20. Sept. 2022 · 
Wirtschaft

Bayerns Vize-Ministerpräsident wirbt für radikale Reform der EU-Binnenmarktregeln

Der bayerische Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hält eine drastische Veränderung der Regeln, nach denen der EU-Binnenmarkt funktioniert, für dringend geboten. Bei einem Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick sagte er, die Vorschriften für die europaweite Ausschreibung von Leistungen der öffentlichen Hand müssten „gründlich überarbeitet werden“: „Wenn ein Bürgermeister eine Bauleistung europaweit ausschreiben muss, gewinnt womöglich ein Anbieter aus Portugal. Am Ende aber wird dieser die Leistungen womöglich deshalb nicht rechtzeitig umsetzen können, weil er auf Lieferschwierigkeiten oder andere Probleme stößt.“

Hubert Aiwanger zu Gast beim Politikjournal Rundblick | Foto: Struck

Das EU-Vergaberecht sei bisher auf die Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen in der EU ausgerichtet gewesen und auf einen besseren Austausch der Unternehmen über nationale Grenzen hinaus. „Jetzt haben sich aber die Prioritäten geändert“, erklärte Aiwanger, „jetzt stehen die Versorgungssicherheit und die Stärkung der Regionalität im Vordergrund“. Bei EU-Ausschreibungen solle künftig nach seinen Vorstellungen ein „Regionalisierungsfaktor“ eingeführt werden. Damit müsse es möglich werden, dass eine Kommune leichter auch einem heimischen Unternehmen den Zuschlag erteilen kann.

Außerdem fordert Aiwanger eine Lockerung der Vorgaben für staatliche Förder- und Zuschussprogramme an Unternehmen. „Es ist nicht länger sinnvoll, dass Brüssel hier weiterhin sehr strenge Prüfungen vorsieht.“ Den Vorwurf, der pflege damit protektionistische Tendenzen, wies der FW-Politiker nicht zurück. Deutschland müsse aufpassen, dass nicht wesentliche Teile der volkswirtschaftlich wichtigen Produkte nur noch außerhalb der EU hergestellt werden und damit eine Abhängigkeit des Außenhandels wachse. Ein Beispiel dafür sei die Chip-Produktion und die Mikroelektronik, auch bei wichtigen Rohstoffen für E-Autos hätten die Chinesen längst eine entscheidende Rolle.

Aiwanger fordert Hilfsprogramm für den Mittelstand

Nachdrücklich warb Aiwanger, der seit fast vier Jahren Stellvertreter des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) ist, für ein Hilfsprogramm des Bundes zugunsten des Mittelstandes in der Energiekrise. „Wenn die nahende niedersächsische Landtagswahl dazu führt, dass sich die Bundesregierung mit Entscheidungen in dieser Sache beeilt, dann würde ich das sehr begrüßen“, hob Aiwanger hervor. „Wenn nicht im Oktober konkrete Programme vorliegen und Hilfen bereitgestellt werden, geht bei vielen Unternehmen das Licht aus“, betont der Minister.

Hubert Aiwanger zu Gast beim Politikjournal Rundblick | Foto: Struck

Aus seiner Sicht ist schon die Festlegung, die Laufzeit nur von zwei süddeutschen AKW und nicht auch die des niedersächsischen Kernkraftwerks Emsland um einige Monate zu strecken, wahltaktisch bedingt gewesen. „Da haben die Grünen gebeten, ein Streitthema vor der Landtagswahl auszuklammern.“ Die derzeitigen Regierungspläne für die Energieversorgung hätten überdies das Problem, dass einige Risiken in den Betrachtungen nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Das betreffe beispielsweise den Transport von Kohle auf den Binnengewässern. Die Mahnung der Freien Wähler, man möge auch einen Vorrat an deutscher Kohle für Notfälle anlegen, sei vernachlässigt worden. Nun aber sehe man das Risiko, dass bestellte Kohle nicht rechtzeitig über die Transportwege zum Ziel gelangen könne.

Aiwanger ist Bundesvorsitzender der Freien Wähler (FW), die auch zur niedersächsischen Landtagswahl antreten, aber bei der Landtagswahl 2017 nur 0,3 Prozent erreicht hatten. In Bayern wird im Herbst 2023 ein neuer Landtag gewählt, und dort hofft Aiwanger auf eine Fortsetzung der Koalition aus CSU und FW. Umfragen sehen die Freien Wähler dort bei 8 bis Prozent. Aiwanger betont aber, dass die Partei in Wahlen stets besser abschneide als in Umfragen.

Dieser Artikel erschien am 21.9.2022 in Ausgabe #165.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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