehr häufig gesprochen wird, sind die Bürger zutiefst verdrossen über die Höhe der Steuern und Abgaben, zumal der Spitzensteuersatz tief in die Mittelschicht hineinragt. Wenn Facharbeiter aber wie Einkommensmillionäre behandelt werden (allerdings ohne entsprechende Steuerberater, und ohne die Möglichkeit, ein Konto auf den Cayman-Inseln zu eröffnen), dann muss sich die SPD auch im nächsten Wahlkampf das Wort „Gerechtigkeit“ nicht mehr auf die Fahnen schreiben. Das aktuelle Steuersystem ist zutiefst ungerecht. Es schröpft die kleineren Einkommen ebenso wie die gesamte Mittelschicht. Leistung lohnt sich nicht. Eine Steuerreform wäre ein erster, wesentlicher Schritt zu mehr Gerechtigkeit. Denn auch die breite Mitte in diesem Land wünscht sich Gerechtigkeit – gerne auch einmal für sich selbst. Die Politik allerdings ist nicht einmal fähig, trotz voller Kassen den Solidaritätszuschlag einfach abzuschaffen. Allerdings: Mit dem 30-Prozent-Plus für die Finanzierung der Bundestagsfraktionen ging alles ganz schnell….
Die Zeiten werden härter
Natürlich gibt es die gesammelten guten Gründe für eine Steuersenkung. Leistung würde wieder stärker belohnt, der Konsum würde angekurbelt, sie könnte für mehr Gerechtigkeit sorgen und der Wirtschaftsmotor läuft dermaßen rund, dass die Frage „Wann, wenn nicht jetzt?“ seit Jahren auf der Hand liegt. Aber um all das geht es inzwischen nicht mehr. Zum einen muss der Staat wieder für Vertrauen bei den Bürgern sorgen, die zwar im damaligen Volksheim-Schweden bezahlen, aber in Deutschland mit seinen überforderten staatlichen Institutionen leben. Zum anderen lernt es der Staat offensichtlich, mit weniger Geld vernünftige Arbeit zu machen. Die Zeiten werden härter, die Kassen leerer: Allein bei den Renten und der Pflege kommen auf Staat und Bürger neue Herausforderungen zu. Ein Entgegenkommen bei den Steuern wäre das Mindeste, was diese für die Bürger bisher frustrierende und teure Große Koalition auf den Weg bringen sollte.
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CONTRA: Die Staatskassen sind zwar voll, aber von nachhaltiger Finanzpolitik kann weder im Bund noch in Niedersachsen die Rede sein. Daher wären Steuersenkungen jetzt ein riskanter Weg, meint Klaus Wallbaum.
Leider hat man das Gefühl, dass die vollen Kassen, mit denen wir es in Bund, Ländern und auch Kommunen nun schon seit geraumer Zeit zu tun haben, die Politiker nicht gerade glücklicher machen. Je mehr Geld zum Verteilen ist, desto lauter sind die Rufe derer, die etwas davon abhaben wollen. Und wer etwas bekommen hat, empfindet das nicht als angenehme Fügung, sondern hält es für geradezu selbstverständlich. Ein Milliarden-Betrag für den Masterplan zur Digitalisierung wäre noch vor 20 Jahren wie ein Geschenk des Himmels aufgenommen worden, so leer, wie Schatulle des damaligen Finanzministers Hartmut Möllring seinerzeit war. Sein Nachfolger Reinhold Hilbers hat heute die gegenteilige Ausgangslage, und so wird von der Botschaft über das hervorragend dotierte Programm kaum Notiz genommen. Man geht gleich wieder zur Tagesordnung über. Dass der Staat bei den Ausgaben großzügig ist, wird nicht mehr als Besonderheit registriert. Man hat fast den Eindruck, dass das Anspruchsdenken noch schneller in die Höhe steigt als es die Steuereinnahmen des Landes tun. Die Erwartungen überschlagen sich.
Geringere Einnahmen müssten die Ausgabenfreude dämpfen
Manches von dieser irren Welt wird man heute auch im Haushaltsausschuss des niedersächsischen Landtag erleben, wenn die Parlamentarier ihre Beratungen über den Etat für 2019 aufnehmen. Wetten, dass kaum über den Zwang zu Einsparungen und zu nachhaltiger Finanzpolitik geredet wird, dagegen aber viel über all das, was im Haushaltsplanentwurf der Regierung noch nicht als Ausgabe angepeilt wird? Nun gibt es einige Stimmen, die wegen der übervollen staatlichen Kassen von der Notwendigkeit einer Steuerreform reden, konkret von der Gelegenheit, die Einkommensteuer zu senken und damit die Beträge, die für Bund und Länder fließen, zu verringern. Ist das der richtige Weg? Nach der oben beschriebenen Logik müssten geringere Einnahmen die Ausgabefreude der Politiker dämpfen, sie könnten also einen positiven erzieherischen Effekt haben. Aber ob das wirklich so eintreten würde, steht dann doch in Frage.
Die Stärke der deutschen Wirtschaft und damit der deutschen Staatsfinanzen beruht eben nicht auf einer ausgeglichen weltwirtschaftlichen Gesamtlage, sondern auf Sonderfaktoren, die sich ziemlich rasch auch wieder ändern und negative Effekte hervorrufen können.
Es gibt nun ein paar Gründe, auf Steuersenkungen derzeit zu verzichten. Zum einen ist auf die instabile weltpolitische Großwetterlage hinzuweisen, der Brexit und die von US-Präsident Donald Trump angekündigten Handelsbeschränkungen sind nur zwei beunruhigende Details. Die Stärke der deutschen Wirtschaft und damit der deutschen Staatsfinanzen beruht eben nicht auf einer ausgeglichen weltwirtschaftlichen Gesamtlage, sondern auf Sonderfaktoren, die sich ziemlich rasch auch wieder ändern und negative Effekte hervorrufen können. Sind aber Steuersenkungen einmal beschlossen, so wirken sie für eine nicht allzu kurze Zeit – und eine womöglich kurzfristig wieder notwendig werdende Steuererhöhung fiele unter solchen Umständen besonders schwer.
Der zweite Grund ist noch viel bedeutender: Die Finanzpolitik in Deutschland ist nicht von Nachhaltigkeit geprägt, weder im Bund noch in Niedersachsen. Man müsste den investiven Anteil erhöhen und die konsumtiven Ausgaben drosseln. Das heißt konkret: Wenn das Land mehr Personal braucht etwa in den Schulen, bei der Sprachförderung oder für die Polizei, dann muss man gleichzeitig auf der anderen Seite mittelfristig Personal abbauen, indem freiwerdende Stellen (in bestimmten Verwaltungsbereichen) nicht mehr neu besetzt werden. Das ist aber nur möglich, wenn zuvor die bürokratischen Regeln angepasst und Abläufe in der Verwaltung vereinfacht werden. Die Chance dazu besteht im Zuge der Digitalisierung, doch die Regierung ich Hannover geht das Thema ausgesprochen zögerlich an. Bisher hat allein Finanzminister Reinhold Hilbers mit seiner Reform der Finanzämter einen Schritt in diese Richtung angekündigt. Alle anderen warten ab, obwohl selbst der Koalitionsvertrag Formulierungen enthält, die nicht nur als Handlungsauftrag in diese Richtung verstanden werden müssen, sondern regelrecht als Handlungsdruck.
Keine Spur von Sparsamkeit
Auf Bundesebene ist das nicht besser. Was gegenwärtig in der Rentenpolitik debattiert wird, getrieben von einer SPD, die fast schon verzweifelt versucht, ihr soziales Profil herauszustellen, ist eine Belastung der kommenden Generationen. Von Sparsamkeit und Nachhaltigkeit keine Spur. Und die politische Debattenlage, zunehmend von populistischen Strömungen beherrscht, hält auch nicht dazu an. Will man in einer solchen Ausgangssituation die Steuern senken? Das wäre angesichts der momentanen Politik höchst riskant. Lieber das Geld so gut wie möglich zusammenhalten. Wer weiß, was uns noch so alles bevorsteht.