Ausstieg wider Willen: Biogas-Branche wird aus der Stromerzeugung verdrängt
Die Biogas-Branche versteht die Welt nicht mehr: Mit ihrer Kraftwerkstrategie macht die Ampel-Koalition den Weg frei für den Bau von neuen Gaskraftwerken, gleichzeitig droht zwei Dritteln der bereits bestehenden Biogasanlagen in Niedersachsen das Aus. „Es ist volkswirtschaftlich unsinnig, einen funktionierenden Erneuerbaren-Kraftwerkspark stillzulegen, um gleichzeitig Milliarden für neue, mit fossilem Gas betriebene Kraftwerke auszugeben“, kritisiert Silke Weyberg, Geschäftsführerin des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE). Es droht nach Ansicht von Branchenexperten ein hoher Schaden, wenn die Bundesregierung nicht rechtzeitig nachsteuern sollte.
Nach 20 Jahren endet der EEG-Vergütungszeitraum für Biogasanlagen, die sich dann um eine Folgeausschreibung bewerben müssen. „Die ersten geburtenstarken Biogas-Jahrgänge waren 2004, 2005 und 2006“, erläutert LEE-Referent Joost Kuhlenkamp und sieht folgendes Problem: Das von der Bundesregierung festgelegte Ausschreibungsvolumen ist zu klein, als dass alle Biogasanlagen wieder zum Zug kommen könnten. Die Folge: „In den nächsten drei Jahren könnten allein in Niedersachsen viele hundert Megawatt in der Stromerzeugung verloren gehen.“ Biogas könne zwar all das, was Wasserstoff auch kann. Zudem sei es in Form von Flüssiggas (LNG) oder Biokraftstoff vielseitig einsetzbar. „In der Stromerzeugung gibt es bei Biogas jedoch nur den Weg über das EEG“, sagt Kuhlenkamp. Die Direktvermarktung ganz abseits des EEG vom Biomasse-Strom rentiere sich für die Anlagenbetreiber nur in Ausnahmefällen. Eine Biogasanlage, die ihren Strom nicht gemäß eines solchen Zuschlags einspeisen könne, werde also mit höchster Wahrscheinlichkeit abgeschaltet – und zwar für immer.
Niedersachsen ist Biogasland Nummer zwei
Mit einer installierten Leistung von 1350 Megawatt (1,35 Gigawatt) ist Niedersachsen ganz knapp hinter Bayern das Biogasland Nummer zwei. Der regionale Schwerpunkt liegt hierzulande in den Landkreisen Emsland, Cloppenburg, Oldenburg, Diepholz und Rotenburg (Wümme). Mit 8740 Bruttobeschäftigten und einem geschätzten Jahresumsatz von vier Milliarden Euro allein in Niedersachsen hat sich die Biogas-Branche zu einem relevanten Wirtschaftszweig entwickelt, wie eine Studie der Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung für 2021 zeigt. „In Niedersachsen könnte die aktuelle Leistung sogar problemlos verdoppelt werden“, sagt Weyberg. Dazu seien weder mehr Biomasse noch mehr Flächen nötig. „Stattdessen könnten zusätzliche Blockheizkraftwerke aufgestellt werden, um Strom nur dann zu produzieren, wenn weder Sonne noch Wind verfügbar sind“, erklärt die LEE-Geschäftsführerin. Doch während die niedersächsische Landespolitik den Einsatz von Bioenergie als wesentlichen Bestandteil der Energiewende betrachtet, verfolgt man in Berlin offenbar einen anderen Ansatz.
In der nationalen Kraftwerkstrategie spielt Biomasse überhaupt keine Rolle, im Netzentwicklungsplan der Übertragungsnetzbetreiber taucht sie ab 2037 nur noch als Nischenphänomen auf. „Der Plan der Bundesregierung sieht vor, dass die Stromerzeugung aus Biomasse zurückgefahren wird“, betont LEE-Experte Kuhlenkamp. Diese Strategie sei jedoch nicht unproblematisch. „Viele Biogasanlagenbetreiber sind für die Kommunen die ersten Ansprechpartner, wenn es um die Wärmeplanung geht“, weiß Kuhlenkamp. Eine Biogasanlage, die keinen Strom produziert, lasse sich aber kaum wirtschaftlich betreiben. Zudem sei der Umstieg auf andere Geschäftsmodelle nicht so ohne weiteres möglich. Wer bei den beiden niedersächsischen Netzbetreibern nach einem Anschluss an das Gasnetz fragt, um das Biogas dort direkt einzuspeichern, müsse mit langen Wartezeiten rechnen. „Unter drei Jahren geht da gar nichts“, sagt Kuhlenkamp.
Trotzdem könne die Bundesregierung die Situation relativ kurzfristig entschärfen: Die Biomasse-Ausschreibemengen, die in den vergangenen Jahren nicht nachgefragt wurden, müssten jetzt nachgeholt werden. Zudem müsse die aktuelle Schieflage bei den Ausschreibungsvolumen nachgebessert werden. Denn wie die letzte Vergaberunde zeige, waren die Ausschreibungen bei Biomasseanlagen dreifach überzeichnet, während bei der Ausschreibung für Stromerzeugung mithilfe von aus dem Gasnetz bezogenem Biomethan bei einem Volumen von 600 Megawatt keinerlei Gebote eingingen. „Das Biomethan ist einfach nicht da, weil die Mengen in anderen Märkten besser bezahlt werden“, sagt Kuhlenkamp und prophezeit: „Das wird sich in diesem Jahr auch nicht relevant ändern.“ Die Bundesregierung hat für 2024 trotzdem insgesamt 1200Megawatt Biomethan ausgeschrieben, aber nur 500 Megawatt Biomasse. Der LEE-Experte hofft nun immerhin darauf, das nicht genutzte Biomethan-Mengen in die Biomasse-Ausschreibung wandern. Bisher ist das allerdings nicht geplant.
Dieser Artikel erschien am 28.02.2024 in der Ausgabe #038.
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