
Mitten im juristischen Dauerstreit um Gasbohrungen vor Borkum schafft das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) vollendete Tatsachen: Der niederländische Energiekonzern One-Dyas bekommt die Erlaubnis zum Sofortvollzug – ausgerechnet wenige Tage vor einem angekündigten Protestcamp auf der Insel. Damit kann das Unternehmen von seiner Plattform N05-A im niederländischen Hoheitsgebiet auf die deutsche Nordsee-Seite herüber bohren und dort Erdgas fördern. Das Besondere am Sofortvollzug: Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2024 haben damit keine aufschiebende Wirkung mehr, das Unternehmen darf sofort loslegen. Gegner des Projekts müssten nun in Eilverfahren vor Gericht durchsetzen, dass die Arbeiten gestoppt werden. LBEG-Präsident Carsten Mühlenmeier begründete die Entscheidung mit dem „überwiegenden öffentlichen Interesse an einer sicheren Energieversorgung“. Angesichts der weltpolitischen Lage sei es notwendig, die Abhängigkeit von Gasimporten aus Drittstaaten zu verringern. Mehr als die Hälfte der Haushalte in Deutschland werde nach wie vor mit Erdgas beheizt, ein sofortiger Verzicht auf fossile Energieträger sei daher nicht möglich.
In der Landesregierung wird die Entscheidung unterschiedlich bewertet. Umwelt- und Energieminister Christian Meyer (Grüne) bekräftigte die ablehnende Haltung seines Hauses: „Aus Sicht des Klimaschutzes sind neue fossile Gas- oder Ölförderungen unnötig. Das Gas vor Borkum wird nicht gebraucht.“ Die Bundesregierung habe die Gasmangellage bereits für beendet erklärt, die Versorgungssicherheit sei gewährleistet. Meyer warnte zudem vor erheblichen Schäden für das Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer. Wirtschaftsminister Grant Hendrik Tonne (SPD) betonte dagegen die Rechts- und Versorgungssicherheit. Das LBEG sei „sehr gewissenhaft vorgegangen“, sagte er. „Am Ende sind die Ablenkbohrungen zu genehmigen gewesen. Für die Landesregierung stand die Rechtssicherheit des Projekts immer an erster Stelle – und die liegt ganz klar vor.“ Mit Blick auf das im Sommer geschlossene Unitarisierungsabkommen mit den Niederlanden erklärte Tonne, es sei „ein Baustein für unsere Versorgungssicherheit in Zeiten geopolitischer Unsicherheiten“. In dem Vertrag haben sich beide Länder darauf verständigt, wie das Gasfeld vor Borkum gemeinsam erschlossen wird – also wer wie viel fördern darf und welche Abgaben wohin fließen.
Umstritten ist das Vorhaben, weil es in einem ökologisch sensiblen Gebiet liegt. Zwar verlaufen die geplanten Richtbohrungen in bis zu 4000 Metern Tiefe und erreichen das deutsche Hoheitsgebiet erst mindestens 1500 Meter unterhalb des Meeresbodens, doch die notwendige Infrastruktur bleibt strittig. Die Plattform N05-A soll über ein Seekabel mit Strom aus dem Offshore-Windpark Riffgat versorgt werden. Diese Trasse führt durch ein streng geschütztes Steinriff in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), das nach EU-Recht als FFH-Lebensraum gilt. Umweltverbände befürchten, dass Bauarbeiten dort Teile des Riffs irreversibel zerstören könnten. Das Verwaltungsgericht Oldenburg stoppte die Kabelverlegung im Juli vorläufig, bevor das Oberverwaltungsgericht Lüneburg sie unter Auflagen wieder freigab. Befürworter wie One-Dyas und der Energieversorger EWE verweisen dagegen auf die Versorgungssicherheit und eine im Vergleich deutlich geringere Klimabelastung: Mit dem Strom aus Riffgat werde der CO2-Ausstoß der Plattform laut Unternehmensangaben um bis zu 85 Prozent gesenkt. Für 2025 plant One-Dyas die Förderung von rund 500 Millionen Kubikmetern Erdgas, ein Drittel davon soll nach Deutschland gehen.

Auf Borkum formiert sich in dieser Woche offener Widerstand gegen die Gasförderung: Von Donnerstag bis Sonntag veranstalten die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und Fridays for Future ein Klimacamp auf der Insel, am Freitag ist ein Klimastreik am Inselbahnhof geplant. „Wir machen Druck, weil trotz laufender Gerichtsverfahren irreparable Schäden drohen“, sagte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Der Nabu Niedersachsen warnte vor einem „gefährlichen Präzedenzfall“: Wenn selbst Projekte unmittelbar am Rand eines Weltnaturerbes genehmigt würden, könnten zentrale Schutzstandards aufgeweicht werden. Filiz Polat, Grünen-Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Osnabrück-Land, sprach von „Klimazerstörung mit Ansage“ und kritisierte: „Die Erlaubnis, Gas vor Borkum zu fördern, ist ein Schlag ins Gesicht der Borkumerinnen und Borkumer, die sich seit Jahrzehnten für den Schutz ihrer Insel und des Unesco-Weltnaturerbes Wattenmeer einsetzen.“ Auch weitere Grünen-Spitzenpolitiker aus Niedersachsen positionierten sich klar gegen das Projekt. Anne Kura, Fraktionsvorsitzende im Landtag, warnte: „Gasbohrungen vor Borkum gefährden das einzigartige Ökosystem Wattenmeer und schwächen die Energiewende.“ Marie Kollenrott, energiepolitische Sprecherin, erklärte: „Wenn wir das Klima schützen wollen, lassen wir das Gas im Boden.“ Greta Garlichs, Landesvorsitzende der Grünen, nannte die Förderung „ein ausgedientes fossiles Geschäftsmodell, von dem ein Konzern profitiert, während die Allgemeinheit die Schäden trägt“.