2. Nov. 2020 · Wirtschaft

„Betriebsversammlungen ohne Fragen sind wie ein Kinobesuch ohne Popcorn“

Wie können die Betriebs- und Personalräte in der Corona-Krise ihre Arbeit erledigen? Es ist möglich – aber es ist schwer. In einer digitalen Konferenz für die Beschäftigtenvertreter aus Industrie, Dienstleistungsgewerbe, Handel und Behörden haben sich am Montag Betroffene ausgetauscht und Probleme beschrieben. Der Betriebsratsvorsitzende von BMW in Hannover, Uwe Wegener, berichtete über einige Kommunikationshürden – vor allem dann, wenn in den Betrieben ein Corona-Fall auftaucht: „Häufig kommt es vor, dass das der Kontakt mit dem Gesundheitsamt dann sehr träge verläuft. Hier könnte vieles schneller und unkomplizierter laufen.“
Wir erleben die Hamsterkäufe und den Ansturm auf das ‚weiße Gold‘, das Toilettenpapier. Häufig können wir nicht gleichzeitig auch noch auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Abstände achten.
Susanne Meister, Betriebsratsvorsitzende des Lebensmittelmarktes Real in Bremen, warnte vor psychischen Überlastungen der Kollegen. „Wir erleben die Hamsterkäufe und den Ansturm auf das ‚weiße Gold‘, das Toilettenpapier. Häufig können wir nicht gleichzeitig auch noch auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Abstände achten.“ Nach den Worten von Meister ist das größte Problem im Einzelhandel, dass mit der Masken- und Abstandspflicht das soziale Verhalten am Arbeitsplatz leide. „Siebeneinhalb Stunden lang mit der Maske arbeiten – danach ist man kaputt und kann keine Überstunden leisten. Der Kontakt mit den Kunden durch die Maske ist nur auf das nötigste reduziert, und auch die Kollegen untereinander können sich nicht richtig austauschen.“ Meister sieht ein großes Problem in der Betriebsratsarbeit. Diese lebe davon, dass man sich begegne, am Rande etwas kläre und bei Zusammenkünften gemeinsam über Problemlösungen brüte: „Früher habe ich oft das Treffen für eine Viertelstunde unterbrochen und gebeten, danach noch einmal darüber zu reden – inzwischen konnte man über eine Lösung nachdenken. Aber wenn eine Betriebsratssitzung digital abläuft, stellt niemand Fragen, jeder hofft vielmehr, dass die Veranstaltung möglichst rasch wieder beendet ist.“ Betriebsversammlungen ohne Fragen aber seien „wie ein Kinobesuch ohne Popcorn“. Im vergangenen Jahr hatte die Landesregierung das erste Mal eine Betriebs- und Personalrätekonferenz angeboten, damals noch als ganz übliches Treffen in Hannover. Diesmal war die Veranstaltung ins Netz verlagert worden. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte in einem Grußwort, die Mitbestimmung sein zentral für zukunftsfähige Unternehmen. Dass erneut die Tarifbindung in Niedersachsens Unternehmen gegenüber dem Vorjahr abgenommen habe, sei kein gutes Signal. Der DGB-Landesvorsitzende Mehrdad Payandeh forderte die niedersächsischen Firmen und Verbände zu einem „Pakt für die Beschäftigungssicherung“ auf, damit Entlassungen und Werkschließungen in dieser schwierigen Zeit verhindert werden. Wenn man verstärkt mobile Arbeit einführe in den Bereichen, in denen es möglich sei, dann komme es dort auch auf die Einhaltung von Arbeitszeitregeln an.
Firmen, die in dieser Zeit öffentliche Hilfe in Anspruch nehmen, entlassen nicht, verlagern nicht und schließen nicht!
Gemeinsamkeit demonstrierten in der Veranstaltung Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) und die Gewerkschaftsvorsitzenden Detlev Ahting (Verdi) und Thorsten Gröger (IG Metall). Althusmann sagte, in den vergangenen Monaten der Krise hätten die Betriebsräte große Verantwortung und auch Bereitschaft zu „ungewöhnlichen Antworten“ gezeigt. Niedersachsen brauche einen „starken öffentlichen Dienst“. In der Digitalisierung, vor allem in den Schulen, müssten die Anstrengungen verstärkt werden, hier hinke Deutschland hinter anderen Ländern her. Skepsis äußerte Althusmann gegenüber einem Unternehmensmodell wie bei Enercon in Aurich, das anstelle einer starken Beschäftigtenvertretung die Aufgliederung in viele Teil- und Unterfirmen vorgesehen habe. Althusmann will eine „kluge Vision für 2030“ für viele große Industriezweige – Unternehmensleitungen und Behördenleitungen sollten gemeinsam mit den Mitarbeitern Konzepte entwickeln und Innovationen entwerfen. Gröger meinte: „Firmen, die in dieser Zeit öffentliche Hilfe in Anspruch nehmen, entlassen nicht, verlagern nicht und schließen nicht!“ Ahting ergänzte, in den nächsten Jahren werde ein Viertel des öffentlichen Dienstes in den Ruhestand gehen – dafür sei gut qualifiziertes neues Personal nötig. In einigen Bereichen wie in der Bauverwaltung oder den Gesundheitsämtern sehe man heute schon, zu welchen Engpässen Personalabbau geführt habe. Das müsse jetzt beendet werden.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #196.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail