2. Juni 2025 · 
Pro und ContraUmwelt

Brauchen wir eine Bremse für den Flächenverbrauch? Oder hemmt das zu sehr?

In der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes Niedersachsen ist festgehalten, dass der gegenwärtige Flächenverbrauch drastisch verringert werden soll. In fünf Jahren soll er jährlich nur noch maximal vier Hektar am Tag ausmachen. Gegenwärtig beträgt der Durchschnittswert 6,6 Hektar. Ist diese alte Strategie sinnvoll – oder illusorisch? Wird damit die Wirtschaftsentwicklung zu stark gebremst? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber.

So schnell sind 38 Hektar verbraucht: In Cuxhaven werden die Liegeplätze am Hafen erweitert. | Foto: N-Ports

PRO: Eine Beschränkung des Flächenverbrauchs ist richtig und sinnvoll – denn die Zivilisation darf den Naturraum nicht immer stärker einengen. Diese Strategie ist sogar machbar, wenn man sich viel stärker als bisher auf die Umnutzung konzentriert, meint Klaus Wallbaum.

Mit Prognosen über die Bevölkerungsentwicklung ist das so eine Sache. Schon mehrfach ist ein erheblicher Rückgang der Einwohnerzahl in Deutschland vorhergesagt worden. Was dann folgte, war oft das Gegenteil. Und die Planungen für neue Kindergärten und Schulen sind in vielen Kommunen auch nicht sehr vorausschauend gewesen. Man hatte sich vor einigen Jahren auf Schwund eingestellt und war dann sehr bald eines Besseren belehrt worden. Das Ergebnis ist der viel beschworene „Investitionsstau“ oder der gerade in diesen Wahlkampfzeiten so häufig zum Problem erklärte „Rückstand bei der Infrastruktur“.

Nun ist eine der derzeit gängigen Antworten darauf die, dass die Wirtschaft von allen staatlichen Fesseln befreit werden soll. Planerische Grenzen für Neubauvorhaben? Unnötig. Komplizierte Vorschriften für Baugenehmigungen? Entbehrlich. Staatliche Bremsen für die Neuverschuldung und damit auch für staatliche Bauaufträge? Falsch, weil doch vielmehr eine Konjunkturbelebung sinnvoll ist. In den aktuellen Zeiten der Wirtschaftsbremse gerät dann auch die Flächenverbrauchsgrenze ins Visier der Kritiker. Wenn man möglichst keine neuen Naturflächen mehr zu Bau- oder Gewerbegebieten erklären soll, dann ist auch das wirtschaftsfeindlich und hemmt die Zukunftsentwicklung, meinen die Gegner dieser Regel. Folglich empfehlen sie deren Aufhebung und werben für das freie Spiel der Kräfte als Alternative.

Das wäre allerdings kurzsichtig. Zum einen ist mit einem drastischen Anstieg oder konstanten Wachstum der deutschen Bevölkerung wohl kaum zu rechnen, selbst dann nicht, wenn die Zuwanderung verstärkt werden sollte. Der Wohnungsmangel betrifft zwar nicht nur Großstädte, zunehmend auch mittlere Städte. Aber er beruht auch darauf, dass viele Menschen der geburtenstarken Jahrgänge in Wohnungen leben, die für sie eigentlich zu groß sind. Die Überwindung, ihre alte Bleibe aufzugeben für eine kleinere, scheitert nicht nur aus Bequemlichkeit, sondern auch mangels ausreichendem Angebot zu erschwinglichen Preisen. Das Ausweichen in mehr Baugebiete am Stadtrand ist auch deshalb verkehrt, weil es auf absehbare Zeit in den Innenstädten jede Menge sanierungsbedürftiger oder jetzt schon ungenutzter Gebäude und Flächen gibt. Sie könnten abgerissen oder umgebaut werden. Weil das aber teurer und auch planerisch aufwendiger ist als der Neubau, wird der Blick darauf versperrt. Bisher sind es auch noch hemmende Bauvorschriften, die die Kosten einer Sanierung in die Höhe treiben. Die Politik hat das erkannt und will gegensteuern.

Die Obergrenze des Flächenverbrauchs ist richtig und sinnvoll, sie sollte nicht nur ein allgemeiner Maßstab sein, sondern irgendwann eine verbindliche Vorgabe werden. Das würde nämlich dazu zwingen, zunächst nach möglichen Investitionen dort zu schauen, wo Flächen schon versiegelt und Häuser schon errichtet sind. Da der Druck in diese Richtung zunimmt, muss es auch Hilfestellungen zur Sicherung von Baudenkmälern geben – denn falsch wäre es, überall zuerst den Abrissbagger anrücken zu lassen. Die strengen Vorgaben zum Denkmalschutz gehören gelockert, damit mehr Denkmäler als solche stehen bleiben können. Auch staatliche Förderung zum Erhalt dieser Bauten könnte verbessert werden. Auf alten Industriebrachen könnten ebenfalls neue Wohnungen entstehen, dann dürfen die irrwitzigen Regeln zum Immissionsschutz kein Hemmschuh sein. Es wäre verkehrt, neuen Wohnraum auf alten Werksgeländen nur deshalb zu untersagen, weil der Lärm des benachbarten Gewerbegebiets zu hoch wäre und die Unternehmen dort ihre Produktion einstellen müssten – aus Rücksicht gegenüber denen, die dort künftig wohnen wollen.

Das alles zeigt, dass dieses Thema vielfältig und in der Verwirklichung mit Problemen behaftet ist. Warum soll man nicht auf die Natur ausweichen? Immerhin sind doch erst 14 Prozent der Landesfläche besiedelt oder mit Verkehrswegen bestückt. Wäre da nicht eigentlich noch Platz für mehr Versiegelung? Nein, aus mehreren Gründen. Erstens ist eine zersiedelte Landschaft hässlich, belastet die Verkehrsströme und macht eine ÖPNV-Planung extrem schwierig. Zweitens ist der Druck auf die Flächen ohnehin schon groß, das spüren vor allem die Landwirte – und Schuld daran sind auch viele neue Stromtrassen und Vorrang-Areale für erneuerbaren Strom, die wegen der Energiewende unvermeidbar sind. Drittens zwingt der Artenrückgang dazu, die noch vorhandenen Naturräume möglichst zu schützen, Rückzugsräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten zu schaffen und dort, wo es möglich ist, versiegelte Flächen wieder in Naturflächen umzuwandeln. Nicht nur Hochwasserkatastrophen zeigen, wie nachteilig sich eine übermäßige Flächenversiegelung auswirkt – und welche Folgen damit auch für Siedlungsräume verbunden sein können.

Das Land Niedersachsen wird künftig, auch ohne Bevölkerungswachstum, mit steigenden Nutzungsansprüchen konfrontiert sein, der Druck nimmt zu. Eine gute Steuerung über Raumordnung und kommunale Flächenplanung wird nötiger denn je. Die Leitlinie einer Obergrenze der Neuversiegelung ist erforderlich, um die Blicke stärker auf die Umnutzung bereits versiegelter Flächen zu lenken. Da sollte sich die Landespolitik nicht beirren lassen.


CONTRA: Das Land Niedersachsen muss mit seiner Fläche besser haushalten – das ist unbestritten. Die Beschränkung des Flächenverbrauchs durch eine landesweite Nachhaltigkeitsstrategie ist daher gut gemeint. Die wirtschaftlichen Auswirkungen könnten jedoch verheerend sein, warnt Christian Wilhelm Link.

Klingt doch erstmal wunderbar: weniger versiegelte Flächen, mehr Natur, mehr heile Welt. Wer könnte da schon was dagegen haben? Niedersachsen will die Neuversiegelung auf unter drei Hektar pro Tag drücken und bis 2050 sogar „Netto Null“ erreichen. Ein Traum für Umweltverbände – aber ein Albtraum für Wirtschaft, Kommunen und alle, die noch irgendwo bauen wollen. Denn bei näherer Betrachtung zeigt sich: Diese Vorgaben schränken die wirtschaftliche Entwicklung massiv ein und verfestigen bestehende Ungerechtigkeiten.

Der Ökonom Peter Bofinger hat in der Debatte um die Schuldenbremse wiederholt darauf hingewiesen, dass diese die Gestaltungsmöglichkeiten für kommende Generationen erheblich beschneidet. Dasselbe droht mit den Flächenverbrauchszielen: Kommunen verlieren Spielraum für wirtschaftliches Wachstum, die bereits immensen Baukosten drohen noch weiter zu explodieren und Investitionen in neue Wohn- sowie Gewerbegebiete werden erschwert – während steigende Grundstückspreise und Mieten ungebremst weiter anziehen. Der Wohnraummangel kann nicht allein durch die Revitalisierung von Altflächen oder die Verdichtung bestehender Quartiere gelöst werden. Gerade im ländlichen Raum ist es oft nicht wirtschaftlich darstellbar, Schrottimmobilien zu sanieren oder Baulücken zu schließen. Neubaugebiete bleiben unverzichtbar, um die Bedürfnisse einer voraussichtlich weiterhin wachsenden Bevölkerung zu decken und bezahlbares Wohnen zu ermöglichen.

Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Zudem sorgt die Flächenverbrauchsbeschränkung für eine massive soziale Schieflage. Während neue Projekte gebremst werden, profitieren vor allem diejenigen, die bereits im Besitz von versiegelten Flächen sind. Grundstückseigentümer in Bestandsgebieten sehen steigende Werte, während junge Familien und Unternehmen, die Flächen für ihre Zukunft benötigen, leer ausgehen. Eine faire Regelung müsste auch den Bestand einbeziehen: Wenn Flächenverbrauch begrenzt werden soll, dann mit einem Konzept zum Rückbau bestehender versiegelter Flächen. Dies müsste mit finanziellen Anreizen verbunden sein, die vorzugsweise diejenigen finanzieren, die am meisten von der bisherigen Flächenversiegelung profitiert haben.

Ein weiterer Punkt ist die Wettbewerbsfähigkeit Niedersachsens. Wenn hier strenge Flächenverbrauchsvorgaben gelten, während andere Bundesländer weniger restriktiv agieren, drohen Abwanderungseffekte. Unternehmen siedeln sich dort an, wo Wachstum möglich ist. Städte und Gemeinden verlieren ihre wirtschaftliche Dynamik, wenn sie keine neuen Gewerbeflächen ausweisen können. Investitionen werden so eher verhindert als gefördert. Dies betrifft insbesondere Niedersachsen als Logistikland: Der Wirtschaftsstandort ist auf die Bereitstellung neuer Logistikflächen angewiesen, um seine Position zu halten. Auch der Ausbau der Windkraft, der Bau von Umspannwerken und Batteriespeichern wird in Zukunft erhebliche Flächenressourcen benötigen. Gleiches gilt für Zukunftsindustrien wie die Batterieproduktion, die Photovoltaik-Industrie oder die Halbleiterindustrie – allesamt extrem flächenintensive Sektoren.

Deshalb braucht es eine differenzierte Herangehensweise: Statt pauschaler Einschränkungen sollten Ausnahmen für strategisch wichtige Projekte gemacht werden. Gleichzeitig sollte der Flächenverbrauch dort reduziert werden, wo er wirklich unnötig ist. Warum werden in urbanen Gebieten immer noch ebenerdige Stellflächen gebaut, wenn Parkpaletten oder Parkhäuser viel effizienter wären? Gibt es wirklich keine platzsparendere Art Discounter oder Supermärkte zu bauen als bisher? Warum dürfen Industriebrachen jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang ungenutzt und weiter versiegelt bleiben? Warum müssen sich bestimmte versiegelte Flächen nicht regelmäßig – etwa alle zehn Jahre – einer Prüfung unterziehen, ob sie nicht entsiegelt werden können?

Kurz gesagt: Die Flächenverbrauchsziele greifen tief in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung ein und drohen, die Schere zwischen Besitzenden und Nicht-Besitzenden weiter zu öffnen. Wer neue Baugebiete pauschal begrenzt, muss auch alte Strukturen aufbrechen – und dafür gerechte Finanzierungsmodelle entwickeln. Alles andere ist ein einseitiger Wachstumsstopp mit langfristig negativen Folgen.

Dieser Artikel erschien am 2.6.2025 in Ausgabe #101.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail