30. Aug. 2020 · 
Inneres

Beauftragte für Radikalenerlass rät von Gesinnungsprüfung ab

Sollen Bewerber für den öffentlichen Dienst künftig nur dann eine Chance auf Einstellung haben, wenn der Verfassungsschutz zuvor einen Aussage über deren Treue zum Grundgesetz getroffen hat? In dieser Frage sind sich nicht nur die Koalitionsparteien SPD und CDU uneinig. Auch die frühere Landesbeauftragte für den Radikalenerlass, Jutta Rübke (SPD), rät vehement von einer Überprüfung der Interessenten ab. „Eine Regelanfrage für jeden Bewerber beim Verfassungsschutz ist der falsche Weg. Das weckt Misstrauen und schafft ein Klima der Angst. Die Erfahrungen aus dem Radikalenerlass in den siebziger und achtziger Jahren zeigen, dass mit diesem Verfahren viel Verunsicherung geschaffen wurde und viele Ungerechtigkeiten geschehen sind. Wir sollten uns davor hüten, das jetzt erneut zu beginnen“, sagte Rübke im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.Sie bezieht ihre Aussage auf Polizisten, Lehrer, Richter und alle anderen Mitarbeiter des Staatsdienstes. Im Juli hatte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) über seine Sprecherin mitteilen lassen, dass eine Änderung des Beamtengesetzes geplant sei. Künftig sollten alle angehenden Polizisten auf ihre Verfassungstreue überprüft werden – ein Schritt, der bisher nur bei einem vorherigen Einverständnis der Betroffenen geschieht. Der Verfassungsschutz solle beteiligt werden. Pistorius‘ Vorgänger Uwe Schünemann, Vize-Fraktionschef der Grünen im Landtag, hält eine Regelanfrage des Verfassungsschutzes nicht nur für Polizisten für sinnvoll. Auch Lehrer und Justizbedienstete sollten einbezogen werden, meint Schünemann.

Lynack: haben die Zeit der pauschalen Regelanfrage überwunden

Dieser Konflikt von Sozial- und Christdemokraten könnte dazu führen, dass die Koalitionsparteien eine Verständigung über eine Änderung des Beamtengesetzes bis zur Landtagswahl 2022 nicht mehr schaffen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Bernd Lynack aus Hildesheim, ließ in einer Pressemitteilung generelle Ablehnung gegenüber einer Beteiligung des Verfassungsschutzes bei Einstellungen durchschimmern. „Wir haben die Zeit der pauschalen Regelanfrage überwunden. Diese hilft nicht, sondern zeigt letztlich nur ein misstrauisches Verhältnis gegenüber der Demokratie und offenbart ein irritierendes Bürgerverständnis. Das hat in unserer pluralistischen Gesellschaft keinen Platz.“ Damit rückt Lynack sogar von Pistorius‘ Absichtserklärung ab.

Wenig später jedoch meint Lynack ein wenig verklausuliert, dass sich „Bewerber für sicherheitsrelevante Bereiche, die das staatliche Gewaltmonopol ausüben, anderen Prüfkriterien unterwerfen“ müssten als beispielsweise Lehrer. Ist das ein Hinweis, dass die von Pistorius‘ angekündigte Regelanfrage für angehende Polizisten von Lynack doch akzeptiert würde? Die Mitteilung bleibt an dieser Stelle undeutlich. Schünemanns Vorschlag, schreibt Lynack, löse bei der SPD „Fragezeichen aus“. Schünemann selbst reagiert darauf seinerseits mit Unverständnis. Pauschale Beurteilungen seien nicht geplant, vielmehr diene die Anfrage beim Verfassungsschutz für Erkenntnisse, die eine Einzelfallprüfung möglich machen könne. Wenn man das aber nur auf die Polizisten beschränke, werde damit deren Berufsstand „gezielt stigmatisiert“, meint der CDU-Politiker.
Polizeibewerber werden heute viel besser ausgebildet als früher. Die Gefahr geht vermutlich stärker von den Beamten aus, die seit vielen Jahren im Dienst sind und dann plötzlich anfangen, rassistische oder antisemitische Parolen zu schwingen.
Rübke macht im Gespräch mit dem Rundblick deutlich, dass sie von einer Regelanfrage überhaupt nichts hält – auch nicht begrenzt auf angehende Polizisten. „Polizeibewerber werden heute viel besser ausgebildet als früher. Die Gefahr geht vermutlich stärker von den Beamten aus, die seit vielen Jahren im Dienst sind und dann plötzlich anfangen, rassistische oder antisemitische Parolen zu schwingen. In solchen Fällen sollte im Kollegenkreis darüber gesprochen werden – das ist auch eine wichtige Aufgabe für die Vorgesetzten. Nach den geltenden Regeln können Beamte, die gegen das Grundgesetz verstoßen, auch entlassen werden.“Der Geschäftsführer der GEW Niedersachsen, Rüdiger Heitefaut, teilt diese Auffassung und hält auch eine Regelanfrage für angehende Lehrer für das völlig falsche Signal: „Eine Regelanfrage würde das Klima in den Verwaltungen und in den Schulen extrem belasten. Es würde eine Misstrauenskultur etabliert werden. Alle Kollegen sollten darauf achten, dass niemand in eine extremistische Ecke abdriftet. Wenn das geschieht, sollte man eingreifen und mit dem Betroffenen reden – und notfalls danach Konsequenzen ziehen.“
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #150.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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