13. Okt. 2021 · 
Bildung

Befristung und unbezahlte Mehrarbeit: Niedersachsen fällt durch „Hochschul-TÜV“

Das Ergebnis ist wenig überraschend: An den Hochschulen in Niedersachsen herrschen für wissenschaftliche Mitarbeiter weitgehend prekäre Arbeitsbedingungen. Doch nun gibt es Zahlen, die das auch empirisch belegen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat erstmals einen Hochschulreport für Niedersachsen vorgelegt, der das Bundesland im deutschlandweiten Vergleich im unteren Mittelfeld einordnet. „Das drängendste Problem ist die extrem hohe Befristungsquote von 88 Prozent bei wissenschaftlichen Mitarbeitern“, sagt DGB-Landeschef Mehrdad Payandeh, der den Report als eine Art Hochschul-TÜV betrachtet. 

Leere Hörsäle sind in den Hochschulen gerade die Regel - Foto: taikrixel / Getty Images

Laut Frank Mußmann, Leiter der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaft bei der Georg-August-Universität Göttingen, basiert der DGB-Report auf einer Befragung von rund 1200 Beschäftigten an fünf niedersächsischen Hochschulen vor der Corona-Pandemie. Teilgenommen hatten 538 wissenschaftliche Mitarbeiter von der Promotionsphase bis zur Juniorprofessur sowie 681 Mitarbeiter in Technik und Verwaltung. Welche Universitäten oder Fachhochschulen teilgenommen haben, bleibt geheim. Die Hochschulen hätten der Befragung nur unter der Prämisse zugestimmt, dass sie nicht identifizierbar sind, erläuterte Mußmann. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Vorsicht nicht unbegründet war. „Die Qualität der Arbeitsbedingungen wird insgesamt als nicht gut bewertet – stellenweise sogar als schlecht“, lautet das Fazit der Studie.

Niedersachsen hinkt beim Einkommen und der Beschäftigungssicherheit hinterher

Niedersachsen im unteren Mittelfeld: Um die Arbeitsqualität an den niedersächsischen Hochschulen vergleichbar zu machen, wurde der „DGB-Index Gute Arbeit“ herangezogen, der auf einem Katalog von 39 Fragen basiert. Bezogen auf alle Akademiker in Deutschland liegt der Gesamtwert bei 65 von 100 Indexpunkten. Niedersachsen kommt bei der Arbeitsqualität von wissenschaftlichen Mitarbeitern nur auf 57 von 100 Punkten, womit das Bundesland im unteren Mittelfeld liegt. 

Belastung ist zu hoch: „Hervorzuheben sind insbesondere die Belastungen, denen die wissenschaftlichen Mitarbeiter an Universitäten in Niedersachsen ausgesetzt sind“, heißt es in der Studie. Bei der Bewertung der Arbeitsintensität bewege man sich bereits im Bereich der „schlechten Arbeit“. In den Bereichen Einkommen und Beschäftigungssicherheit hinke Niedersachsen ebenfalls hinterher, wenn auch auf höherem Niveau. Hierfür machen die Studienautoren insbesondere die befristeten Arbeitsverträge verantwortlich. Während 18 Prozent der Mitarbeiter in Technik und Verwaltung befristet beschäftigt sind, liegt die Befristungsquote im wissenschaftlichen Bereich bei 88 Prozent. Führend bei der Befristung sind die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (93 Prozent), am unteren Ende der Skala befinden sich Mathematik und Naturwissenschaften (88 Prozent) sowie die zentralen Einrichtungen (71 Prozent).

Wissenschaftliche Mitarbeiter leisten 10 Stunden unbezahlte Mehrarbeit pro Woche

Teilzeit trifft auf unbezahlte Mehrarbeit: Der Anteil an Teilzeitstellen ist unter wissenschaftlichen Mitarbeitern (46 Prozent) und Mitarbeitern in Technik und Verwaltung (42 Prozent) überdurchschnittlich hoch. Der Grund dafür ist einfach: „Es gibt ganz häufig keine Vollzeitstellen“, sagt Eva Clasen, Abteilungsleiterin für Hochschulpolitik im DGB-Bezirk Niedersachen-Bremen-Sachsen-Anhalt. Allerdings leisten die wissenschaftlichen Mitarbeiter laut Befragung pro Woche knapp 10 Stunden unbezahlte Mehrarbeit. Die durchschnittliche vertragliche Wochenarbeitszeit betrage 32,5 Stunden. Tatsächlich würden die Mitarbeiter aber 40,8 Stunden arbeiten.

Wissenschaftler haben Zukunftssorgen: „Es ist absurd, dass hochqualifizierte Wissenschaftler keine verlässlichen Arbeitsplätze haben, sondern immer auf Abruf bereitstehen oder sich um die Finanzierung ihrer Stellen selbst kümmern müssen“, kritisiert Clasen. Mehr als 60 Prozent der befristet beschäftigten Uni-Mitarbeiter geben an, dass sie sich „sehr häufig“ oder „oft“ Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen. „Das ist für den öffentlichen Dienst und die Vergleichsgruppen nicht normal“, betont Clasen und weist darauf hin, dass die Befristung in der Regel unfreiwillig ist. Die Hälfte der wissenschaftlichen Mitarbeiter hat laut Befragung eine mit Drittmitteln finanzierte Projektstellen (49 Prozent). 37 Prozent sitzen auf einer Qualifizierungsstelle und 7 Prozent geben eine Befristung ohne Sachgrund an. Es ist kaum möglich eine der knappen Professoren- oder Vollzeitstellen zu bekommen“, weiß Clasen. Ihr Einkommen schätzen 30 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter als nicht oder gerade ausreichend ein. Bei den Mitarbeitern in Technik und Verwaltung sind es 52 Prozent. Noch dramatischer ist die Lage bei der Altersvorsorge. Hier erwarten 76 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter keine guten Bezüge, bei den anderen Mitarbeitern sind es sogar 86 Prozent. „Mit Teilzeit sind kaum ein ausreichendes Einkommen und eine ausreichende Rente zu erreichen“, sagt auch Clasen.

„Wir bilden die Leute aus, damit sie woanders ihre Karriere machen. Wir verlieren Innovationsfähigkeit.“

Mehrdad Payandeh, DGB-Landeschef

Mehr Geld für den Mittelbau nötigt: Der Mangel an unbefristeten Stellen, unsichere Karriereplanung sowie Stress und unbezahlte Mehrarbeit führen laut DGB dazu, dass viele topmotivierte und gut ausgebildete Wissenschaftler den Hochschulen in Niedersachsen den Rücken kehren. Teilweise würden diese dann Forschung und Lehre in anderen Bundesländern voranbringen, wo die Arbeitsbedingungen besser sind. „Wir bilden die Leute aus, damit sie woanders ihre Karriere machen. Wir gehen nicht sorgfältig mit unseren Ressourcen um und dadurch verlieren wir Innovationsfähigkeit“, ärgert sich DGB-Chef Payandeh über den selbstverschuldeten Standortnachteil. Er fordert mehr Anstrengungen vom Land, um die Hochschullandschaft nicht nur bei Exzellenz-Projekten, sondern auch im Mittelbau gut aufzustellen. „Eine Verpflichtungserklärung zum Zukunftsvertrag Studium und Lehre, mit der sich das Land ernstzunehmende Ziele setzt, wäre ein Anfang“, sagt Payandeh und mahnt: „Wenn wir diesen Kurs weiterfahren, werden unsere Hochschulen abgehängt.“

Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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