Die gegenwärtige Zuschnitt der Landtagswahlkreise in Niedersachsen gibt Anlass zur Sorge: Sollte der Landtag sich nicht bereitfinden zu einer gründlichen Reform, könnte beim derzeitigen Stand der Umfragen nach der nächsten Landtagswahl 2022 eine extreme Vergrößerung des Parlaments die Folge sein – auf womöglich mehr als 200 Mandate. Derzeit sind es 137.

Grundlage ist der aktuelle Bundestrend, der einen Stimmenrückgang für die bisher dominanten Parteien SPD und CDU angibt, gleichwohl aber davon ausgeht, dass vor allem Christ- und auch Sozialdemokraten noch viele Wahlkreise erringen werden. Die Berechnungen sind Resultat aus Annahmen verschiedener Online-Portale wie election.de, Wahlkreisprognose.de und Mandatsrechner.de, die von der Organisation Wahlrecht.de für das Politikjournal Rundblick zusammengetragen wurden.

Derzeit hat das Landesparlament in Hannover 137 Mitglieder, planmäßig wären es 135. Zunächst sind dort die direkt gewählten Abgeordneten aus 87 Wahlkreisen, hinzu kommen planmäßig 48 Mandate, die über die Landeslisten vergeben werden. Da bei der Landtagswahl 2017 SPD und CDU die beiden mit Abstand stärksten Parteien waren und alle Wahlkreise unter sich halbwegs ausgewogen aufgeteilt hatten, kam es nur zu zwei Überhang- und Ausgleichsmandaten. Das war auch möglich, weil Grüne, FDP und AfD noch relativ schwach geblieben waren.

Der Nächste Landtag könnte 75 Abgeordnete mehr haben

Dass dies erneut so eintreten wird, wird aber zunehmend unwahrscheinlicher. Die Ursache dafür ist zum einen der bundesweit zu beobachtende Stimmenverlust von SPD und CDU einerseits, das Wachstum der übrigen Parteien andererseits. Bei der Landtagswahl ist immer zuerst gewählt, wer einen der 87 Wahlkreise gewonnen hat. Hat eine Partei mehr Direktmandate gewonnen als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, so sind dies die „Überhangmandate“. Diese werden dann wieder mit „Ausgleichsmandaten“ der anderen Parteien angeglichen. Das Ziel ist, dass am Ende in etwa das Verhältnis hergestellt wird, das nach dem Zweitstimmenergebnis maßgeblich ist.

Diese Grundsätze hat Wahlrecht.de auf Bitten des Politikjournals Rundblick nun auf die Landtagswahlkreise übertragen – auf Grundlage aktueller Meinungsumfragen und den Wahlkreisprognosen für die Bundestagswahlkreise, da keine eigenen Prognosen für die Landtagswahlkreise vorliegen. Wie das Ergebnis zeigt, könnte die Niedersachsen-CDU derzeit zwischen 18 und 26 der 30 Bundestagswahlkreise erobern, umgerechnet auf den Landtag hieße das, sie könnte als vermutlich stärkste Kraft zwischen 52 und 73 der 87 Landtagswahlkreise gewinnen – wenn die Niedersachsen bei der Landtagswahl wie beim aktuellen Bundestrend wählen würden.

Hätte die CDU aber gleichzeitig nur 28,1 Prozent der Zweitstimmen (wie derzeit laut Insa-Umfrage, von Mandatsrechner.de umgerechnet auf die Verhältnisse bei einer Landtagswahl in Niedersachsen), so würde die Rechnung wie folgt lauten: Der CDU stünden dann bei 135 Sitzen im Landtag eigentlich nur 38 zu. Wenn sie aber 52 Direktmandate hätte, führte dies über die Ausgleichsmandate zu einem Landtag von 159 Sitzen. Bei 73 Direktmandaten immerhin 210 Sitze – also 75 mehr, als das Gesetz derzeit als die Zahl der Landtagsabgeordneten vorsieht.

SPD-Pläne sehen sogar noch mehr Direktkandidaten vor

Was muss getan werden, um die drohende enorme Vergrößerung des Parlaments, die erhebliche räumliche Erweiterung der Büros und Tagungsräume erforderlich machen würde, zu verhindern? Bei einer radikalen Reform müssten die Wahlkreise nicht nur neu zugeschnitten, sondern es müsste auch ihre Zahl erheblich verringert werden – mit der Folge einer Vergrößerung der Fläche. Initiativen in diese Richtung gibt es bisher im Landtag nicht, wohl aber ein Vorschlag, der das Gegenteil vorsieht. Die SPD hatte unlängst Überlegungen präsentiert, die Wahlkreiszahl zwar von 87 auf 50 zu verringern, dann aber je Wahlkreis zwei Direktkandidaten zu benennen, einen Mann und eine Frau. Man hätte also statt 87 dann 100 direkt gewählte Abgeordnete. Würde man dies einführen und gleichzeitig bei der bisherigen Kombination von Direkt- und Listenmandaten bleiben, so wären die Folgen fatal. Dann würde die Gefahr eines in der Mandatszahl erheblich ausgeweiteten Landtags noch viel größer sein.