13. Okt. 2022 · Bildung

Auszubildende in Niedersachsen werden immer anspruchsvoller, aber auch schlechter

Olaf Brandes stellt die Ergebnisse
der Ausbildungsumfrage 2022 vor. | Foto: Schaarschmidt

Während die Ampel-Koalition in Berlin über eine Ausbildungsplatzgarantie nachdenkt, gehen der niedersächsischen Industrie die Bewerber aus. Wie eine Umfrage unter mehr als 400 Unternehmern ergeben hat, konnte zum Start des Ausbildungsjahres 2022 jede fünfte Ausbildungsstelle nicht besetzt werden. „Die Ergebnisse unserer Umfrage zeigen, dass die duale Ausbildung bei vielen jungen Menschen ein Imageproblem hat“, sagt Volker Schmidt. Der Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall stellte gestern die Ergebnisse der Ausbildungsumfrage zusammen mit Olaf Brandes von der bildungsnahen Stiftung Niedersachsen-Metall in Hannover vor. Brandes sprach von einem Trend, der seit rund zehn Jahren zu beobachten sei. In der vergangenen Dekade habe sich die Zahl der unbesetzten Lehrstellen auf nun 20,4 Prozent etwa verdoppelt. In absoluten Zahlen bedeute das, dass 800 von 4000 Stellen nicht durch einen Auszubildenden besetzt werden. „Gleichzeitig haben wir in Niedersachsen 9000 junge Menschen, die noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, obwohl sie einen suchen“, so Brandes.

Für die Diskrepanz gibt es laut Umfrage zwei wesentliche Gründe: Mangelhafte Qualität der Bewerber und ein sinkendes Interesse an Ausbildungsberufen. 41 Prozent der Befragten berichten, dass bei ihnen einfach weniger Bewerbungen eingegangen sind. Für das geringere Interesse sind wiederum nach Einschätzung der Industrie vor allem der Trend zur Akademisierung (36 Prozent) und zu wenig Berufsorientierung im Unterricht (29 Prozent) verantwortlich. Außerdem würden immer mehr Schüler dazu tendieren, möglichst lange im Schulsystem zu verbleiben, wie 25 Prozent der Befragten berichten. Aus Sicht der Stiftung Niedersachsen-Metall muss hier mit einer besseren Berufsorientierung nachgesteuert werden. „Vielen ist einfach nicht bekannt, dass man mit einer Ausbildung gleich gute oder bessere Berufschancen hat als mit einem falsch gewählten Studium“, sagt Brandes. Die Hälfte der befragten Unternehmen wäre auch bereit, Ausbilder und Auszubildende an die Schulen zu senden, um zu informieren. Die Politik müsse dafür jedoch Freiräume an den Schulen schaffen.

„Angesichts der
Fachkräftelücke, die
sich in vielen Betrieben
bereits in Engpässen
bemerkbar macht, muss
jetzt schnellstmöglich
gegengesteuert werden“,
sagt Volker Schmidt. | Foto: Schaarschmidt

Um die fachlichen Defizite der Bewerber zu verringern, sieht Schmidt die Politik in der Pflicht. „Eine in unserem Auftrag durchgeführte Allensbach-Studie hat jüngst gezeigt, dass das Interesse für Technik und Naturwissenschaften in der jungen Generation nicht nur stark vorhanden ist, sondern auch als enorm wichtig für die Zukunft unserer Gesellschaft wahrgenommen wird“, sagt er. In der Schule scheine dieses Interesse aber regelrecht zu verpuffen. „Wir müssen den Schulen die Möglichkeit geben, dass sie es krachen lassen und Begeisterung schaffen“, fordert deswegen der Aufsichtsratsvorsitzende der Ideen-Expo, der in diesem Jahr hunderttausende natur- und technikbegeisterte Schüler auf der MINT-Messe in Hannover gesehen hat. Schmidt plädiert für mehr Berufsorientierung, eine engere Zusammenarbeit mit den Unternehmen vor Ort und vor allem für eine besser Ausstattung der Schulen. „Man muss dort investieren, wo die Zukunft des Landes entschieden wird“, sagt Schmidt und fordert auch mehr Engagement der Schulträger. Er weist darauf hin, dass von den 522 Millionen Euro aus dem Digitalpakt noch immer über 200 Millionen Euro nicht abgerufen wurden. Das Land müsse offenbar mehr Druck auf die Kommunen ausüben, damit diese die Mittel für die Schulen auch nutzen. Einer Ausbildungsgarantie, wie sie derzeit in Berlin diskutiert wird, erteilt der Arbeitgebervertreter dagegen eine Absage. „Das ist der falsche Weg. Wir haben keinen Mangel an Ausbildungsplätzen, sondern an Bewerbern und Berufsorientierung“, betont Schmidt. 94 Prozent der Unternehmen würden dieser Position zustimmen.

Müssen Inder die Auszubildenden ersetzen?

Ein Unternehmer, der die Lage auf dem Ausbildungsmarkt sehr kritisch sieht, ist Klaus Deleroi. „Wir bilden in unserem Betrieb viele Fachkräfte aus, aber es fällt uns zunehmend schwer, geeigneten Nachwuchs zu finden. Leider lässt das Bildungsniveau der Schulabgänger immer mehr nach, wir müssen immer häufiger nachschulen“, sagt der Geschäftsführer der Reintjes GmbH aus Hameln. Das Traditionsunternehmen, das vor 52 Jahren vom Rhein an die Weser umgesiedelt ist, hat sich auf Schiffsgetriebe spezialisiert und beschäftigt weltweit über 500 Mitarbeiter. Deleroi hat eine klare Forderung an die neue Landesregierung: „Sie muss dafür sorgen, dass die Wissensvermittlung durch die Schule wieder deutlich besser wird.“ Außerdem hofft der Unternehmer, dass die neue Koalition mehr gut ausgebildetes Fachpersonal nach Niedersachsen lotsen kann. „Die Landesregierung könnte sich zum Beispiel für ein Zuwanderungsgesetz stark machen – zum Beispiel ein Greencard-System, wie es Kanada oder Australien haben“, sagt Deleroi. Deutschland müsse für gut ausgebildete Fachkräfte wieder attraktiver werden.

Klaus Deleroi, Geschäftsführer der Reintjes GmbH | Foto: Lorena Kirste

Auch das Institut für deutsche Wirtschaft (IWD) kommt in einer aktuellen Studie zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik im Wettbewerb um ausländische Fachkräfte eine Schippe drauflegen muss. „Es ist keineswegs selbstverständlich, dass sich auswanderungswillige und gut ausgebildete Menschen für Deutschland als Ziel entscheiden. Schließlich werben auch viele andere Industriestaaten um hochqualifizierte Fachkräfte“, sagt IWD-Experte Wido Geis-Thöne. Neben dem erzielbaren Einkommen und den Arbeitsbedingungen sei für potenzielle Zuwanderer für diese Entscheidung auch maßgeblich, für wie offen sie die Gesellschaft im Zielland halten und ob bereits ihnen bekannte Menschen aus ihrer Heimat dort leben. Ein wichtiger Faktor sei auch die Sprachbarriere. „Können Zuwanderer an ihrem neuen Wohn- und Arbeitsort in Englisch kommunizieren, ist das für viele ein Vorteil“, betont Geis-Thöne. Der IWD-Experte rät der Politik dazu, nicht in mittel- und osteuropäischen Staaten zu werben. Diese hätten selbst mit einer alternden Bevölkerung und Fachkräfteengpässen zu kämpfen. Deutschland solle seinen Blick viel mehr nach Indonesien, Bangladesch und vor allem Indien richten.

Dieser Artikel erschien am 14.10.2022 in Ausgabe #181.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail