„Das ist keine Mini-Rezession, das ist auch keine konjunkturelle Delle – was wir derzeit in der Industrie erleben, ist ein Strukturbruch“: So lautete die Bilanz von Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall, am Freitag bei der Vorstellung der Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfrage in der niedersächsischen Industrie. In der Elektrobranche, der Medizintechnik, der Luftfahrt und dem Maschinenbau seien die Vorzeichen zwar überwiegend auf Wachstum eingestellt. Diese Industriesektoren erwarten im Schnitt ein Wachstum von 3,5 Prozent. In der Automobilindustrie zeichnet sich laut Umfrage dagegen ein Rückgang von sieben Prozentpunkten ab. Diese Krise könne auch auf andere Branchen abstrahlen, denn die Autoindustrie sei keine beliebige Branche, sondern systemisch von Bedeutung.

340.000 Beschäftigte sind bei den Herstellern und Zulieferern zwischen Harz und Küste tätig. „Zwei Drittel der Wertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes in Niedersachsen werden in der Autoindustrie erwirtschaftet. Ein Wert so hoch, wie in keinem anderen Bundesland“, sagte Schmidt. Die Autobranche sei das wirtschaftliche Herz des Landes und Auftraggeber für zahlreiche andere Wirtschaftszweige. „40 Prozent der Aufträge im niedersächsischen Maschinen- und Anlagenbau kommen von Herstellern und Zulieferern aus der Automobilindustrie“, nannte Schmidt als Beispiel. Niedersachsen müsse sich deswegen an ein niedrigeres Wirtschaftswachstum, möglicherweise mit spürbarer Inflation, gewöhnen.
„Die Metall- und Elektroindustrie in Niedersachsen hat das Vorkrisen-Niveau noch immer nicht erreicht. Selbst ohne die Automobilindustrie lagen wir preisbereinigt Ende 2022 – was die Produktion betrifft – immer noch sieben Prozentpunkte unterhalb des Niveaus von 2018. In der Automobilindustrie liegen wir sogar immer noch ein gutes Viertel (26 Prozent) unter Vorkrisenniveau“, sagte Schmidt. Die Automotive-Branche habe sich regelrecht von der restlichen Metall- und Elektrobranche entkoppelt. Das gelte auch für die Ertragserwartungen. Im Non-Automotive-Bereich geht jedes dritte Unternehmen (34 Prozent) davon aus, dass es 2023 einen nennenswerten Gewinn machen wird. Bei den Autobauern und -zulieferern sind es nur sechs Prozent. Stattdessen rechnen fast vier von zehn Autozulieferern damit, dass sie in diesem Jahr rote Zahlen schreiben werden. Die Ursachen dafür sind allerdings in allen Sektoren der Metall- und Elektrobranchen ähnlich. „Knapp 90 Prozent der Unternehmen ächzen unter den steigenden Energiekosten“, sagte Schmidt. Dahinter folgen laut Umfrage Verteuerungen bei den Vorleistungen, Lieferkettenprobleme und deutlich steigende Lohnkosten.

60 Prozent der Automobilzulieferer können den Kostenanstieg durch die massiv gestiegenen Preise für Energie und Vorleistungen gar nicht oder nur stark eingeschränkt weitergeben. „Der Kostenanstieg geht hier fast vollständig zu Lasten der Margen“, betonte Schmidt. Das habe mit fehlender Marktmacht und oft längerfristigen Lieferverträgen zu tun, die den Energiekostenanstieg kaum abbilden. Erschwerend hinzu komme die Tatsache, dass die Absatzmärkte in den vergangenen Jahren stark geschrumpft seien. „Unsere Zulieferer registrieren zunehmend eine Ausdünnung der Palette an Verbrennerfahrzeugen“, berichtete der Niedersachsen-Metall-Hauptgeschäftsführer. Infolgedessen würden Anschlussaufträge fehlen, Neu-Entwicklungen fänden nicht mehr statt und es werde insgesamt weniger in Deutschland produziert.

Wie die Umfrage zeigt, schmilzt den niedersächsischen Industrieunternehmen angesichts von Transformationen und Energiepreissteigerungen das Anlagevermögen davon. Selbst im Non-Automotive-Bereich der niedersächsischen Metall- und Elektroindustrie ist die Investitionsfreude verhalten. 44 Prozent der Unternehmen wollen 2023 mehr Geld als im Vorjahr anlegen. „Nach drei Jahren Krise ist das ein niedriger Wert, weil der Investitionsbedarf eigentlich deutlich höher sein müsste“, sagte Schmidt. In der Automobilindustrie ist das Aufstocken von Investitionen für 25 Prozent der Unternehmen ein Thema. 31 Prozent der befragten Zulieferer werden ihre Investitionen zurückfahren.

Aus einer derartigen „Sandwich-Position“ heraus – zwischen wegbrechenden Umsätzen bei gleichzeitig stark steigenden Kosten – könne eben kein Unternehmen große Klimmzüge bei den Investitionen machen. „Es bleibt das Geheimnis der Politik, wenn von den Autozulieferern gebetsmühlenartig Investitionen in die Transformation hin zur Elektromobilität eingefordert werden, die Betriebe dies aber gar nicht leisten können, weil einerseits die Energiekosten gewaltig steigen, andererseits aber die Absatzmärkte deutlich schrumpfen. Wie bitte soll das funktionieren?“, fragte Schmidt und betonte: „Transformation ist nicht zum Nulltarif zu haben. Transformation kostet Geld.“

Laut Konjunkturumfrage bleiben Strom- und Gaspreisbremse in der niedersächsischen Industrie weitgehend wirkungslos. Fast jedes dritte Unternehmen sagt zwar, dass eine Energiepreisbremse auf dem Papier helfen könnte. Tatsächlich sei die Gewährung der Hilfen aber an so viele Voraussetzungen geknüpft, dass nur ein Bruchteil der Firmen auch tatsächlich die gesetzlichen Kriterien erfüllt. Im Non-Automotive-Bereich sind es 15 Prozent, neun Prozent im Automobilsektor.
„Die Energiepreisbremse ist, nachdem sie durch die Mühlen der Berliner Ministerialbürokratie gegangen ist, ein bürokratisches Monstrum geworden, das in der Ausgestaltung an den betrieblichen Realitäten vorbeigeht. Sie ist ein stumpfes Schwert geworden“, kritisierte Schmidt. Insbesondere die Verpflichtung, bei Gewährung von Hilfen in Höhe von mehr als zwei Millionen Euro mindestens 90 Prozent der Arbeitsplätze für zweieinhalb Jahre zu halten, bezeichnete er als „wirklichkeitsfremd“. Eine solche Garantie könne ein Unternehmen nicht geben, das gerade sein gesamtes Geschäftsmodell umstellen muss.

Zur jüngsten Mehrheitsentscheidung des EU-Parlaments, ab 2035 Neuzulassungen von Verbrennerfahrzeugen zu verbieten, sagte Schmidt: „Auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments müssen zur Kenntnis nehmen, dass über 90 Prozent des Weltautomobilmarktes technologieoffen aufgestellt sind.“ Der Entscheidung aus Brüssel entnehme er ein tiefes Misstrauen gegenüber Markt und Wettbewerb. Selbst China setze neben der Batterie- und Wasserstofftechnologie langfristig auf die Optimierung der Verbrennertechnologie.
„Weltweit wird intensiv an unterschiedlichen Technologien zur Reduktion von CO2 im Verkehr gearbeitet. Die weltgrößten Energiekonzerne werden sich in ihren massiven Anstrengungen, etwa preiswertes E-Fuel zu entwickeln, kaum davon beeindrucken lassen, dass 340 Abgeordnete des Europäischen Parlaments der Auffassung sind, sie könnten den Technologie-Wettbewerb für beendet erklären“, sagte Schmidt. Konkret verwies er auf die Ankündigung von Saudi Aramco, der weltgrößten Erdölfördergesellschaft, bis 2030 synthetische Kraftstoffe zu einem Literpreis von 80 Cent anbieten zu können – aufgrund von extrem billigen Wind- und Solarstrom.
Schmidt warnte davor, dass Europa den technologischen Anschluss verlieren und automobile Wertschöpfung in erheblichem Umfang woanders entstehen könne. „Wir befinden uns inmitten eines enormen Standortwettbewerbs, der Jahr um Jahr, Monat um Monat an Intensität gewinnt“, sagte er. Bereits in den vergangenen Jahren hätten die deutschen Autobauer ihre Produktion massiv ins Ausland verlagert. 2009 hätten VW, BMW, Mercedes & Co. noch genau so viele Fahrzeuge im In- und Ausland gebaut (jeweils 4,5 Millionen Stück). Mittlerweile laufen in Deutschland nur noch 2,5 Millionen Autos vom Band, während es in den ausländischen Fabriken 8 Millionen sind.

Ohne Technologieoffenheit könnten deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt nur schwer bestehen. „Und das bedeutet im Inland: Investitionsstärkung und Kapitalbildung“, sagte Schmidt. Als konkrete Maßnahmen forderte er Abschreibungserleichterungen, umfassende Verlustverrechnung, einen Industriestrompreis von 4 Cent pro Kilowattstunde sowie eine Senkung der Unternehmenssteuersätze auf höchstens 25 Prozent.